LKW-Reifen müssen einiges aushalten: Durch die großen Lasten, die die »Brummies« durch die Lande transportieren und die vielen Kilometer, die sie Tag für Tag auf den Straßen zurücklegen, nutzen sie sich stark ab. Die Laufflächen der Reifen sind daher überwiegend aus Naturkautschuk aus Kautschukbäumen hergestellt, der die bisher hervorragendsten Abriebeigenschaften aufweist. Der künstlich hergestellte Synthesekautschuk kann zumindest in diesem Punkt bisher nicht an Naturkautschuk heranreichen. Das Problem beim Naturkautschuk: Die Versorgungssicherheit für diesen wichtigen Rohstoff ist gefährdet. In Brasilien, dem Ursprungsland des Kautschuks, vernichtet der Pilz Microcyclus ulei ganze Plantagen. Greift der Pilz auch auf den asiatischen Raum über, wo sich heute wichtige Anbaugebiete befinden, ist die Weltproduktion für Gummi bedroht.
Biomimetischer Synthesekautschuk mit optimiertem Abriebverhalten (BISYKA)
Forscherinnen und Forscher der Fraunhofer-Institute für Angewandte Polymerforschung IAP, für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS, für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME, für Werkstoffmechanik IWM und für Silicatforschung ISC haben die Eigenschaften von Synthesekautschuk daher nun optimiert. »Unser Synthesekautschuk BISYKA, kurz für Biomimetischer Synthesekautschuk, hat sogar noch bessere Eigenschaften als Naturkautschuk«, sagt Dr. Ulrich Wendler, der das Projekt am Fraunhofer-Pilotanlagenzentrum für Polymersynthese und -verarbeitung PAZ in Schkopau leitet. Das Fraunhofer PAZ ist eine gemeinsame Initiative des Fraunhofer IAP und des Fraunhofer IMWS. »Die Reifen aus Synthesekautschuk verlieren 30 Prozent weniger Masse als das Äquivalent aus Naturkautschuk, der Profilverlust beträgt sogar nur die Hälfte. Zudem lässt sich der Synthesekautschuk mit Bestandsanlagen in großtechnischem Maßstab produzieren. Das heißt: Der Synthesekautschuk bietet eine hervorragende Alternative zum Naturkautschuk – auch im Bereich der Hochleistungs-LKW-Reifen.«
Gezielte Analyse von Löwenzahn-Kautschuk
Doch wie haben die Forscherinnen und Forscher diese Steigerung erreicht? Am Fraunhofer IME untersuchten die Wissenschaftler Kautschuk aus Löwenzahn. Dieser besteht wie der Kautschuk aus den Kautschukbäumen zu etwa 95 Prozent aus Polyisopren, die verbleibenden Prozente aus Biokomponenten wie Proteinen oder Lipiden. Der Vorteil gegenüber dem Baum-Kautschuk: Statt sieben Jahren hat der Löwenzahn eine Generationenfolge von nur drei Monaten. Kautschuk aus Löwenzahn bietet somit eine ideale Ausgangsposition, um den Einfluss der Biokomponenten auf die Kautschuk-Eigenschaften zu untersuchen. Dazu schalteten die Fraunhofer-Forschenden die involvierten Schlüsselbiokomponenten gezielt aus.
Nachdem die für das Abriebverhalten wichtigen Biokomponenten identifiziert waren, synthetisierten die Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IAP den BISYKA-Kautschuk – aus den jeweiligen Biomolekülen und funktionalisiertem, hoch mikrostrukturreinen Polyisopren. Die Kolleginnen und Kollegen am Fraunhofer IWM und IMWS untersuchten die daraus erhaltenen Kautschukvarianten auf ihre Eigenschaften. Dazu nutzten sie die Dehnkristallisation: Dehnt man Naturkautschuk auf die dreifache Länge, bilden sich kristalline Bereiche – der Kautschuk verhärtet sich. »Die Dehnungskristallisation von BISYKA-Kautschuk entspricht der des Naturkautschuks«, erläutert Wendler. Für LKW-Reifen wird der Kautschuk üblicherweise mit Ruß gemischt, daher die schwarze Farbe. Der Trend geht allerdings dazu, statt Ruß Silicate zuzumischen. Hier kommt die Expertise des Fraunhofer ISC ins Spiel: Am Institut wird untersucht, wie neuartige Silicafüllstoffe zu optimalen Alternativen für Naturkautschuk in der Automobilindustrie führen können.
Synthesekautschuk überzeugt in Praxistests
Nach der Entwicklung des BISYKA-Kautschuks wurde er getestet: Hält er, was er aufgrund der Dehnungskristallisation verspricht? Dies ließen die Forscher von einem externen und somit unabhängigen Partner untersuchen: dem Prüflabor Nord. Dazu wurden vier PKW-Reifen gefertigt, deren Lauffläche aus BISYKA bestand, und mit solchen verglichen, deren Lauffläche aus Naturkautschuk gefertigt war. Die Tests wurden direkt an einem Auto durchgeführt, das 700 Kreise in die eine Richtung und 700 Kreise in die andere Richtung fuhr. Das Ergebnis: Während der Naturkautschuk-Reifen nach dem Test um 850 Gramm leichter war und 0,94 Millimeter an Profil verlor, büßte der BISYKA-Reifen lediglich 600 Gramm Gewicht und 0,47 Millimeter Profil ein. Auch der Rollwiderstand ist beim Synthesekautschuk besser: Während der Naturkautschuk auf der Rollwiderstandsampel beim Wert C liegt, erreicht BISYKA den besseren Wert B. »Bisher haben wir nur erste Tests mit der BISYKA-Reifenmischung durchgeführt, die äußerst vielversprechend sind. Als nächsten Schritt möchten wir den BISYKA-Kautschuk weiter optimieren. Dies betrifft vor allem den Anteil und die Zusammensetzung der Biokomponenten. Parallel dazu wird die Rezeptur der Laufflächenmischung für LKW-Reifen auf den neuen Kautschuk angepasst«, sagt Wendler. Aktuell sind der Forscher und sein Team auf der Suche nach Kooperationspartnern, die das Produkt auf den Markt bringen.
Am 4. April 2019 stellen die Forscherinnen und Forscher ihre Ergebnisse bei einem Transferworkshop auf der Jahrestagung der Deutschen Kautschuk-Gesellschaft Ost in Merseburg vor.