»Man braucht revolutionäre Kräfte!« IAO-Alumnus Felix Fremerey im Gespräch
von Martin Schindler
Die rund sieben Jahre am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO haben Dr. Felix Fremerey entscheidend geprägt. Sein Grundsatz, den er vom Stuttgarter Fraunhofer-Standort mitgenommen hat, begleitet ihn auch heute noch als Vorstandsmitglied der österreichischen Semperit AG und als Aufsichtsrat der Lenzing AG. Fremerey steht als Manager von innvoativen Unternehmen im regen Austausch mit verschiedenen Fraunhofer-Instituten und bricht eine Lanze für den effektiven Einsatz von Forschungsmitteln sowie einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Umwelt und der in seinen Augen wichtigsten Ressource, dem Menschen.
Herr Fremerey, was hat Sie 1987 bewogen, beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO anzufangen?
Nach einigen Stationen in der freien Wirtschaft stellte ich fest, dass man vor allem in großen Unternehmen auf bestimmte Themen festgelegt ist. Also habe ich mich nach Alternativen umgesehen. Die zahlreichen Industrieprojekte und die industrienahe Forschung des IAO haben für mich den Ausschlag gegeben. Zudem ist das Stuttgarter Institut nicht auf eine Branche festgelegt, was ich ebenfalls sehr spannend fand. Die Forschungsbandbreite reicht von urbanen Wohnkonzepten über Mobilitätssysteme, Arbeitsgestaltung und Modern Citys bis hin zur Optimierung von Produktionsabläufen. Durch die Nähe zur Industrie ermöglicht es das IAO viele verschiedene Ansätze auszuprobieren und neue Ideen zu entwickeln. Forschung und Anwendungsorientierung werden dort wunderbar kombiniert. Ich würde das heute genauso wieder machen.
Sie waren von 1987 bis 1993 am IAO, welche Projekte verfolgten Sie in dieser Zeit?
In der Abteilung für Produktionsmanagement, damals unter der Leitung von Prof. Dr. Hans-Jörg Bullinger, habe ich zahlreiche Industrieprojekte durchgeführt. Als Leiter der Abteilung für Produktionsplanung habe ich in einem größeren Verbundprojekt eine Branchen-Software für Zulieferer entwickelt. Die Besonderheit dieses Montage- und Planungssystems war die Abbildung unterschiedlicher Planungsstufen. Bei diesem Projekt ist mit Unterstützung von Prof. Dr. Hans-Jürgen Warnecke als zweitem Doktorvater auch meine Dissertation entstanden.
Wie haben Sie die Zeit bei Fraunhofer wahrgenommen?
Diese Erfahrungen und auch das Umfeld haben mich sehr geprägt. Ich kann sogar sagen, dass dadurch meine Grundausrichtung festgelegt wurde.
Wie lautet die?
In einem Unternehmen muss ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Mensch, Technik und Organisation herrschen. Mit diesem Ansatz bin ich auch bei nachfolgenden Projekten immer gut gefahren.
Was hat Sie während dieser Zeit besonders beeindruckt?
Ich habe als Abteilungsleiter die Modellfabrik für Montage und Logistik am IAO mit aufgebaut, die sehr interessante Einsichten ermöglicht. Das war für mich eine wichtige und zentrale Erfahrung. Hier lassen sich unter fast idealen Bedingungen unterschiedlichste Methoden oder Technologien testen und erproben.
Zu meiner Zeit am IAO haben Unternehmen teilweise noch Akkord-Systeme eingesetzt, um Aufträge durch die Produktion zu bekommen. Daher haben wir uns an dieser Stelle mit der Gestaltung von Entlohnungssystemen auseinandergesetzt. Einer meiner Schwerpunkte war die Einführung neuer Konzepte der Arbeitsorganisation wie etwa JIT oder KanBan. Wir haben auch Ansätze wie Lean-Production, Leitstands- und Steuerungskonzepte sehr genau untersucht.
Das sind sehr breit gefächerte Fragestellungen …
Mit Hilfe dieses Modells haben wir mittelständische und große Unternehmen aus der Automobil- und Zulieferbranche sowie eine Reihe von Maschinenbauern beraten. Ein sehr großer Vorteil des Fraunhofer-Modells ist die Möglichkeit der Zusammenarbeit interdisziplinärer Teams. Dennoch stand ich an einem gewissen Punkt vor der Entscheidung, ob ich in der Forschung bleibe oder in die Industrie wechsle.
