Wissenschaft, die schützt

Webspecial Fraunhofer-Magazin 2.2025

Attacken gekonnt stoppen

Deutschland investiert in Sicherheit und Verteidigung. Nicht nur bei der Bundeswehr, auch beim Schutz der Bevölkerung und der kritischen Infrastrukturen sind zahlreiche Forschungsprojekte am Start. Noch sind nicht alle Herausforderungen gelöst. Doch der Blick in die Zukunft hellt sich auf.

Die Nordsee ist rau. Die Nordsee ist schön. Immer interessanter wird, was sie am wenigsten zeigt. Auf dem Meeresboden liegen Kabel, Leitungen und Pipelines. Das Kabel Nordlink verbindet Wilster in Schleswig-Holstein mit dem norwegischen Tonstad und transportiert grünen Strom. Das NorNed-Kabel, mit 580 Kilometern das längste Stromkabel der Welt, führt auf dem Weg von Norwegen in die Niederlande auch durch die Nordsee. Von 2030 an soll hier die Pipeline AquaDuctus den ersten großen Wasserstoff-Windpark anschließen. Energie, Daten, Kommunikaton: eine Menge kritischer Infrastruktur – und bisher ist sie kaum abgesichert.

Auf dem Nordseegrund fehlt der Schutz. So wie bei den Anlagen von Energienetzbetreibern oder Wasserwerken, so wie bei vielen Brücken, Verkehrsnetzen und Krankenhäusern in Deutschland und Europa. Die steigende Zahl von Spionage-, Sabotage- oder Cyberattacken macht immer deutlicher, wie wichtig es ist, kritische Infrastruktur wirksam zu schützen. Caroline Schweitzer, Geschäftsführerin Fraunhofer-Leistungsbereich Verteidigung, Vorbeugung und Sicherheit VVS, ist überzeugt, dass Fraunhofer-Forschende helfen können: »Wir verfügen über ein breites Spektrum an Kompetenzen in der Sicherheitsforschung, die aufgrund ihrer Vielseitigkeit sowohl im zivilen als auch im wehrtechnischen Kontext Anwendung finden können.«

In der Deutschen Bucht soll nun das Projekt ELO (Echtzeitlagebild Offshore) einen ersten großen Schritt in Sachen Schutz der Infrastruktur tun. Innerhalb des Projekts wird ein Echtzeit-Lagebild für maritime Notfallsituationen aufgebaut. Dafür werden Bilder und Videos verschiedener Quellen genutzt, die unter anderem von Drohnen geliefert werden.

Der Einsatz dieser Technologie soll nicht nur bei der Rettung havarierter Schiffe unterstützen, sondern trägt auch dazu bei, kritische Infrastrukturen wie Häfen oder Offshore-Windparks vor illegalen Aktivitäten wie Sabotage zu schützen, indem Bedrohungen frühzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können.

Beteiligt am Projekt ELO ist das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM mit seinem Offshore Drone Campus Cuxhaven. Aufgabe von Kai Brune und seinem Team ist die Einbindung von Drohnensystemen in das Betriebskonzept des Lagezentrums sowie die automatisierte Erzeugung von Bild- und Videomaterial in der Deutschen Bucht. Die ­Bilder einer viele Kilometer entfernt fliegenden Drohne hochauflösend und ruckelfrei auf die Bildschirme des Lagezentrums zu übertragen, stellt eine enorme Herausforderung dar. 

Als Fluggerät für den Einsatz über der Nordsee nutzen die Forschenden die S360Mk.II des Projektpartners Hanseatic Aviation Solutions. Mit einer Spannweite von 3,60 Metern ist das Fluggerät für den Einsatz über dem offenen Meer bestens geeignet. »Mit diesem System wurden schon Flüge nach Helgoland und zurück mehrmals erfolgreich realisiert«, lobt Brune.

Kai Brune
© Marina Rosa Weigl
Mission Nordsee: Kai Brune nutzt Drohnen, um Echtzeit-Lagebilder von maritimen Notfallsituationen in ein Lagezentrum zu schicken.

Wenn es darum geht, Drohnen für den fordernden Flug über Nord- und Ostsee fit zu machen, ist das Fraunhofer IFAM eine der ersten Adressen in Europa. Neben dem Standort Cuxhaven betreibt das Institut gemeinsam mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH (DFKI) das Testzentrum für Maritime Technologien auf Helgoland. Hier werden unter anderem Drohnen-Technologien für den Einsatz unter extremen Offshore-Bedingungen getestet.

