Was machen Sie anders als traditionelle Automobilisten?
Wir verzichten beispielsweise auf Presswerke, die sehr teuer sind. Stattdessen setzen wir auf einen Aluminium-Spaceframe für das Fahrzeug. Auch eine katalytische Tauchlackierung, die man im herkömmlichen Fahrzeugbau benötigt, gibt es in unserer Fertigung nicht. So waren wir in der Lage, mit vergleichsweise geringen Investitionen unser erstes Werk aufzubauen. Und diesen Preisvorteil geben wir an die Kunden weiter.
Hat das nicht auch Einschränkungen zur Folge?
Wir haben jetzt das Werk 1 und Werk 2 und werden bald ein drittes Werk 3 in Betrieb nehmen, in dem wir den e.GO Mover bauen werden. Der Mover ist ein neues Konzept. Etwa in den Abmessungen eines Kleinbusses können damit bis zu 15 Personen transportiert werden.
Wir sind Deutschlands jüngster OEM, also ein echter Hersteller und keine Manufaktur. Im Vergleich zu anderen Herstellern bauen wir aber in Kleinserie. Wir haben eine Taktzeit von 10 Minuten und nehmen uns vor im Einschichtbetrieb innerhalb von 12 Monaten 10.000 Exemplare unseres elektrischen Kleinwagens e.GO Life zu fertigen.
Wir verfolgen einen Low Capex Ansatz. Im Werk 1, in dem die Montage vom Life stattfindet, ist der Automatisierungsgrad niedrig und Mitarbeiter montieren an 29 Stationen das Auto. Im Werk 2 bauen wir den Spaceframe, also den Rahmen robotergestützt und automatisiert. Die gesamte Produktion ist digitalisiert und entspricht der Industrie 4.0. So können wir agil schnell auf andere Derivate wechseln. Gleichzeitig ist es auf diese Weise möglich, den Kunden günstig einen sehr hohen Individualisierungsgrad anzubieten.
Was kann man sich unter dem neuen Konzept des Movers vorstellen?
Die Mover sind kleinere elektrische Busse, mit denen wir im nächsten Jahr auf den Markt kommen. Diesen werden wir als Level 0, ohne jegliche Assistenzsysteme, und als Level 4 hoch automatisiert anbieten. Beginnen werden wir mit Movern, die nicht hochautomatisiert sind.
Parallel zur Fahrzeugentwicklung investieren wir in On-Demand-Services, die ähnlich aufgebaut sind wie ein Uber. Ein Nutzer könnte beispielsweise über eine App einen Mover als Shuttle bestellen und wäre damit nicht mehr an Fahrpläne gebunden. Daher arbeiten wir vor allem mit Kommunen zusammen, um das Thema Mobilität grundsätzlich neu zu gestalten, wie etwa mit Mobilitäts-Hubs. Dabei werden bereits Konzepte in Dimensionen wie Flugtaxis mitgedacht. Tatsächlich werden im Forschungsbereich derzeit sehr viele unterschiedliche Ideen diskutiert und verfolgt. Die digitale Vernetzung und neue Netze wie 5G eröffnen viele weitere Optionen für digitale Services.
Kernthema des Unternehmens bleiben aber die Fahrzeuge?
Zusätzlich zu den unterschiedlichen Fahrzeugmodellen wollen wir uns mit der e.GO Digital GmbH diversifizieren. Denn mit dem digitalen Fahren gibt es unterschiedliche Möglichkeiten für Mehrwerte. Wenn man sich künftig nicht mehr so stark auf das eigentliche Fahren konzentrieren muss, was passiert in dieser freien Zeit? Es werden neue Services entstehen. Die meisten bieten wir heute noch nicht an, aber wir arbeiten schon daran.
Kommen wir zum Thema Reichweite.
Das ist tatsächlich der große Knackpunkt beim Thema Elektromobilität! Da gibt es derzeit auch noch einige offene Fragen. Die vergleichsweise geringe Reichweite und die Frage, wie die Akkus aufgeladen werden, bilden noch eine sehr hohe Hemmschwelle bei der Verbreitung von Elektromobilität. Viele Anbieter setzen auf Leasing-Modelle bei Akkus. In unserem Fall gehört die Batterie dem Kunden.
Aber es kann nicht die Lösung sein, einfach größere Ionen-Lithium-Batterien zu verbauen, denn damit handelt man sich andere Nachteile wie beispielsweise ein höheres Gewicht, oder höhere Preise ein. Derzeit bekommt man ab 15.900 Euro ein Auto bei uns. Um diesen Preis auch mit größeren Reichweiten zu erreichen, müsste man schon sehr stark rationalisieren.
Gibt es zum Lithium-Ionen-Akku Alternativen?
Wir arbeiten mit der e.GO REX GmbH zusammen an einer Range Extender Brennstoffzelle. Dieses Brennstoffzellensystem lädt nicht die Fahrzeuge direkt, sondern die Batterie. Dadurch kann das System schnell in bestehende Fahrzeuge implementiert werden. Vorteil ist außerdem, dass man dieses System – ähnlich wie bei fossilen Brennstoffen – schnell tanken kann. Gleichzeitig bekommt man geräuscharm und emissionsfrei eine hohe Leistungsfähigkeit.
Die Brennstoffzelle wird seit Mitte der 90er-Jahre diskutiert.
