Alumni-Spotlight - Lars Schubert, Fraunhofer IPA

Als Gründer und CEO des international aufgestellten ERP-Anbieters iFAKT leistet Lars Schubert einen wichtigen Beitrag für die Digitalisierung deutscher Unternehmen. Beim Wissensauschtausch zwischen Forschung und Mittelstand fordert der Fraunhofer-IPA-Alumnus neue Kooperationsformen.

»Duale Forschende« - Fraunhofer-Alumnus Lars Schubert fordert mehr Wissenstransfer in den Mittelstand

Lars Schubert, Founder and CEO of Ifakt
© iFAKT

Der aktive Fraunhofer-Alumnus und Mentor hat nach seiner Zeit am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA im Jahr 2001 das Software- und Beratungsunternehmen iFAKT gegründet, das er auch heute noch erfolgreich führt. Die Industrie 4.0-Software steuert Logistik, Produktion und Unternehmensprozesse und kann mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Vorhersagen treffen. Schubert ist außerdem Co-Leader und Gründer des auf Forschung und Entwicklung spezialisierten Dienstleisters »Steinbeis-Innovationszentrum New Technologies to Market«.

 

Herr Schubert, einen Anbieter von ERP-Software zu gründen ist kein alltäglicher Schritt, wie kam es dazu?

Ich wurde noch während meiner Zeit am IPA von einer Ausgründung aus dem IAO angesprochen, welche innerhalb kurzer Zeit von Dassault Systèmes übernommen wurde, einem internationalen Anbieter einer PLM - Software, mit der sich globale Industrieprozesse digital simulieren lassen. Dort war ich hauptsächlich für den Kunden VW verantwortlich. Nach dem ersten Internet-Hype Ende der 90er wurde das Thema »Software-as-a-Service« interessant. Eine erste Gründung in diesem Bereich wagte ich mit der AGILeVIA GmbH. Das Unternehmen entstand mit Unterstützung von Professor Hans-Jürgen Bullinger.

2001 habe ich mit der iFAKT GmbH die Gründung meines eignen Unternehmens gewagt. Die Idee dazu ist im Umfeld der »digitalen Fabrik« entstanden. In diesem Bereich haben Anwender hohen Beratungsbedarf. Das funktioniert bislang vor allem bei großen Unternehmen der Luftfahrtindustrie und des Automotive-Bereichs sehr gut.

Der Mittelstand hat dagegen in Sachen Digitalisierung aus meiner Sicht Nachholbedarf. In diesem Segment verlässt man sich nach wie vor auf Office-Software Lösungen. Dafür gibt es gute Gründe: Nur wenige mittelständische Betriebe können für ein Softwareimplementierungsprojekt sechs Monate Beratungsleistungen einkaufen. Unsere Idee ist es daher, Digitale-Fabrik-Lösungen auch kleineren Organisationen anzubieten. Bislang sind wir vor allem für große Unternehmen aus der Luftfahrtindustrie und dem Automotive-Bereich tätig. Seit einigen Jahren etabliert sich unsere Lösung aber auch im Mittelstand. Wir haben von Beginn an mit Beratungsleistungen Umsätze gemacht, denn im Bereich ERP-Software ist der Anteil der Beratung immer sehr hoch. Seit etwa fünf Jahren befinden wir uns jetzt in einer natürlichen Transformation zu einem Software-Anbieter.

Was sind aus Ihrer Sicht die Besonderheiten des Mittelstandes?

Kleinere Unternehmen funktionieren anders als Große. Das ist nicht nur abhängig von der Komplexität, sondern auch von der Frage, inwieweit man sich helfen lassen will. Wir sehen, dass vor allem unternehmergeführte Organisationen deutlich stärker dazu neigen, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Es wird genauer ausgesucht, welche Leistungen eingekauft werden. Der Mittelstand ist nicht so experimentierfreudig, nicht »ready to fail«. Auch wir als mittelständisch geprägter Anbieter stehen vor der Frage: Was kann ich mir leisten? Größere Unternehmen haben deutlich größere Spielräume.

Was ist das Besondere Ihrer Software?

Wir bieten verschiedene Werkzeuge an, wie etwa das IMS Predictive ERP, bestehende ERP-Systeme ergänzt. Unsere Software Applikation Value Stream Modeler VSM dient der digitalen Erfassung und Modellierung von Wertströmen. iFAKT setzt dabei auf verschiedenen Modellierungsarten auf und modelliert, simuliert und optimiert Unternehmensprozesse, wie beispielsweise die Auslieferung, das Engineering oder die Produktion.

