Geerntetes Saatgut einfach aufs Feld bringen? Keine gute Idee. Denn auf der Schale des Saatguts tummeln sich Pilze, Viren und Bakterien, die die Erträge drastisch senken würden. Saatguthersteller rücken diesen Erregern daher mit chemischen Beizmitteln zu Leibe. Doch das hat seine Nachteile: Da das Beizmittel am Saatgut haften bleibt, hantiert der Landwirt beim Ausbringen der Saat mit potenziell gefährlichen Stoffen, die ihm, der Natur und dem Boden schaden können. Auflagen sollen die Gefahr für die Umwelt eindämmen: In Grundwasserschutzgebieten ist gebeiztes Saatgut tabu, auch darf es nicht bei stärkerem Wind ausgebracht werden, da der Beizstaub mit Wirkstoff weggetrieben werden kann, Saatgut-Reste gelten als Sondermüll. Zudem wurden zahlreiche fungizide Beizmittel bereits verboten, von vormals über 20 Wirkstoffgruppen bei den Fungiziden sind nur noch wenige übrig. Doch ganz ohne geht es nicht – der Einsatz der verbleibenden Beizmittel wird daher Jahr für Jahr per Notfall- und Sonderzulassungen erneut genehmigt.
Chemiefrei, nachhaltig und erprobt
Die E-VITA GmbH, ein Joint Venture des Fraunhofer-Instituts für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP und der Ceravis AG, dürfte diesem Prozedere bald ein Ende bereiten: Statt Pilze und Co. auf dem Saatgut mit Beizmitteln zu beseitigen, setzt sie auf beschleunigte Elektronen – und schafft damit eine chemiefreie, nachhaltige, erprobte und wirtschaftliche Alternative. Den unmittelbaren gesellschaftlichen Nutzen sahen auch Fraunhofer Venture und der High-Tech Gründerfonds und verliehen dem jungen Unternehmen den Fraunhofer-Gründerpreis.
Das Prinzip der Elektronenbehandlung ist schnell erklärt: Das Saatgut wird mit energiereichen Elektronen beschossen, wobei die Schadorganismen effektiv abgetötet werden – das Innere des Saatkorns samt Embryo und Endosperm bleibt vollkommen intakt. »Das Ergebnis ist sauberes Saatgut, das keinerlei schädliche Stoffe enthält, keine Toxine an Mensch oder Umwelt abgeben und bei Wind sowie in Wasserschutzgebieten ausgebracht werden kann – ja, es darf sogar verfüttert werden«, begeistert sich André Weidauer, Geschäftsführer der E-VITA GmbH. Auch müssen die Landwirte für elektronenbehandeltes Saatgut nicht tiefer in die Tasche greifen als für gebeiztes. »Die Landwirte haben somit eine starke Motivation, E-VITA Saatgut zu kaufen: Sie erhalten nachhaltiges Saatgut in besserer Qualität zum gleichen Preis«, fasst Weidauer zusammen.
Kleinere Elektronenquelle schafft Wirtschaftlichkeit
Der große Durchbruch für das Verfahren, das bereits seit den 80er-Jahren bekannt ist, gelang durch zwei Entwicklungen: Der erste Schritt lag darin, das vollautomatisierte stationäre System der Großanlagen in eine mobile Anlage zu überführen. Diese befindet sich auf einem Lkw in einem 40-Fuß-Container und kann 25 Tonnen Saatgut pro Stunde aufbereiten. Der zweite, wichtigere Schritt: Den Forschern des Fraunhofer FEP gelang es, die Elektronenquelle deutlich kleiner zu gestalten – damit legten sie die Basis für Anlagen, die auch bei einem geringeren Durchsatz von acht Tonnen pro Stunde wirtschaftlich sind. »Das war der Meilenstein, auf dem wir die Ausgründung E-VITA gebaut haben«, freut sich Weidauer. Mitte 2022 möchte E-VITA den Piloten einer solchen Kleinanlage fertigstellen, der in einem 20-Fuß-Container Platz findet. Langfristig möchte das junge Unternehmen mit den Kleinanlagen einen Marktanteil von bis zu 50 Prozent ergattern – zunächst deutschland-, dann auch europaweit.