Sobald kritische Infrastrukturen auf dem Meeres­boden bedroht sind, ist es wichtig, auch hier mit mobilen Systemen präsent zu sein. Gefragt sind unbemannte Unterwasserfahrzeuge mit leistungsfähiger Sensorik, langlebigen Akkus und KI-Steuerung. Sie müssen robust genug sein, um auch in Tiefen von bis zu 1000 Metern ihre gefährlichen Aufgaben zu erledigen. Das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB mit dem Institutsteil Angewandte Systemtechnik AST in Ilmenau stellt dafür eine Forschungsplattform zur Verfügung. Ein Testbecken bietet die Möglichkeit,  Hard- und Software für Unterwasserfahrzeuge sowie -komponenten zu entwickeln und zu erproben. Eine Druckprüfanlage testet Baugruppen auf Dichtigkeit und Stabilität.

Schutz vor Drohnen in der Stadt

Dr. Christian Steffes
© Marina Rosa Weigl
Raffiniertes Passivradar: Dr. Christian Steffes nutzt die Reflexion von Mobilfunkstrahlen, um anfliegende Drohnen zu detektieren.

Zum Drohnen-Know-how gehört auch das Wissen, wie sich die Fluggeräte erkennen und abwehren lassen, wenn sie sich unerlaubt in der Nähe von Standorten der Bundeswehr, von Flughäfen oder von Kraftwerken bewegen.

Bisher geschieht das durch Radarsysteme oder Kameras. Die Systeme sind technisch aufwendig und benötigen viel Energie. Zudem sind Radaranlagen durch die ausgesandten Funkwellen leicht zu entdecken. In beengten urbanen Gebieten oder in der Nähe von Krankenhäusern oder Wohngebäuden lassen sich Radarsysteme wegen des schädlichen Elektrosmogs gar nicht betreiben.

Dr. Christian Steffes vom Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE hat eine Lösung: Passivradar. Solche Anlagen senden selbst keine Wellen aus. Sie machen sich die Tatsache zunutze, dass fliegende Objekte auch Mobilfunkstrahlung reflektieren. Passivradar kann aus Unterschieden zwischen den direkten Signalen der Mobilfunkbasisstation und den eintreffenden Wellen des Objekts Werte wie Entfernung, Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit ermitteln. Die Technik setzt dabei nicht nur auf frei zugängliche Mobilfunknetze, sondern auch auf LTE 450. Dieser Mobilfunkstandard wurde speziell für die sichere Kommunikation der Betreiber kritischer Infrastrukturen entwickelt. Er ist besonders ausfallsicher und robust.

Es gibt eine Einschränkung. »So genau wie konventionelle Radaranlagen arbeitet Passivradar nicht«, sagt Steffes. »Doch wenn Drohnen oder Drohnenschwärme erst einmal detektiert wurden und Aufklärungsbedarf besteht, dann nutzen wir weitere Sensoren wie Kameras oder Aktivradar.« Das Fraunhofer FKIE hat deshalb eine Fusion Engine erarbeitet, die alle Sensordaten zusammenschaltet, kombiniert und auswertet. Solche Multisensorsysteme werden immer wichtiger bei Sicherheits- und Verteidigungstechnologien.

Prof. Werner Riedel ist Chief Scientist Defence am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI, daneben Honorarprofessor an der Hochschule Furtwangen und Gastprofessor an der renom­mierten NTU Singapur. Zudem hat er auf EU-Ebene jahrzehntelange Erfahrung in der zivilen und militärischen Sicherheitsforschung.

Er begrüßt den Fokus auf die Drohnentechnik. »Drohnen werden in den nächsten Jahren für Szenarien der Verteidigung und Sicherheit von zentraler Bedeutung sein. Damit wir mithalten können, müssen wir in Deutschland und europaweit intensiv an der Weiterentwicklung und Integration forschen.«

Prof. Werner Riedel, Fraunhofer EM
© Kilian Kreb
Prof. Werner Riedel, Fraunhofer EM

Präzise wie ein Skalpell

Dr. Thomas Schreiber
© Marina Rosa Weigl
Abwehrtraining: Laserexperte Dr. Thomas Schreiber arbeitet an Hochleistungslasern, die anfliegende Drohnen aus mehreren Kilometern Entfernung unschädlich machen.

Eine Technologie, um Drohnen unschädlich zu machen, entwickelt das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF. Das Forschenden-Team arbeitet dabei mit Lasertechnik mit einer Wellenlänge von zwei Mikrometern. Hochleistungslaser, die in der Lage sind, auch viele Kilometer entfernte Objekte zu treffen, nutzen bisher ein Mikrometer. Allerdings ist in diesem Wellenbereich nicht nur der Laserstrahl selbst, sondern auch das von Objekten reflektierte Laserlicht schädlich für die Augen. Deshalb ist der Einsatz in dicht besiedelten Gebieten nicht erlaubt.

