Zweispurig in die Zukunft

Ein Standpunkt von Martin Daum, Vorstandsvorsitzender Daimler Truck AG

Martin Daum, Vorsitzender des Vorstands der Daimer Truck Holding AG

Fraunhofer-Magazin 3.2023

Martin Daum, Vorsitzender des Vorstands der Daimer Truck Holding AG.
© Foto: Thomas Einberger/argum/imago images
Martin Daum, Vorsitzender des Vorstands der Daimer Truck Holding AG.

Nicht allein auf der IAA Mobility im September drehen sich viele Gespräche um das Thema Batterien. Der Batterie-Antrieb ist die vorherrschende Technologie, um den Autoverkehr emissionsfrei zu machen. Aber: Lkw sind keine großen Pkw.  

Die Nutzfahrzeuge der Zukunft brauchen nicht nur Batterien, sie brauchen auch Wasserstoff. Davon sind wir bei Daimler Truck überzeugt. Vor einigen Monaten haben wir deshalb eine Absichtserklärung mit der Toyota Motor Corporation unterschrieben. Neben einer geplanten Fusion unserer japanischen Nutzfahrzeug-Töchter geht es dabei auch um eine Zusammenarbeit bei Wasserstoff-Antrieben. Zudem haben wir schon 2021 gemeinsam mit der Volvo Group das Joint Venture cellcentric gegründet, um in Europa eine der größten Produktionsstätten für Brennstoffzellen aufzubauen. Im Unterschied zu den Kollegen der Pkw-Branche verfolgen wir bei Nutzfahrzeugen also keine einspurige Technologiestrategie, sondern eine zweispurige – und dafür haben wir gute Gründe.

Erstens: Lkw sind keine großen Pkw. Sie sind Investitionsgüter. Unsere Kunden müssen in der Lage sein, mit unseren Produkten Geld zu verdienen. Sie achten deshalb sehr genau auf die Kosten. Und zwar nicht nur auf die Anschaffungskosten, sondern vor allem auch auf die Gesamtkosten über die Laufzeit eines Lkw.

Heute hängen diese Gesamtkosten stark von den Preisen für Diesel ab – und morgen von den Preisen für Strom und Wasserstoff. Je nachdem, wie sich diese Preise entwickeln, wird es für Nutzfahrzeug-Kunden lohnenswerter sein, sich für einen Batterie-Antrieb zu entscheiden oder für einen Brennstoffzellen-Antrieb. Vor allem bei Lkw und Bussen für die Langstrecke werden die Energiepreise die Kaufentscheidung wesentlich beeinflussen. Deren künftige Höhe lässt sich jedoch nicht vorhersagen – und damit auch nicht der künftige Mix von Batterie- und Brennstoffzellen-Fahrzeugen. Das bedeutet: Wer heute keine Wasserstoff-Antriebe entwickelt, ist morgen bei einem möglicherweise boomenden Markt für Wasserstoff-Modelle außen vor.

Eine Ergänzung ist noch wichtig. Neben Brennstoffzellen gibt es einen weiteren Wasserstoff-Antrieb: den Wasserstoff-Verbrennungsmotor. Bei Lkw mit Aufbauten wie beispielsweise Baustellenfahrzeugen, die für diese Aufbauten deutlich mehr Energie benötigen als für den reinen Fahrbetrieb, ist diese Technologie eine gute CO2-freie Alternative. Wir verfolgen die aktuelle Diskussion um den Wasserstoff-Verbrenner deshalb sehr aufmerksam. Wenn dieses Konzept politisch aus guten Gründen unterstützt wird, sind wir gut vorbereitet und können schnell entsprechende Serienfahrzeuge anbieten.

Ein zweiter Grund für unsere Doppelstrategie ist die Infrastruktur. Ein paar Fakten verdeutlichen, was es bedeuten würde, wenn emissionsfreie Lkw in Zukunft ausschließlich mit Batterien betrieben würden. Dann müsste nämlich jede Autobahnraststätte über eine Größenordnung von 20 bis 50 Ladestationen verfügen. Und jede Ladestation müsste für Megawatt-Laden ausgerüstet sein. Das heißt: Jede Raststätte hätte den Energiebedarf einer Kleinstadt.

Eine solche Lade-Infrastruktur gibt es nur im Konjunktiv. Eine öffentliche Ladekapazität in dieser Größenordnung flächendeckend bereitzustellen, ist schlicht nicht realistisch. Das würde den Stromnetzausbau hoffnungslos überfordern. Schon allein aus diesem Grund brauchen wir für Lkw – parallel zur Batterie – in Zukunft also auch Wasserstoff.

Hinzu kommt: Das Beratungsunternehmen McKinsey hat in einer Studie festgestellt, dass es mit Blick auf die Kosten günstiger ist, nicht nur eine Infrastruktur aufzubauen, sondern zwei. Intuitiv würde man vielleicht ein anderes Ergebnis erwarten. Aber die Skalierung einer Infrastruktur nur für Batterien auf ein extremes Volumen ist teurer als die Skalierung von zwei Infrastrukturen – eine für Batterien und eine für Wasserstoff – auf ein mittleres Volumen.

Beim dritten Grund geht es um den Energiebedarf unseres Kontinents. Um Europa nachhaltig zu machen, müssen wir die aus fossilen Rohstoffen produzierte Energie komplett durch grüne Energie ersetzen. Dabei geht es um so gewaltige Mengen, dass wir sie im vergleichsweise sonnenarmen Europa nicht erzeugen können. Die gute Nachricht: Weltweit steht mehr als ausreichend grüne Energie zur Verfügung: Jeden Tag trifft 15 Mal so viel Sonnenenergie auf die Landmasse der Erde, wie wir global in einem ganzen Jahr verbrauchen. Wir müssen sie nur einfangen und dorthin transportieren, wo sie benötigt wird. Dazu ist allerdings ein kohlenstofffreier Energieträger vonnöten, der weltweit gehandelt werden kann – und schon sind wir wieder beim Wasserstoff.

Wir können somit festhalten: Die nachhaltige Wirtschaft von morgen erfordert den Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft – und es gibt gute Gründe, diesen Energieträger auch für Lkw und Busse zu nutzen. Nutzfahrzeughersteller fahren deshalb am besten zweispurig in die Zukunft.