Was hat Innovationsforschung mit der Eindämmung von Pandemien zu tun?
Prof. Bauer: Innovationsforschung beschäftigt sich mit der Untersuchung komplexer Wirkungszusammenhänge innerhalb von Innovationssystemen. Entwicklungen und Veränderungen müssen frühzeitig erkannt und verstanden werden, um langfristige Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft, aber auch Politik und Wissenschaft bei der Gestaltung und Weiterentwicklung von Innovationssystemen zu berücksichtigen. Denn wie die aktuelle Situation zeigt, können Entwicklungen globale Auswirkungen haben. Derzeit liegen die Herausforderung und Aufgabe der Innovationsforschung darin, bei der Gestaltung neuer Lösungen zu unterstützen, die einen Umgang mit der Pandemie ermöglichen und ähnliche oder schlimmere Auswirkungen für die Zukunft verhindern oder eindämmen.
Wie können Trendanalysen hier helfen?
Prof. Lauster: In Trendanalysen werden Trends und mögliche Störfaktoren mithilfe methodischer Ansätze unterstützt durch verfügbare Daten und Künstliche Intelligenz (KI) ausgewertet, um mögliche, zukünftige Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und konkrete Handlungsmaßnahmen ableiten zu können. Dazu ziehen wir sowohl Analysen von vergangenen als auch von möglichen zukünftigen Ereignissen heran.
Welchen Bezug hat die Studie von 2013 »Pandemische Influenza in Deutschland 2020« zur derzeitigen SARS-CoV-2-Pandemie?
Prof. Lauster: Das Projekt »Szenarien zu den Auswirkungen einer Pandemischen Influenza auf die Öffentliche Sicherheit Deutschlands im Jahre 2020« am Fraunhofer INT befasste sich vorausschauend mit diesem Themenkomplex. In der Studie wurde mit langfristiger Perspektive analysiert, welche Herausforderungen in fernerer Zukunft auf uns zukommen werden. Es ging darum, mögliche Optionen für eine bessere Vorbereitung auf die nächste Pandemie aufzuzeigen. Die Studie aus dem Jahre 2013 untersuchte anhand von drei unterschiedlichen Zukunftsszenarien mögliche Pandemieverläufe mit dem Ziel, systematische Schwächen zu identifizieren und potenzielle Präventivmaßnahmen vorzuschlagen.
Es lässt sich festhalten, dass die in der Studie verwendeten Szenarien und die daraus abgeleiteten Empfehlungen durch die aktuelle Lage eine frappierende Aktualität bekommen haben und auch heute praktisch uneingeschränkt gültig sind. Auf Basis der aktuellen Erfahrungen im Umgang mit der COVID-19-Pandemie bedarf es auf jeden Fall einer Aktualisierung der Zukunftsszenarien und deren Bewertung. Eine umfassende, idealerweise Grenzen und Fachgebiete übergreifende Analyse der derzeit ablaufenden Vorgänge stellt einen wichtigen Beitrag für die Vorbereitung auf zukünftige Pandemien dar.
Warum wurden die Ergebnisse der Studie nicht weiterverfolgt bzw. umgesetzt?
Prof. Bauer: Ziel einer Studie ist immer, komplexe Zusammenhänge zu klären, den Auftraggeber für zukünftiges Handeln zu beraten und Empfehlungen aus Sicht der Wissenschaft auszusprechen. Inwieweit dies letztendlich einen Einfluss beim Auftraggeber hat und welche Konsequenzen aus Studienergebnissen gezogen werden, liegt nicht in unserer Hand. Als unabhängige und gemeinnützige Forschungseinrichtung betrachten wir die Zukunft aus allen möglichen Perspektiven, die der Auftraggeber davor eventuell noch nicht oder zu wenig berücksichtigt hat. Auf der Basis dieser Ergebnisse können wir Empfehlungen formulieren, die auch einem routinierten Verhaltensmuster widersprechen können und ein Überdenken des Bestehenden erfordern. In solchen Fällen ist bei den Entscheidungsträgern dann besonders Mut zur Veränderung und strategischer Weitblick gefordert.
Prof. Lauster: Die aktuelle Krise verdeutlicht, dass bereits veröffentlichte Studien von Entscheidungsträgern häufig erst wahrgenommen werden und an Akzeptanz gewinnen, wenn die darin behandelten Szenarien tatsächlich eintreffen. Wir wünschen uns einen engeren Austausch mit den Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft, um das Potenzial unserer Studien frühzeitig als Grundlage für strategische Entscheidungen einbringen zu können.