Die Modelle, die diesen Bereichen zugrunde liegen, benutzen wir für die Entwicklung von Algorithmen. Die Software zeigt auf, was man mit den verfügbaren Ressourcen liefern kann, welche Aufträge man vielleicht auf den nächsten Tag verschieben sollte oder ob für eine Bestellung aktuell die entsprechenden Fachkräfte zur Verfügung stehen. Die Software Anwendung ist sehr flexibel und kann fast beliebig detailliert eingesetzt werden.

Wir können zum Beispiel mit Systemen aus den Bereichen Product Lifecycle Management, Enterprise Ressource Planning oder Manufacturing Execution Systems »sprechen« und liefern bildlich gesprochen das »Gehirn« für diese Komponenten. Unsere Algorithmen lernen aus bestehenden Mustern und können bestimmte Abläufe voraussagen. Damit helfen wir unseren Anwendern, die Planung von Produktion und logistischen Prozessen zu vereinfachen und bestehende Ressourcen und Prozesse optimaler auszunutzen.

Zielsetzung unserer Software-Lösung ist die optimale Auslastung verfügbarer Ressourcen. Mit Hilfe von Enterprise Operation Intelligence und Artificial Intelligence können Unternehmen automatisch auf aktuelle Änderungen in den Rahmenbedingungen reagieren.

Aber die Umsetzung solcher Projekte ist sehr vielschichtig. Die Komplexität wird häufig unterschätzt, nicht immer lässt sich alles im ersten Schritt realisieren. Selbst kleinere Organisationen brauchen relativ lange, um solche Ansätze zu verwirklichen.

Sie haben sich für die Gründung eines Software-Anbieters entschieden, wie schätzen Sie den deutschen Markt ein?

Grundsätzlich halte ich Wettbewerb für gesund. Es stellt sich die Frage, wie man in einem Umfeld, in dem milliardenschwere Unternehmen agieren, Wettbewerb gestaltet. Ob es auf Dauer gut ist, dass Anbieter alleine durch Größe und Marktmacht Angebote bestimmen, möchte ich dahingestellt lassen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund radikaler und schneller Umbrüche.

Auf der anderen Seite steht hier natürlich die Frage, wie man das ändern kann, ohne zu sehr in den Markt einzugreifen. Auch wenn ich vor Regulierungen zurückschrecke, wären realistische Konkurrenzsituationen wünschenswert.

Unternimmt die Politik aus Ihrer Sicht genug, um den deutschen Mittelstand zu fördern?

Antwort ist ein klares Jein und auch eine Frage der Signifikanz: Ein wenig Unterstützung gegen Big Player mit viel Kapital reicht einfach nicht aus, um konkurrenzfähig zu sein.

Aber wie kann man einen relevanten Gegenpol schaffen? Wir haben schließlich nicht die gleichen Randbedingungen wie in den USA, die sehr aggressiv vorgehen. Diese Strategie verbrennt viele Mittel, was speziell in den USA häufig mit hohen Schulden aufgefangen wird. Aber auf diese Weise entstehen immer wieder erfolgreiche Geschäftsmodelle und Unternehmen mit dominierender Marktpräsenz.

Deutschland ist sehr stark im Technologiebereich, was zusätzliche Herausforderungen mit sich bringt. Schauen wir uns die Fraunhofer-Gesellschaft an: Ein Erfolg wie mp3 ist eher die Ausnahme. Im Consumer-Bereich ist es eine individuelle Entscheidung, die zu einem Kauf führt. Bei Forschungsorganisationen oder innovativen Unternehmen sprechen wir von Unternehmens-Lösungen. Eine Kaufentscheidung muss verschiedene Instanzen im Unternehmen passieren. Hinzu kommen weitere Faktoren, die berücksichtigt werden, etwa die Größe des Anbieters. Auf diese Weise wollen Nutzer das Risiko einer Pleite des Anbieters abschwächen.

Als Anbieter einer ERP-Software gibt es aber noch weitere Hürden. Ein Unternehmen, das bereits SAP im Einsatz hat, löst das nicht mehr ab. Das ist so weit und tief im Unternehmen verzweigt, dass kein Management das Risiko auf sich nimmt, eine völlig neue Lösung einzuführen. Wir werden daher häufig als Service eingekauft. Um aber die Transformation zu einem Software-Anbieter dauerhaft hinzubekommen, ist Nachhaltigkeit notwendig, denn Digitalisierungsprojekte flächendeckend im Unternehmen zu implementieren, kann sehr langwierig sein.

Stehen Sie als mittelständisches Unternehmen ebenfalls vor dem Thema Fachkräftemangel?

Gute Leute sind immer schwer zu finden. An unserem Standort Stuttgart konkurrieren wir im Cyber-Valley mit großen Unternehmen wie Bosch oder Daimler. Das sind wahre Talent-Staubsauger und man muss sich ganz schön strecken, um da mithalten zu können. Aber Marktwirtschaft ist Marktwirtschaft, wer höhere Preise bezahlen kann, hat da natürlich entscheidende Vorteile. Aber man kann natürlich versuchen, andere Argumente zu finden.