Ja, tatsächlich war das eine der großen Wellen dieser Technologien. Aber ich glaube, dass Jules Verne recht hatte, als er vor mehr als 100 Jahren sinngemäß sagte: »Wasser ist die neue Kohle«. Doch noch immer gibt es Hürden für diese Technologie, die unter anderem auch in der Fertigungstechnik liegen. Der Verbrennungsmotor hat 100 Jahre Entwicklungszeit hinter sich. Die Entwicklung neuer Batterie-Technologien wie etwa die Feststoffbatterie dagegen vollzieht sich langsam und ist sehr teuer. Geben Sie uns noch ein wenig Zeit und Vertrauen.
Hat der Verbrennungsmotor in den nächsten Jahren noch eine Chance?
Als Tisch fürs Wohnzimmer? Auf jeden Fall! Jetzt ernsthaft, Otto- oder Dieselmotoren werden nicht plötzlich sterben. Das ist auch nicht notwendig. Wir halten Mischformen wie Hybride derzeit für eine sehr gute Lösung. Wie gesagt, unser Ziel ist es lokal emissionsfrei zu sein. Für längere Strecken kann man auf andere Verkehrsmittel ausweichen, gegebenenfalls auch auf Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor bzw. Hybride. In den nächsten Jahren wird die Anzahl der Verbrennungsmotoren sicherlich immer weiter sinken, das wird nicht schlagartig passieren. Dieser Übergang wird sich wohl ein paar Jahrzehnte hinziehen.
Warum ausgerechnet Aachen als Standort für Elektrofahrzeuge?
Als Produktioner kann ich da nur sagen: Wenn nicht hier wo sonst? Wir haben in Aachen einen der größten Forschungsstandorte Europas. Auch das Wissen im Bereich Produktion, das hier generiert wird, ist ein wichtiger Faktor. Unser Gründer Professor Schuh wollte schon immer ein ziviles Fahrzeug entwickeln. Zunächst hat er die StreetScooter GmbH gegründet, die er 2014 an die Post verkauft hatte. Mit diesem Wissen hat Professor Schuh dieses neue Projekt gestartet. Eine gute Idee, viele motivierte Leute, dann ist es passiert!
Inzwischen schaffen wir massiv Arbeitsplätze in der Region, im Januar hatten wir zuletzt 318 Festanstellungen, wir bauen weiter aus und ziehen auch Tier-One-Firmen an, wir bilden einen neuen Automobil-Standort und das vollkommen elektrisch. Da kann man sehr stolz drauf sein.
Wichtiger Punkt ist das Vertrauen der Kunden und auch der Mitarbeiter. Wir haben mehr als 3000 Vorbestellungen und wir könnten noch mehr haben, haben die Möglichkeit der Vorbestellung aber aktuell begrenzt.
Sie waren selbst lange am Fraunhofer IPT und haben Sich dort unter anderem mit dem Thema »Additive Fertigung« und »Prozesstechnologe für das drahtbasierte Laserauftrag-schweißen (Wire-based Laser Metal Deposition, kurz: LMD-W)« beschäftigt. Spielt dieser Hintergrund bei Ihrer aktuellen Tätigkeit noch eine Rolle?
Additive Fertigung hat durchaus Charme, sie räumt als disruptive Technologie mit etablierten Technologien auf, aber man kann das an einem Fahrzeug, nur einsetzen, wenn es sinnvoll ist. Je günstiger ein Bauteil ist, desto schwieriger ist es, das konkurrenzfähig im Druck herzustellen. Derzeit ist diese Technologie vor allem im Flugzeugbau interessant. Bei den Automobilisten kommt das Thema langsam an. Beim Auto ist vieles machbar, beispielsweise gedruckte Inlays für Dekorteile im Innen- und Außenbereich, jedoch mangelt es am letzten Feinschliff. Bei metallischen Bauteilen in Massenfertigung sind wir aber noch nicht ganz so schnell.
Für das Erstellen von Prototypen nutzt dieses Know-how und hilft uns bei der Entwicklung. Denn wir setzen auf »Releases statt Freezes«. Wir setzen auf einen hochiterativen Prozess. Dafür sind schnell gefertigte seriennahe Prototypen essentiell. Das heißt neue Ideen werden entwickelt, ausprobiert und dann auch sehr zeitnah in der Konstruktion umgesetzt.
Was haben Sie neben dem Fachlichen noch von Ihrer Zeit bei Fraunhofer mitgenommen?
Ich war fünf Jahre und zwar bis Sommer vergangenen Jahres am IPT und habe dort zuletzt als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand unterschiedliche nationale und internationale Projekte zu »Additive Fertigung« und »Prozesstechnologien« für das draht-basierte Laserauftragschweißen (Wire-based Laser Metal Deposition, kurz: LMD-W) geleitet. Neben der grundsätzlichen hohen Attraktivität der Fraunhofer-Gesellschaft sind es vor allem die vielfältigen Industriekontakte, von denen ich profitiert habe. Mit mehr als 70 Instituten trifft man natürlich auch sehr viele Menschen und viele kluge Köpfe. Als Beispiel möchte ich hier das Fraunhofer-Leitprojekt e3 Produktion unter Leitung des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz hervorheben. Diese Vielfalt macht wirklich Spaß und man findet das so bei keiner anderen Organisation.
Wir danken für das Gespräch, Herr Klingbeil.