Sie sind mit großem Erfolg in die Wirtschaft gegangen, aber was hat Sie letztlich zu diesem Schritt bewogen?
Die Fraunhofer-Gesellschaft ist ein toller Arbeitgeber. Aber ich halte sehr viel davon – vor allem im Forschungsumfeld – dass sich das Humankapital verjüngt. In einer Organisation wie der Fraunhofer-Gesellschaft braucht es Dynamik, man braucht revolutionäre Kräfte. Sonst beschäftigt man sich immer wieder mit den gleichen Fragen.
Das spricht für das Modell befristeter Verträge.
Man braucht natürlich Kräfte, die das Geschäft verstehen und Erfahrung mitbringen. Auf der anderen Seite benötigt man auch ein großes Volumen neuer Ideen! Daher halte ich befristete Verträge für ein mögliches Instrument. Man kann es mit einem Club vergleichen: Irgendwann tritt eine Überalterung ein. Dem kann man nur durch eine permanente Verjüngung entgegenwirken. Es ist enorm wichtig, dass Fachkräfte mit Fraunhofer-Hintergrund in der Wirtschaft und in Unternehmen Erfahrungen sammeln und diese wieder in die Institute und die Fraunhofer-Gesellschaft zurückspiegeln.
Sind Sie deshalb seit einigen Jahren Mitglied in unserem Fraunhofer-Alumni e.V.?
Ich nutze tatsächlich sehr oft das Netzwerk der Fraunhofer-Gesellschaft, meist, um bei spezifischen Fragestellungen schnell einen Kenntnisstand zu bekommen.
Gerade im Forschungsumfeld gilt es häufig, eine große Anzahl an Informationen einzuordnen. Kontakte zu Fraunhofer helfen dabei enorm. Daher stehe ich nach wie vor in regelmäßigem Kontakt mit Prof. Dr. Wilhelm Bauer oder auch mit Prof. Dr. Thomas Bauernhansel, dem Instituts- und Bereichsleiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. So kommt man mit einer Fragestellung schnell an das richtige Institut und die entsprechende Abteilung. Natürlich geben auch die verschiedenen Publikationen und Informationskanäle, wie etwa die Fraunhofer-Homepage oder die Fraunhofer-Publikation Orientierung.
Sie suchen also über den Fraunhofer-Alumni e.V. gezielt nach Informationen und Lösungen für konkrete unternehmerische Herausforderungen?
Auf jeden Fall. Die Fraunhofer-Gesellschaft ist hier ein begehrter Partner. Wir forschen beispielsweise bei der Semperit AG sehr intensiv im Bereich der Polymere, diese spielen bei Gummimischungen und Compoundings eine große Rolle. Ein Beispiel: Bei Handschuhen - vor allem für den medizinischen Einsatz - existieren viele Patente. Wenn man mit neuen Produkten auf dem Markt eine Chance haben will, muss man sehr genau prüfen, ob man dadurch nicht bestehende Schutzrechte verletzt. Da sind dann Alternativen gefragt.
Aber auch in vielen anderen Bereichen bietet die Fraunhofer-Gesellschaft interessante Technologien, wie ich als Mitglied des Aufsichtsrats der Lenzing AG, einem der größten und innovativsten Hersteller von Zellstoff und holzbasierten Fasern, berichten kann. Die Lenzing AG gewinnt unter anderem die Fasern Viskose, Modal und Lyocell. Auch in diesem Bereich bin ich bei der Fraunhofer-Gesellschaft auf viele interessante Projekte gestoßen. Inzwischen unterhält die Lenzing AG einen regen technischen Austausch.
Sehen Sie als hochrangiger Manager Technologie-orientierter Unternehmen die derzeit häufig heraufbeschworene Gefahr, dass in Europa zu wenig in neue Technologien investiert wird?
Tatsächlich kann gar nicht genug in neue Technologien investiert werden. Aber man sollte aus meiner Sicht die Forschung ganz allgemein effektiver und konsequenter gestalten. Das kann bedeuten, dass man einzelne Gebiete aufgibt, um gezielter und mit mehr Engagement an weniger Projekten zu arbeiten. Ich halte wenig davon, immer auf allen Hochzeiten tanzen zu müssen.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Fraunhofer-Gesellschaft?