Die Streustrahlung bei zwei  Mikro­meter dagegen wird von Wasser absorbiert, also auch von der feuchten Hornhaut des Auges. Daher geht von ihr eine deutlich geringere Gefährdung für die Augen aus. Um diese Wellenlänge zu erzeugen, haben die Fraunhofer-Forschenden Glasfaser mit der Seltenen Erde Thulium versetzt und eine spezielle Optik entwickelt. Drei Laserstrahlen werden durch ein Beugungsgitter zu einem Strahl vereint. Möglich wird dies auch durch die verbesserte Kühlung der Fasern. Gleichzeitig reflektiert das Gitter mehr als 99 Prozent des Laserlichts und erhitzt sich deshalb nicht so stark.

Dr. Thomas Schreiber, Leiter der Abteilung für Laser- und Fasertechnologie am Fraunhofer IOF, sagt: »Durch die punktgenaue Wirkung des Laserstrahls lässt er sich einsetzen wie ein Skalpell. In einem Kilometer Entfernung hat er einen Querschnitt von etwa einem Zentimeter. Man könnte damit bei einer anfliegenden Drohne genau auf die Steuerelektronik zielen.« Auch Seefregatten der Bundeswehr wären mit dem Hochleistungslaser in der Lage, sich gegen anfliegende Objekte zu wehren. Ein Vorteil dabei: Der Laser benötigt keine Munition, die gelagert und nachgefüllt werden muss. 

Kampf der intelligenten Systeme

Wo sich intelligente Abwehrsysteme mit intelligenten Drohnen oder Drohnenschwärmen einen Kampf liefern, gibt es auch positive Aspekte: Wenn Maschinen gegeneinander antreten, kommt erst mal kein Mensch zu Schaden.

Allerdings werden in der Welt von KI, Software und autonomen Systemen die Bedrohungsszenarien komplizierter. Stichwort: hybrider Angriff. Hans Peter Stuch, Forschungsgruppenleiter am Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE, mag das Wort »hybrid« nicht. »Es wird inflationär verwendet. Echte hybride Angriffe sind koordinierte Attacken, die aus unterschiedlichen Domänen kommen.« Ein Beispiel: In sozialen Netzwerken häufen sich kritische Posts gegen die Bahn. Im Web startet ein Cyberangriff gegen eine Stellwerksanlage. Unbekannte attackieren eine Stromleitung. In jeder Domäne scheint der Angriff nur als Nadelstich und nicht schwerwiegend zu sein. In der Summe bilden sie jedoch eine erhebliche Bedrohung oder richten enormen Schaden an.

Das Team am Fraunhofer FKIE arbeitet deshalb an einem System, das Infos aus unterschiedlichen Domänen sammelt, Daten von physischen Sensoren wie beispielsweise Überwachungskameras oder Funkempfänger und von Software-Tools, die im Netzwerk Malware-Attacken registrieren. Hinzu kommen Beobachtungen in sozialen Medien, etwa wenn plötzlich bestimmte Schlagwörter gehäuft auftreten. Alle Infos werden in einer Lagedarstellung zusammengefasst und visualisiert. In der Zusammenschau wird sichtbar, dass die unterschiedlichen Vorgänge in unterschiedlichen Domänen tatsächlich zusammenhängen, auch wenn sie zeitlich weit getrennt sind.

Hans Peter Stuch
© Marina Rosa Weigl
Gefahrensuche nicht nur ins Blaue: Hans Peter Stuch arbeitet an einem System, das Daten aus unterschiedlichen Quellen sammelt und so hybride Angriffe schneller erkennt.

Sicherheitsrisiko: Missverständnisse und schlechtes Management

Damit die Sicherheitsverantwortlichen bei Cyberattacken richtig reagieren, bieten die Expertinnen und Experten des Fraunhofer FKIE regelmäßig Sicherheitsschulungen an. Kunden sind vor allem Energieversorger und Netzbetreiber, das Interesse ist in den vergangenen Jahren gestiegen. »In vielen Fällen hapert es in der Kommunikation und Koordination. Auch unklare Zuständigkeiten sind ein Risikofaktor«, berichtet Dr. Martin Serror, selbst Dozent für Cybersicherheit. »Bei unseren Schulungen sind deshalb die Themen Kommunikation und Koordination ganz wesentlich. Wir bieten eine realitätsnahe und für den jeweiligen Kunden maßgeschneiderte Simulationsumgebung. Typischerweise müssen die Teilnehmenden zunächst Alltagsaufgaben erledigen und werden dann plötzlich mit einem Cyberangriff konfrontiert.«  

