»Zukunft ist ein gutes Wort!« - Dr. Edeltraud Leibrock, Alumna Fraunhofer IFU
Sie liebt die Oper, die Berge und den Sport, und seit ihrem 16. Lebensjahr unterstützt die Physikerin Unternehmen mit ihren IT-Kenntnissen. Den Start machte sie im Ferienjob mit Programmen zur Betriebsdatenerfassung und Zementanalyse in einem Kalkwerk bei Regensburg. Für ihre Doktorarbeit tauschte die Triathletin die Oberpfalz gegen die Alpen, um am Fraunhofer IFU in Garmisch-Partenkirchen atmosphärische Forschungen durchzuführen. Schließlich verantwortete Edeltraud Leibrock als CIO im Vorstand die IT der KfW Bankengruppe. Als Fraunhofer Alumna – und ganz besonders als 1.000. Mitglied im Fraunhofer-Alumni e.V. – fragt sie natürlich #WHATSNEXT: seit 2016 berät sie als Partnerin und Managing Director bei Connected Innovations, einer von ihr mitgegründeten Digital- und KI-Beratung, branchenübergreifend Unternehmen in den vielschichtigen Fragen digitaler Transformation. In dem von ihr initiierten »Utopischen Salon« setzt sie sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von Digitalisierung, künstlicher Intelligenz und Globalisierung auseinander. Zudem ist sie Aufsichts- und Beirätin der Fintechs Accelerest und Loanboox sowie von Suntrace, einem Unternehmen, das Solarkraft in Entwicklungsländer bringt. Trotz all dieser Aufgaben findet sie noch die Zeit, sich auf dem Alumni-Summit 2019 in Berlin zu vernetzen.
Frau Leibrock, in Ihrer spannenden Biographie zieht sich die IT als roter Faden durch – es spielen aber immer wieder Berge eine Rolle. Haben Sie so etwas wie einen Lieblingsgipfel?
Ja, auf jeden Fall, und aus alpinistischer Sicht ist er äußerst unspektakulär. Der Große Rachel mit seinen 1.452 Metern im Nationalpark Bayerischer Wald ist eher ein Spazierberg. Aber für mich hat er eine ganz besondere Bedeutung. Als Kind wanderte ich viel zusammen mit meinem Vater und oft blickten wir vom Rachel-Gipfel über den Eisernen Vorhang in Richtung Tschechoslowakei. »Wie es wohl auf dieser Lichtung da drüben aussehen mag? Da ist ja auch ein Haus – ob da wohl jemand wohnt?«, fragte ich mich damals, und ich dachte, dass ich das wohl nie erfahren werde. Auch das Fernglas, das immer zur Hand war, konnte meine Neugier nicht befriedigen. Und dann passierte ein Wunder: die Grenze wurde geöffnet, und wir wanderten einfach zu diesem Ort, es war unglaublich! Es hat sich viel verändert seitdem. Die Spuren von Waldsterben und Borkenkäfer sind immer noch deutlich sichtbar. Den tiefen, dunklen, geheimnisvollen Hochwald meiner Kindheit gibt es nicht mehr, aber es wächst eine neue, vitale und abwechslungsreiche Flora nach. Unweigerlich kommt mir dann eine Textzeile von Passenger in den Sinn: »Don’t cry for the lost, smile for the living …« – und die Kobolde haben ja definitiv überlebt!
Die Verwaltung des Nationalparks überließ seit den 1990er Jahren den Wald sich selbst und nahm damit in Kauf, dass tausende Bäume abstarben – der alte Baumbestand wurden disruptiert, würde man heute sagen. Dass zwischen den Stümpfen wieder neues Leben entsteht, ist ein schönes Bild für eine Innovationslandschaft, aber wächst denn in Deutschland genug Neues heran?
Wir sind in Deutschland viel besser, als wir glauben. Wir besitzen enorm viel Innovationskraft, gute Ideen, Expertise und Umsetzungskompetenz. Aber wir sind etwas zu ängstlich geworden. Zukunft war mal ein gutes Wort – und sie ist auch jetzt nicht die knappe Ressource, zu der wir sie manchmal erklären. Wir sollten uns nicht so viel darum sorgen, was alles schieflaufen könnte, sondern mit Elan, Spaß und Optimismus an der Zukunft der Menschheit mitbauen. Natürlich gibt es dabei auch Risiken, aber wer nur das – zugegebenermaßen beeindruckende – Erreichte konservieren will, fällt automatisch zurück. So funktioniert Fortschritt nun mal nicht. Was mich dagegen tatsächlich besorgt ist, dass sich bei uns, im Gründer- und Ingenieursland Deutschland, mehr und mehr eine diffuse Technikskepsis breitmacht, oft fern jeglicher Fakten.
Richtig ist, dass wir weltweit vor großen Herausforderungen stehen wie z.B. dem Klimawandel oder der Frage nach Gesellschaftsmodellen in einer digitalen und KI-gesteuerten Welt. Der Energiebedarf wird weltweit weiter zunehmen und künstliche Intelligenz ist nicht aufzuhalten. Das sind nur einige Beispiele, aber sie zeigen: wir brauchen gute technische Lösungen! Den Kopf in den Sand zu stecken, hilft nicht weiter. Wollen wir in Deutschland und Europa weiter eine führende Rolle spielen? Dann müssen wir diese Verantwortung wahrnehmen und gestalten. Ich bin stolz, Teil der Fraunhofer-Community zu sein, denn Fraunhofer tut genau das und geht mit Innovationen und Spitzentechnologie voran. Das zieht tolle junge Leute an und ist auch für die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt attraktiv – ein echter Standortvorteil. Wir haben viel mehr zu bieten, als zum pittoresken Industriemuseum für die Welt zu werden!