Die Fraunhofer-Gesellschaft ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Diese Größe birgt viele Vorteile. Bei über 70 Instituten, Verbünden und Clustern gibt es auch viele Überlappungen. Für außenstehende Unternehmen ist das aber teilweise überfordernd. So engagieren sich beispielsweise inzwischen zahlreiche Fraunhofer-Institute im Bereich Digitalisierung. Eine Diversifizierung ist zwar gut, sollte aber aus meiner Sicht nicht zu weit getrieben werden. Wenn eine Technologie parallel an zwei Stellen entwickelt wird, geht das zu Lasten der Effektivität. Man konkurriert ja an der einen oder anderen Stelle auch um Drittmittel. Eine klarere Abgrenzung würde es für die Industrie einfacher machen, richtige Ansprechpartner zu finden.
Bleiben wir doch bei der Forschung. Wo sehen Sie aktuell die größten Risiken für den wissenschaftlichen Fortschritt?
Die größte Gefahr sehe ich momentan in nationalen Isolierungen und Alleingängen einzelner Nationen. Eine der größten Herausforderungen für die Menschheit ist sicherlich das nachhaltige Wirtschaften mit Ressourcen. Da kommen sehr viele Themen zusammen wie etwa die Plastik-Verschmutzung oder der CO2-Ausstoß. Dieses Problem löst man sicher nicht durch Abgrenzung und übertriebenen Nationalismus.
Eine große Chance, diese Probleme in den Griff zu bekommen, liegt in der international vernetzten Digitalisierung im Allgemeinen und im Besonderen in der Automatisierung und Digitalisierung von Wertschöpfungsprozessen. Auch mit neuen Verfahren und neuen Materialien werden wir zahlreiche Probleme in den Griff bekommen können.
Aber der größte, oder sagen wir übergreifende Block, ist die menschliche Ressource. Neben einer guten Ausbildung brauchen wir eine ausgewogene Sozial-Verteilung. Damit meine ich vor allem, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter aufgehen darf. Für eine gesunde Volkswirtschaft ist es unerlässlich, dass das Zusammenleben auf und zwischen den Kontinenten funktioniert.
Wie kann das erreicht werden?
Hier können weder Staaten noch Unternehmen aus der Verantwortung genommen werden. Aber ich möchte auch klarstellen, dass es hier keine Patentrezepte gibt. Dennoch sollten Unternehmen Demokratien unterstützen und ausgewogene Mitarbeiterstrukturen anstreben. Vor allem aber sollte das Thema Umwelt in jeder Hinsicht ernst genommen werden: In der Produktion und bei den Produkten.
Wir danken Ihnen für das Gespräch, Herr Fremerey!
Felix Fremerey leitet seit September 2018 als Vorstandsmitglied der österreichischen Semperit AG Holding den Sektor Medizin und den Bereich Manufacturing Engineering. Er studierte Wirtschaftsingenieurswesen an der Technischen Universität Karlsruhe und promovierte am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Kooperation mit der Universität Stuttgart. Am IAO hat der Maschinenbauer und Wirtschaftsingenieur als Abteilungsleiter Produktionsplanung einige neue Arbeitsgebiete wie etwa Leitstandskonzepte, Lean Production oder eine Modellfabrik aufgebaut. Fremerey bekleidete bei mehreren international agierenden Großunternehmen Leitungsfunktionen. Er war als Technikbereichs-Vorstand bei der GEA AG, einem Maschinen- und Anlagen-Konzern, er verantwortete als Vorstand den Bereich Product Supply Management bei der Paul Hartmann AG, einem Spezialisten für Medizin- und Hygiene-Produkte, war Beirats-Mitglied des Logistikdienstleisters Logistics Group International (LGI) und führte als Geschäftsführer die Kajo Neukirchen Group. Zuletzt war Felix Fremerey Geschäftsführer Technik (CTO) bei der B&C Industrieholding. Der gebürtige Deutsche sitzt zudem im Aufsichtsrat der Lenzing AG, dem Weltmarktführer bei Spezialfasern aus dem natürlichen Rohmaterial Holz für Textilien und Vliesprodukte.
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