Das vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) unterstützte Projekt ­HERAKLION hat sich »heuristische Resilienzanalysen für Kommunen mittels Datenraumfunktionalitäten« als Ziel gesetzt. Was klingt wie eine abstrakte wissenschaftliche Studie, kann Leben retten. »Durch Heraklion wissen Einsatzkräfte beispielsweise bei einer Flutkatastrophe schon vorab, welche Umwege sie wegen Überschwemmungen fahren müssen, wie viele Personen, Gebäude und kritische Infrastrukturen betroffen sind und welche Turnhallen für evakuierte Menschen erreichbar sind«, sagt Dr.-Ing. Kai Fischer, Gruppenleiter Robustheits- und Resilienzanalysen am Fraunhofer EMI.

Um die dafür nötigen Informationen zu gewinnen, führt Heraklion Daten aus verschiedenen Quellen effizient zusammen: Bevölkerungsstruktur, Wetterdaten, Waldbrandrisiko, Hochwasser- oder Starkregengefahren­karten und vieles mehr. Um die Information aus den Datenanalysen auf dem Dashboard möglichst praxisnah zu gestalten, haben die Entwickler von Anfang an mit Mitarbeitenden des Katastrophenschutzes und Einsatzplanern zusammengearbeitet. 

Für Fachmann Werner Riedel lassen sich Zivilschutz und Verteidigungstechnik immer weniger trennen: »Hier wächst zusammen, was schon immer zusammengedacht werden sollte. Resiliente Infrastrukturen, Schutz der Zivilbevölkerung und Verteidigung betreffen am Ende vielfach dieselben Themen, Strukturen und Fähigkeiten.«

Fraunhofer VVS-Geschäftsführerin Caroline Schweitzer ergänzt: »Verantwortungsvoll gehandhabt, dienen zivile als auch wehrtechnische Forschung dem Nutzen der gesamten Gesellschaft. Sie unterstützen gleichzeitig beim effizienten Einsatz der finanziellen Mittel.«

Ein schönes Beispiel für das Verschmelzen von ziviler Technik und militärischem Gewinn ist RISK.twin. Bei dem Vorhaben, an dem sich das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE mit der Universität der Bundeswehr München und dem Softwareunternehmen NetApp beteiligt, geht es darum, Digitale Zwillinge von Brücken zu generieren, um ein smartes Instandhaltungsmanagement zu ermöglichen.

Die Brücken werden mit Sensoren bestückt, die Werte wie Schwingungen, Dehnungen und Temperatur messen. Zusammen mit den Basisdaten der jeweiligen Brücke erlaubt dies die Einschätzung ihrer Auslastung und ­Tragfähigkeit. Die Sensordaten lassen sich sogar im Stundentakt in einem Lagezentrum auf einem Dashboard aktualisieren. In einem Verteidigungsfall, wenn NATO-Truppen in Deutschland operieren, könnten diese ihre Marschrouten besser planen. Militärfahrzeuge sind ­häufig Schwergewichte, dementsprechend sind die Funktionsfähigkeit und die Tragfähigkeit einer Brücke eine hochrelevante Information. Bei Brücken, die durch Attacken beschädigt wurden, geben die Sensoren Auskunft darüber, bis zu welchem Gewicht sie noch gefahrlos passierbar sind.

Über clevere Sensoren hinaus, jenseits von Software-Tools und Dashboards kann eine Forschungsorganisation wie die Fraunhofer-Gesellschaft noch mehr beitragen zur zukünftigen Sicherheit, zeigt sich Professor Riedel überzeugt: »Durch unseren Einblick in die Spitzenforschung erkunden wir, welche Technologiethemen in ­einigen Jahren relevant werden, und sehen auch die entsprechenden Lücken in Industrieprojekten. Hier platzieren wir gezielt unsere Vorlaufforschung, wie beispielsweise Promotionsthemen. Das macht auch einen großen Teil der Innovationskraft und der Kreativität der Fraunhofer-Forschenden aus.« 

Rätselhafte Plasma-Effekte und Radar über dem Horizont

Prof. Daniel O‘Hagan
© Marina Rosa Weigl
Überlebensfrage: Hyperschallwaffen stellen die Verteidigung bisher vor große Probleme. Prof. Daniel O‘Hagan arbeitet an Konzepten, damit die Abwehr der tödlichen Flugobjekte gelingt.

