Kompetenzen für das Wasserstoff-Zeitalter

Klimaneutrale industrielle Prozesse

Möchte Deutschland die gesetzten Klimaziele erreichen, sind Wasserstoff-technologien unausweichlich. Das gilt nicht nur, aber vor allem im Bereich der Industrie. Daher gibt es seitens der Unternehmen zahlreiche Anstrengungen, etablierte Produktionsprozesse auf Wasserstoff umzustellen und langfristig auf eine Wasserstoffwirtschaft hinzuwirken. Vielversprechend ist der Einsatz von Wasserstoff vor allem in Herstellungsverfahren, bei denen viel Kohlenstoffdioxid entsteht. Dort bietet Wasserstoff verschiedene Ansätze zur Defossilisierung der Produktionskette. Aufgabenstellung ­ist dabei, die Umstellung wirtschaftlich und nachhaltig zu gestalten.

CO2-arm produzieren: Wasserstoff macht's möglich

Im Oberhausener Carbon2Chem-Labor arbeitet Fraunhofer an der Produktion von Basischemikalien aus Industrieabgasen und H
© Fraunhofer UMSICHT
Im Oberhausener Carbon2Chem-Labor arbeitet Fraunhofer an der Produktion von Basischemikalien aus Industrieabgasen und H2.

Mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) arbeiten beispielsweise das Fraunhofer UMSICHT und ISE, die thyssenkrupp AG, die Max-Planck-Gesellschaft und sechs weitere Konzerne aus Anlagenbau und Chemieindustrie an einer solchen Defossilisierungsstrategie: Im Projekt Carbon2Chem® nutzen sie kohlenstoffhaltige Gase, die bei der Stahlproduktion in Hochöfen und Kokereien anfallen, und wandeln sie – unter Zugabe von grünem Wasserstoff – in Basischemikalien wie Methanol und Harnstoff um. Aus diesen Chemikalien wiederum können Kraftstoffe, Düngemittel oder Kunststoffe hergestellt werden. So werden fossile Rohstoffe in der Chemieindustrie substituiert und die Emission erheblicher Mengen fossilen Kohlenstoffs vermieden. Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer UMSICHT arbeiten unter anderem an Simulationsmodellen, um die sich ergebenden integrierten Produktionssysteme abzubilden. Das Projekt adressiert hierbei u.a. Fragen zum Gesamtsystem, z.B. wie wird sich die Chemikalienherstellung im Hüttenwerk auf das Gesamtproduktionssystem auswirken? Zudem entwickeln sie Adsorptions- und Plasmatechniken, um das Hüttengas zu reinigen, und prüfen die Funktionstüchtigkeit der Katalysatoren für die chemischen Synthesen auf Anwendbarkeit. Die Grundlagen sind bereits geschaffen: Im Technikumsmaßstab läuft das Verfahren. Ab 2025 könnte es bereits in den Produktionsanlagen eingesetzt werden und den Carbon-Footprint mithilfe von Wasserstoff reduzieren. Auch an einer zügigen Übertragung auf andere Branchen, z.B. die Zementindustrie, wird gearbeitet.

Das langfristige Ziel der Stahlkonzerne: Sie müssen CO2-neutralen Stahl herstellen. Möglich machen soll dies das Verfahren zur direkten CO2-Vermeidung (engl.: Carbon Direct Avoidance CDA): Über die Direktreduktion von Eisenerz kann die Entstehung von CO2 fast vollständig vermieden werden. Daran arbeiten Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IKTS mit der Salzgitter AG im BMBF-geförderten Projekt MACOR. Bislang wird Kohle verwendet, um die Eisenerze zu reduzieren. Statt Kohle wird bei dem neuen Verfahren Wasserstoff als Reduktionsmittel genutzt – auf diese Weise kann der CO2-Ausstoß je nach Ausbaustufe um bis zu 95 Prozent reduziert werden. Möglich wird dies, indem der benötigte Wasserstoff in einem Elektrolyseverfahren unter Nutzung erneuerbarer Energien hergestellt und das Eisen im Elektrolichtbogenofen unter Einsatz von regenerativ erzeugter elektrischer Energie zu Stahl verarbeitet wird. Besonders vielversprechend sind hierbei Hochtemperaturelektrolyseverfahren. Demonstratoren für diese Technologie im Maßstab von 100 Kilowatt sind bereits im Einsatz. Nun soll die Überführung bis in den Gigawatt-Maßstab folgen. Auch hier werden die Forscher des Fraunhofer ­­IKTS im Rahmen der Begleitforschung ein wesentlicher Partner sein und dabei die Prozesssimulation federführend durchführen.

