Pragmatismus statt Brechstange

Ein Standpunkt von Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender BASF SE

Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender BASF SE

Fraunhofer-Magazin 4.2023

Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender BASF SE.
© Foto: BASF SE
Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender BASF SE.

Über das Ziel besteht Einigkeit: Bis 2050 soll Europa als erster Kontinent klimaneutral werden. Darüber, wie sich diese Jahrhundertaufgabe stemmen lässt, wird aber noch gerungen. Klar ist jedoch: Ohne eine starke und wettbewerbsfähige Chemieindustrie wird es nicht gelingen.

Die chemische Industrie befindet sich in dem wohl größten Wandel ihrer Geschichte: Eine der emissions- und energieintensivsten Branchen will klimaneutral werden. Dafür braucht es bahnbrechende Innovationen, aber auch die richtigen Rahmenbedingungen und politischen Pragmatismus. BASF steht hinter dem Green Deal. Deshalb arbeiten wir mit aller Kraft daran, BASF bis 2050 auf Netto-Null-Emissionen zu bringen. Doch wie sieht die Chemie der Zukunft bei BASF aus?

Chemie ist überall. Sie ist die »Industrie der Industrien« und liefert ihre Produkte in nahezu alle Branchen. Chemie ist vor allem dort, wo es grüner werden muss. Harze machen Windparks wetterfest. Solaranlagen funktionieren nur mit Elektronikchemikalien und Batteriematerialien ermöglichen erst die E-Mobilität.

Aber: Die Chemie verursacht hohe CO2-Emissionen. Das ändern wir. Ein wichtiger Hebel ist die Umstellung unserer Strom- und Dampfversorgung von grau auf grün. Vor wenigen Wochen ging zum Beispiel vor der niederländischen Küste mit BASF-Beteiligung einer der größten Offshore-Windparks der Welt an den Start – ohne jegliche Subventionen. Rund die Hälfte des Grünstroms fließt an unsere Standorte in Europa. In Zhanjiang in Südchina werden wir unseren neuen Verbundstandort vom ersten Tag an mit 100 Prozent Grünstrom betreiben.

Für eine CO2-arme Produktion entwickeln wir zudem neue Technologien, die wir in Pilotprojekten erproben – vor allem bei den emissionsintensiven Basischemikalien, den Grundbausteinen für Tausende unserer Produkte. Ein Beispiel: Anfang 2024 geht in Ludwigshafen die weltweit erste Demonstrationsanlage für elektrisch betriebene Steamcracker-Öfen in Betrieb. Mit dieser Technologie verringern wir den CO2-Ausstoß bei der Herstellung von Ethylen und Propylen um über 90 Prozent. Wir testen auch, wie die Wasserelektrolyse im industriellen Maßstab zur Wasserstoff-Produktion funktionieren und die CO2-intensive Dampfreformation ersetzen kann.
Weniger CO2 in der Produktion ist wiederum Voraussetzung dafür, dass wir unseren Kunden Produkte mit einem verringerten CO2-Fußabdruck anbieten können und sie so bei ihren Klimaschutzzielen unterstützen. Wir berechnen regelmäßig die CO2-Fußabdrücke aller 45 000 BASF-Verkaufsprodukte.

Auf Basis dieser Informationen optimieren wir unsere Abläufe, setzen verstärkt CO2-reduzierte, erneuerbare Rohstoffe ein und bauen unser Portfolio von »Low-Carbon-Produkten« aus.
Wir bei BASF sind willens und auf einem guten Weg zur Klimaneutralität. Wir sind jedoch darauf angewiesen, dass auch die Politik ihre Hausaufgaben macht. Sie muss dafür sorgen, dass Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit Hand in Hand gehen.

Vier Punkte sind essenziell: Erstens: Mehr Pragmatismus. Europa verfügt bereits über eine der umfassendsten und effektivsten Chemikalien-Regulierungen weltweit. Mit dem Green Deal wird sie noch umfangreicher: Rund 14 000 Seiten sind schon zusammengekommen. Es braucht aber keine Regulierungswut mit der Brechstange, sondern Vorgaben, die sich pragmatisch umsetzen lassen.

Zweitens: Mehr Tempo. Fast alle klimafreundlichen Technologien basieren auf grüner Energie. Wir brauchen daher einen deutlich beschleunigten Ausbauplan für die Erneuerbaren in Europa. Die Ansätze für schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren sind gut. Sie müssen nun auch zügig Realität werden.

Drittens: Mehr Offenheit. Viele Technologien für eine klimaneutrale Zukunft kennen wir noch nicht. Wir müssen daher offen für Neues bleiben, statt mit Denkverboten Innovationen zu verhindern. Leider diskutieren wir in Europa mit viel Hingabe über mögliche Gefahren und verbannen neue Technologien – statt mit einer vernünftigen Risikoabwägung ihre Chancen zu nutzen.

Viertens: Mehr Investitionsanreize. Der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft kostet viel Geld. Das Problem: Es sind oft noch Investitionen ohne Geschäftsmodell. Wir bei BASF gehen sie trotzdem an – aus unternehmerischer Verantwortung und als Teil des globalen Innovationswettlaufs. Gleichwohl braucht es Reallabore und eine unbürokratische Förderung, um Wachstum aus innovativen Denkansätzen zu generieren. Und: Pionierarbeit muss sich lohnen. Wie Anreizsysteme funktionieren, zeigen die USA eindrucksvoll mit dem »Inflation Reduction Act«.

Das Ziel von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sollte also lauten: Wir wollen eine grüne Transformation, die Klimaschutz, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit pragmatisch und wirksam verbindet. Nur so wird aus einer ambitionierten Vision eine Erfolgsgeschichte für alle.