Mut zur Veränderung und strategischer Weitblick

Über den Beitrag, den Innovationsforschung und Trendanalysen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie leisten können, sprachen wir mit Professor Wilhelm Bauer, dem Vorsitzenden des Verbunds Innovationsforschung und Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und Professor Michael Lauster, dem Leiter des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT.

Interview

4.5.2020

Prof. Dr.-Ing. Prof. e. h. Wilhelm Bauer, Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO.
Prof. Dr.-Ing. Prof. e. h. Wilhelm Bauer, Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO.
Prof. Dr. Dr. Michael Lauster, Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT.
Prof. Dr. Dr. Michael Lauster, Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT.

Was hat Innovationsforschung mit der Eindämmung von Pandemien zu tun?

Prof. Bauer: Innovationsforschung beschäftigt sich mit der Untersuchung komplexer Wirkungszusammenhänge innerhalb von Innovationssystemen. Entwicklungen und Veränderungen müssen frühzeitig erkannt und verstanden werden, um langfristige Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft, aber auch Politik und Wissenschaft bei der Gestaltung und Weiterentwicklung von Innovationssystemen zu berücksichtigen. Denn wie die aktuelle Situation zeigt, können Entwicklungen globale Auswirkungen haben. Derzeit liegen die Herausforderung und Aufgabe der Innovationsforschung darin, bei der Gestaltung neuer Lösungen zu unterstützen, die einen Umgang mit der Pandemie ermöglichen und ähnliche oder schlimmere Auswirkungen für die Zukunft verhindern oder eindämmen.

Wie können Trendanalysen hier helfen?

Prof. Lauster: In Trendanalysen werden Trends und mögliche Störfaktoren mithilfe methodischer Ansätze unterstützt durch verfügbare Daten und Künstliche Intelligenz (KI) ausgewertet, um mögliche, zukünftige Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und konkrete Handlungsmaßnahmen ableiten zu können. Dazu ziehen wir sowohl Analysen von vergangenen als auch von möglichen zukünftigen Ereignissen heran.

Welchen Bezug hat die Studie von 2013 »Pandemische Influenza in Deutschland 2020« zur derzeitigen SARS-CoV-2-Pandemie?

Prof. Lauster: Das Projekt »Szenarien zu den Auswirkungen einer Pandemischen Influenza auf die Öffentliche Sicherheit Deutschlands im Jahre 2020« am Fraunhofer INT befasste sich vorausschauend mit diesem Themenkomplex. In der Studie wurde mit langfristiger Perspektive analysiert, welche Herausforderungen in fernerer Zukunft auf uns zukommen werden. Es ging darum, mögliche Optionen für eine bessere Vorbereitung auf die nächste Pandemie aufzuzeigen. Die Studie aus dem Jahre 2013 untersuchte anhand von drei unterschiedlichen Zukunftsszenarien mögliche Pandemieverläufe mit dem Ziel, systematische Schwächen zu identifizieren und potenzielle Präventivmaßnahmen vorzuschlagen.

Es lässt sich festhalten, dass die in der Studie verwendeten Szenarien und die daraus abgeleiteten Empfehlungen durch die aktuelle Lage eine frappierende Aktualität bekommen haben und auch heute praktisch uneingeschränkt gültig sind. Auf Basis der aktuellen Erfahrungen im Umgang mit der COVID-19-Pandemie bedarf es auf jeden Fall einer Aktualisierung der Zukunftsszenarien und deren Bewertung. Eine umfassende, idealerweise Grenzen und Fachgebiete übergreifende Analyse der derzeit ablaufenden Vorgänge stellt einen wichtigen Beitrag für die Vorbereitung auf zukünftige Pandemien dar.

Warum wurden die Ergebnisse der Studie nicht weiterverfolgt bzw. umgesetzt?

Prof. Bauer: Ziel einer Studie ist immer, komplexe Zusammenhänge zu klären, den Auftraggeber für zukünftiges Handeln zu beraten und Empfehlungen aus Sicht der Wissenschaft auszusprechen. Inwieweit dies letztendlich einen Einfluss beim Auftraggeber hat und welche Konsequenzen aus Studienergebnissen gezogen werden, liegt nicht in unserer Hand. Als unabhängige und gemeinnützige Forschungseinrichtung betrachten wir die Zukunft aus allen möglichen Perspektiven, die der Auftraggeber davor eventuell noch nicht oder zu wenig berücksichtigt hat. Auf der Basis dieser Ergebnisse können wir Empfehlungen formulieren, die auch einem routinierten Verhaltensmuster widersprechen können und ein Überdenken des Bestehenden erfordern. In solchen Fällen ist bei den Entscheidungsträgern dann besonders Mut zur Veränderung und strategischer Weitblick gefordert.

Prof. Lauster: Die aktuelle Krise verdeutlicht, dass bereits veröffentlichte Studien von Entscheidungsträgern häufig erst wahrgenommen werden und an Akzeptanz gewinnen, wenn die darin behandelten Szenarien tatsächlich eintreffen. Wir wünschen uns einen engeren Austausch mit den Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft, um das Potenzial unserer Studien frühzeitig als Grundlage für strategische Entscheidungen einbringen zu können.

Informationen zur Person

Prof. Dr.-Ing. Prof. e. h. Wilhelm Bauer

Professor Wilhelm Bauer führt als Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO eine Forschungsorganisation mit etwa 650 Mitarbeitern. Er verantwortet dabei Forschungs- und Umsetzungsprojekte in den Bereichen Innovationsforschung, Technologiemanagement, Leben und Arbeiten in der Zukunft sowie Smarter Cities. Als Mitglied in verschiedenen Gremien berät er Politik und Wirtschaft. Er ist Mitglied der High-Level Expert Group on Artificial Intelligence der Europäischen Kommission und Co-Leiter der Arbeitsgruppe Arbeit/Qualifikation und Mensch-Maschine-Interaktion der Plattform Lernende Systeme – Deutschlands Plattform für Künstliche Intelligenz. Prof. Bauer ist Autor von mehr als 400 wissenschaftlichen und technischen Veröffentlichungen. An den Universitäten Stuttgart und Hannover ist er Lehrbeauftragter. Im Jahr 2012 erhielt Prof. Bauer die Ehrung des Landes Baden-Württemberg als »Übermorgenmacher«.
 

Prof. Dr. Dr. Michael Lauster

Professor Michael Lauster ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT in Euskirchen und hält einen Lehrstuhl für Technologieanalyse und -vorausschau an der Fakultät für Maschinenwesen der RWTH Aachen. Nach seiner Offiziersausbildung folgte ein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität der Bundeswehr. Während seiner Zeit an der UniBwM promovierte er zum Thema irreversible Thermodynamik an der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik und habilitierte sich an der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften für das Fach Statistik. Bis zum Herbst 2012 hatte er dort auch eine Privatdozentur für Statistik inne. Seit September 2012 leitet er das Fraunhofer INT, seit Februar 2014 ist er außerdem Sprecher der Fraunhofer-Allianz Space, einer Vereinigung von 17 Fraunhofer-Instituten mit mehr als 5000 Mitarbeitern, die sich mit der Nutzung fortschrittlicher Technologien für Raumfahrtanwendungen beschäftigen.