Geht es um Klimaneutralität, ist meist von regenerativer Stromerzeugung die Rede. »Der Schlüssel zur Energiewende ist jedoch die Wärmewende«, weiß Prof. Rolf Bracke, Leiter der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG. Schließlich fließen 56 Prozent des jährlichen Endenergiebedarfs in die Wärmeerzeugung für Industrie, Fernwärme und Gebäude. Dagegen werden nur 14 Prozent der Primärenergie für die Stromerzeugung benötigt. »Wollen wir klimaneutral werden, müssen wir die Wärme aus erneuerbaren Quellen erzeugen. Die Solarthermie wird aufgrund ihres Platzbedarfes eine Nische bleiben. Bei der Biomasse bestehen nicht mehr viele Zuwachsmöglichkeiten – wir können nur so viel Holz verbrennen, wie heimisch nachwächst. Bleibt am Ende die Geothermie übrig«, sagt Bracke. Alleine der Bedarf für Raumwärme und Warmwassererwärmung in Gebäuden beträgt 31 Prozent am deutschen Endenergiebedarf. Während die Oberflächen-Geothermie im Wohnungsbau bereits in einem deutlich zweistelligen Prozentsatz bei Neubauvorhaben eingesetzt wird und die mitteltiefe Geothermie viele Nahwärmenetze für die Quartiersversorgung speist, gibt es bei der Tiefengeothermie nur wenige Großprojekte. Denn der Aufwand ist deutlich höher: Statt hundert Meter wie bei der Oberflächen-Geothermie bohrt man bei der Tiefengeothermie mehrere Tausend Meter tief, das Wasser hat dort eine Temperatur von 100 bis 150 Grad Celsius – aufgrund des hohen Druckes ist es bei diesen Temperaturen noch flüssig. Mit den Wärmemengen aus der Tiefengeothermie lassen sich die bestehenden Fernwärmenetze betreiben. Wichtig ist das insbesondere in den dicht bebauten Städten, wo nicht jedes Haus mit Oberflächengeothermie erschlossen werden kann. Zudem ist die Tiefengeothermie für industrielle Prozesse, Gewächshäuser, Bäckereien oder die Papierherstellung interessant, die mehr Energie brauchen als ein Eigenheim.
»Auch für die industrielle Prozesswärme bis 180 Grad könnte man Tiefengeothermie nutzen, etwa zusammen mit Großwärmepumpen – das entspricht bis zu einem Drittel des gesamten industriellen Wärmebedarfs«, sagt Bracke. Eine Kombination, mit der sich auch die Fraunhofer IEG beschäftigt. So entwickelte das Forscherteam gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT ein Konzept, um den wärmeintensiven Papiererzeugungsprozess einer Hagener Papierfabrik auf Tiefengeothermie samt Großwärmepumpe sowie ergänzendes Biogas umzustellen. »Die Vorlaufkosten der Tiefengeothermie sind zwar deutlich höher als bei Wärmequellen, die auf fossilen Brennstoffen basieren, doch belaufen sich die Betriebskosten nur auf 20 bis 25 Prozent. Daher hat sich eine Tiefenbohrung je nach Standort in fünf bis 15 Jahren amortisiert«, weiß Bracke. Über eine Tiefenbohrung denkt daher auch die RWE Power AG nach: Gemeinsam mit der Fraunhofer IEG entwickelt sie ein Geothermie-Kraftwerk, das den Aachener Raum ab 2029 mit regenerativer Wärme versorgen könnte. Denn dann wird dort das letzte RWE-Braunkohlekraftwerk heruntergefahren, welches das Aachener Fernwärmenetz versorgt. Auch mit den Stadtwerken Düsseldorf und Duisburg sowie dem Flughafen Düsseldorf arbeitet die Fraunhofer IEG in puncto geothermische Wärmenetze zusammen.
Einen gänzlich eigenen Ansatz verfolgt die Fraunhofer IEG im Ruhrgebiet, das durch den Kohlebergbau mehr oder weniger unterkellert ist. »In Bochum wollen wir Zechen als saisonale Wärmespeicher nutzen, etwa für Abwärme aus der Industrie. Als Demonstrator bauen wir derzeit eine große Concentrated-Solar-Power-Anlage auf. Mit dieser heizen wir das 20 Grad warme Grubenwasser auf 70 Grad auf, um es dann bei Bedarf über eine Großwärmepumpe auf die Fernwärmetemperatur von 110 Grad zu bringen. Dieser Ansatz, leicht verfügbare Wärme noch mal zu verwerten, kann ein Schlüssel für die Wärmewende der Ballungsräume an Rhein und Ruhr werden«, freut sich Bracke. Die Großwärmepumpe aus der Fraunhofer IEG soll 2022 installiert werden.
Das Fraunhofer IEE dagegen macht sich für Niedertemperatur-Netze stark: Statt den derzeitigen 90 bis 120 Grad Celsius haben diese nur 40 bis 50 Grad. Wie sich solche Netze unter den unterschiedlichsten Randbedingungen realisieren lassen, zeigt ein Handbuch auf, das das Fraunhofer IEE gemeinsam mit dem Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK sowie europäischen Forschungspartnern erstellt hat. »Diese Niederwärmenetze bieten zahlreiche Vorteile«, weiß Dr. Dietrich Schmidt, Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE. »So stehen in diesem Temperaturbereich deutlich größere Mengen an nutzbarer Abwärme sowie an Wärme aus geothermischen Quellen zur Verfügung. Auch die Effizienz von Wärmepumpen und Solarthermie-Anlagen steigt bei geringeren Temperaturen.« Nicht zuletzt werden vorhandene Rohre entlastet und Transportverluste minimiert. Die potenziellen Einsparungen summieren sich europaweit insgesamt auf 14 Milliarden Euro pro Jahr. Wer sich hohe Ziele steckt, muss offensichtlich in alle Richtungen blicken. Nach oben, zu Sonne und Wind. Aber auch nach unten, tief in die Erde.