Auch abseits der Stahlindustrie fallen in Industriebetrieben Abgase und Abwässer an. Im Projekt Colyssy zeigt das Fraunhofer IKTS gemeinsam mit einem Kalkwerk der Johann Bergmann GmbH & Co. KG einen Weg auf, wie sich diese gewinnbringend nutzen lassen: mit einem integrierten Verfahren, über das industrielle Abgasströme und Wasser zur Herstellung chemischer Wertstoffe genutzt werden können. Möglich machen es eine Hochtemperatur-Co-Elektrolyse, eine CO2-Abtrennung mittels hierfür entwickelter keramischer Membranen und ein neu entwickeltes skalierbares Reaktorkonzept für die Fischer-Tropsch-Synthese. Heraus kommen synthetische Wachse, die als Schmierstoffe oder als Ausgangsstoffe für die Kosmetik dienen können. 2021 soll die Anlage einsatzbereit sein. Auch mit der Prozessentwicklung befassen sich die Forscher. So simulieren und optimieren sie den Gesamtprozess. Die Kopplung der Prozessschritte am Kalkwerk bietet dabei auch die Möglichkeit, Nebenproduktströme der Fischer-Tropsch-Synthese im Brennprozess einzusetzen, und eröffnet damit zusätzliche Flexibilisierungsoptionen.

Stark mineralisierte, sulfatreiche Bergbauabwässer dagegen lassen sich mit dem RODOSAN-Verfahren aufbereiten, das vom Fraunhofer IKTS entwickelt wurde. Und zwar auf dreierlei Wegen gleichzeitig: Zum einen wird aus dem Abwasser Wasserstoff und damit ein Energieträger gewonnen. Zum zweiten wird das enthaltene Eisen reduziert und damit zurückgewonnen. Und drittens werden die Schadstoffe – insbesondere Schwefel – aufkonzentriert und für den Düngemitteleinsatz zurückgewonnen. 45 bis 70 Prozent des enthaltenen Sulfats lassen sich über das Verfahren abtrennen. Eine Pilotanlage mit einer Leistung von sechs Kubikmetern pro Stunde steht für technische Untersuchungen und für die Verfahrensoptimierung bereits zur Verfügung.

P2X: Aus grüner Energie wird Wasserstoff und Co.

Eine dringende Frage, die sich im Zuge des Energiewandels stellt: Wie lässt sich regenerativer Strom da speichern, wo er entsteht, sofern er nicht im Netz weitergeleitet werden kann? Sprich: Wie lässt sich der zeitliche Verbrauch mit der örtlichen Entstehung synchronisieren? ­
Hier greifen P2X-Technologien: Dabei wird der regenerativ erzeugte Strom für die Wasserstoffelektrolyse genutzt, der dabei entstehende Wasserstoff gespeichert und wiederum in Chemikalien, Kraftstoffe oder Gas umgewandelt. Man spricht dabei von Power-to-Gas, Power-to-Fuel und Power-to-Chemicals. Ein Beispiel aus dem Bereich Power-to-Gas ist das Projekt ICOCAD des Fraunhofer IMM: Über eine innovative Reaktortechnologie wird CO2, das von Biogasanlagen und integrierten Bioraffinerien abgetrennt wird, unter Zugabe von Wasserstoff aus der Wasser­elektrolyse in Methan umgewandelt. Die Forscherinnen und Forscher entwickeln Anlagenkonzepte, führen Tests im Pilotmaßstab durch und bauen einen Reaktor in eine bereits vorhandene Anlagenumgebung ein. Zudem entwickeln die Wissenschaftler langlebige, vergiftungs- und koksresistente Katalysatoren für diesen Prozess. Der modulare Aufbau des Reaktors ermöglicht es, diesen leicht an die individuelle Größe und den Bedarf der Kohlendioxid- und Wasserstoffquellen anzupassen.

Ein Beispiel aus den Bereichen Power-to-Fuel und Power-to-Chemicals ist das Projekt NAMOSYN unter Beteiligung des Fraunhofer ISE: Der Fokus des Projekts liegt auf nachhaltig erzeugten Kraftstoffen für Anwendungen, die sich nur schwer elektrifizieren lassen wie z.B. Schiffe und Lkws. Hierzu werden nachhaltige Syntheseverfahren für Kraftstoffe für Diesel- und Ottomotoren entwickelt und diese außerdem motorisch getestet. Über den Power-to-Liquid (PtL)-Pfad kann ein Kraftstoff mit sehr geringem CO2-Fußabdruck hergestellt werden, wenn der Wasserstoff aus der Wasserelektrolyse aus überwiegend erneuerbaren Energien hergestellt und dieser mit CO2 beispielsweise zu Oxymethylenethern (OME3-5) umgesetzt wird.