Wir haben jetzt viel über Märkte gesprochen, aber was müsste sich ändern, damit Deutschland dauerhaft als Forschungsstandort attraktiv bleibt?

An oberster Stelle steht natürlich die Fähigkeit, etwas zu verändern. Aber da sind wir hierzulande meines Erachtens noch nicht mutig genug. Welche Rolle kann hier zum Beispiel eine Fraunhofer-Gesellschaft spielen? Derzeit habe ich nicht das Gefühl, dass das Potenzial voll ausgeschöpft wird.

Zu meiner Zeit war das IPA mit charismatischen Kräften wie Professor Warnecke an der Spitze äußerst attraktiv und man konnte sich dabei auch emotional orientieren. Wissenschaft kann und darf man nicht immer nur nüchtern verkaufen. Auch die Zusammenarbeit kleinerer Unternehmen mit der Fraunhofer-Gesellschaft könnte intensiviert werden, da gerade für diese Unternehmen ein Partner wie die Fraunhofer-Gesellschaft grundsätzlich sehr interessant ist. Vielfach werden bereits Mittelständler für Projekte angefragt. Doch sollten solche Kooperationen regelmäßiger stattfinden.

Man könnte auch über neue Modelle nachdenken: Organisationen, die nicht die Ressourcen haben, Tagessätze eines typischen Consultants zu bezahlen, könnten von dem Modell der »Dualen Forschenden« profitieren.

Also eine Forschungskooperation nach dem Vorbild des dualen Studiums?

Ganz genau! Wenn bei einem Thema Forschung und Anwendung zusammenkommen, käme das auch dem Forschungsnachwuchs zu Gute. Wie man die Rahmenbedingungen zusammenstellt, in welcher Frequenz solche Engagements laufen, muss natürlich im Einzelfall geklärt werden.

Die Nähe zur Wirtschaft ist ja eine der größten Stärken der Fraunhofer-Gesellschaft, aber wie sind Sie eigentlich zu Fraunhofer gekommen?

Damals studierte ich in Berlin an der TU und arbeitete parallel als Werkstudent am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK. Nach meinem Abschluss als Diplom-Ingenieur für Mechanical Engineering an der Universität Berlin habe ich mich erfolgreich beim Fraunhofer IPA beworben.

Warum ausgerechnet das IPA?

Dafür waren verschiedene Faktoren verantwortlich. Das Thema Produktionssysteme hätte ich auch in Berlin weiterverfolgen können. Am IPA aber hat mich neben dem hohen Renommee vor allem der Bereich Robotik interessiert und das ist bis heute mein Thema geblieben. Und außerdem wollte ich - offen gestanden - wieder zurück in den Süden Deutschlands.

Hat die Zeit bei Fraunhofer Sie auf Ihre aktuelle Situation vorbereitet?

Ich habe am Fraunhofer IPA rund ein Jahr im Bereich Herstellungsverfahren geforscht. Der hohe Grad an Selbstständigkeit, den man dort genießt, ist auf jeden Fall interessant. Man muss sich - im Grunde wie an der Universität - um die eigenen Themen kümmern. Das ist eine sehr gute Schule und bei Fraunhofer hat man diesen Vorteil an jedem Institut. Aber man muss natürlich auch entsprechende persönliche Voraussetzungen mitbringen, die aber auch als Unternehmer nötig sind.

Wäre es nicht auch eine Option gewesen, am IPA zu bleiben?

Tatsächlich hatte ich bereits ein Thema für eine Dissertation. Nach einigen Überlegungen bin ich aber zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht weiterhin vier Jahre im Bereich Forschung aktiv sein möchte. Mein Ziel war immer schon die Selbstständigkeit.

Hinzu kommt, dass aus meiner Sicht vor allem durch die jüngsten Entwicklungen in der Arbeitswelt ein Doktor-Titel heute einen anderen Stellenwert hat als noch vor einigen Jahren. Trends wie Agilität und Modernität rücken den Doktor-Titel wieder in seine ursprüngliche, akademische Rolle zurück. Dieser Abschluss belegt nicht unbedingt das Management-Potential eines Kandidaten. Mit dem Alumni-Verein FpF, dem Verein der Doktoranden von IPA, IAO und der Uni Stuttgart, verhält es sich noch etwas anders. Hier findet man schnell einen Weg in die Industrie und zu Unternehmen wie Bosch, Daimler oder Schaeffler. Aber ganz allgemein sehe ich die Entwicklung, dass der Doktortitel ein anderes Gewicht bekommt.

Wir danken Ihnen für das Gespräch, Herr Schubert.