In der Plattform eSource®, welche aus dem Fraunhofer-Leitprojekt »Strom als Rohstoff« hervorgegangen ist, haben sich zehn Fraunhofer-Institute zusammengeschlossen. Gemeinsam entwickeln und optimieren sie Verfahren, mit denen grüner Strom genutzt werden kann, um wichtige Basischemikalien zu synthetisieren. Einer der entwickelten Demonstratoren adressiert die elektrochemische Herstellung von Wasserstoffperoxid (H2O2) aus Sauerstoff und Wasserstoff. Wasserstoffperoxid wird als Oxidationsmittel in der Chemieindustrie benötigt. Diese direkte Synthese aus molekularem Sauerstoff und Wasserstoff wäre eine kostengünstige, sichere und saubere Alternative zur derzeitigen Herstellung, die mit hohen sicherheitstechnischen Anforderungen einhergeht. Wie es um die Energieeffizienz in der Verfahrenstechnik steht und wie sich verschiedene Effizienzwerte miteinander vergleichen lassen, untersucht das Fraunhofer IFF mit Förderung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Projekt greoKEMS. 

Stellschraube Elektrolyseur-Leistung

Egal, um welche P2X-Technologie oder andere Wasserstofftechnologie es sich auch handeln mag: Die Basis bildet Wasserstoff, der über Elektrolyseure aus grünem Strom erzeugt wird. Das Fraunhofer IMWS baut daher im Chemiepark Leuna eine Test- und Versuchsinfrastruktur für Elektrolyseure im Megawatt-Bereich auf, genauer gesagt bis fünf Megawatt. Vier Projektplätze für jeweils zwei bis drei 40-Fuß-Container stehen Projektpartnern hier ab 2020 zur Verfügung. Dort lässt sich die Prozesskette bis hin zu nachgelagerten Prozessen wie der Methanolsynthese abbilden. Die Forscher bilanzieren die Projekte, überwachen die Anlagen, fahren verschiedene Testzyklen und evaluieren die Ergebnisse. Der erzeugte Wasserstoff kann in die 150 Kilometer lange Pipeline geleitet werden, die verschiedene Chemieparks miteinander verbindet.

Das Ziel, die Leistung der Elektrolyseure zu vergrößern, haben sich auch die Partner des Projekts »GreenHydroChem Mitteldeutsches Chemiedreieck« gesetzt, das zu den Gewinnern im Ideenwettbewerb »Reallabore der Energiewende« zählt. In drei Teilprojekten arbeitet das Team – ­bestehend aus Siemens AG, Linde AG und Fraunhofer IMWS – an der intelligenten Verknüpfung von Großelektrolyse (Herstellung), Wasserstoffpipeline (Transport), Wasserstoffkaverne (Speicherung) und entsprechenden Großabnehmern für grünen Wasserstoff. Dazu soll die bereits bestehende Infrastruktur genutzt und erweitert werden. So steht ein Scale-up der Elektrolyseure an:

Siemens skaliert den Elektrolyseur von 5 Megawatt auf 50 Megawatt hoch. Die Fraunhofer-­Forscherinnen und -Forscher unterstützen sie mit der nötigen Begleitforschung und erstellen einen Leitfaden für die Elektrolyse. So werten sie unter anderem die Produktionsgase während des Betriebs wissenschaftlich aus. »Green-Hydro-Chem Mitteldeutschland« wird bis 2024 in Leuna umgesetzt. Mit insgesamt über 100 Megawatt ist es das weltweit größte Elektrolyse-Anlage-Projekt zur Erzeugung von grünem Wasserstoff.

Wasserstoff aus biogenen Quellen

Auch biogene Reststoffe und Abfälle können als Quelle für grünen Wasserstoff dienen. Das Fraunhofer UMSICHT hat solch ein Verfahren zur Erzeugung von Wasserstoff aus biomassebasierten Einsatzstoffen entwickelt: Das TCR®-Verfahren basiert auf der thermo-chemischen Konversion und erzeugt ein äußerst wasserstoffreiches Synthesegas. Auch der entstehende Feststoff, ein stabiles Karbonisat, kann über Vergasung zur Wasserstofferzeugung eingesetzt werden. Die TCR-Technologie wird derzeit im EU-Projekt ToSynFuel im Maßstab von zwölf Tonnen Reststoff-Durchsatz pro Tag demonstriert. 

Fraunhofer UMSICHT, Institutsteil Sulzbach-Rosenberg