Aktuell sind Hyperschallwaffen eine der großen, bisher ungelösten Fragen jeder Verteidigung. Hyperschall-Flugkörper bewegen sich mit Geschwindigkeiten ab Mach 5, also mehr als 1700 Metern pro Sekunde. Sie sind nicht nur schnell, sie können auch niedrig fliegen und sind extrem manövrierfähig. Bisher ist die Abwehr dieser Objekte sehr schwierig. Denn im Hyperschall ist eigentlich alles anders: Treibstoff, Flugfähigkeit, Materialien, Aerodynamik, Sensorik, Navigation, alles muss neu gedacht werden. So wird die Steuerelektronik sehr heiß, die Reibungshitze erreicht bis zu 3000 Grad Celsius. Das an der Oberfläche der Flugkörper entstehende Plasma beeinträchtigt zudem die Radarsignaturen.

Prof. Daniel O‘Hagan hat Antworten, wie Verfolgung und Abwehr trotzdem gelingen können. Die Liste seiner Jobtitel und Aufgaben ist beeindruckend. Er hat in Radartechnologie promoviert, ist Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR, Chief Scientist und Koordinator für Hyperschalltechnologie des Fraunhofer VVS und »Chair of NATO TG SET 296 Radar Against Hypersonic Threats«. Mit der Bundeswehr hat er einen internationalen Workshop zum Thema gegründet. Sein Terminkalender war immer schon voll. Seit dem Ukraine-Krieg und dem Einsatz russischer Hyperschallwaffen ist er noch ein bisschen voller.

O‘Hagan setzt seine Hoffnungen auf ein mehrschichtiges Multisensorsystem zur Abwehr von Hyperschallraketen, das Radarsensoren sowie elektro-optische und Infrarotkameras (EO/IR) miteinander vernetzt. Ein Schlüsselelement der Frühwarnung ist das Skywave Over-the-Horizon Radar (OTHR). Durch den niedrigen Anflug tauchen Hyperschallwaffen erst spät über dem Horizont auf, wo sie für traditionelle Radare sichtbar werden. Bei der hohen Geschwindigkeit bleiben dann nur kurze Reaktionszeiten. Die Over-the-Horizon-Systeme machen sich zunutze, dass Radar bei Wellenlängen zwischen 3 und 30 Megahertz von der Ionosphäre reflektiert wird und durch die Spiegelung auch Gebiete jenseits des Horizontes »beleuchtet«. Indem die Systeme die reflektierten Wellen erfassen, können sie auch Flugobjekte detektieren, die eigentlich außerhalb des direkt beleuchteten Winkels fliegen. 

»Kein System ist alleine imstande, alle Funktionen zu leisten, die für die Erkennung und Verfolgung von Hyperschallflugkörpern erforderlich sind«, warnt O’Hagan vor zu großen Erwartungen. »Ähnlich wie bei den Drohnen liegt der Schlüssel in der Kombination unterschiedlicher Techniken, beispielsweise im Zusammenspiel der Satellitenüberwachung mit verschiedenen boden- und luftgestützten Radarsystemen.«

Für die Fraunhofer-Forschenden sind die Technologien für Zivilschutz, kritische Infrastrukturen und Verteidigung nicht nur eine technische Herausforderung, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Wie Christian Steffes sagt: »Wir müssen den Menschen in Deutschland und Europa wieder das Gefühl geben, dass wir auf Krisen schnell und wirksam reagieren. Dann verschwindet auch das Gefühl der Unsicherheit.«

Und wer dann mit dem Boot auf die Nordsee hinausfährt, tut das im beruhigenden Wissen, dass die Leitungen, Kabel und Pipelines auf dem Meeresboden gut geschützt sind.       

Das Schutzschild wächst

Gefahren erkennen, analysieren und abwehren, dieser Dreiklang bestimmt die Forschungsvorhaben der Fraunhofer-Institute. Zehn Projekte, die kritische Infrastrukturen und Zivilgesellschaft sichern.

Hyperschallwaffen abwehren

Mit vorhandener Technik sind sie kaum abzuwehren. Forschende des Fraunhofer-Leistungsbereichs VVS (Verteidigung, Vorbeugung und Sicherheit) arbeiten intensiv an mehrschichtig verbundenen Radaren sowie elektro-optischen und Infrarot-Kameras (EO/IR), um die Erkennung und Verfolgung von Hyperschallobjekten zu verbessern. Ein weiteres Problem: Je niedriger die Objekte fliegen, desto schneller sind sie aus der Horizontlinie verschwunden, die von einem Radarsystem beleuchtet wird. Abhilfe schaffen Over-the Horizon-Systeme. 

Alarm bei Raketenstarts

Die frühzeitige Warnung vor einem Angriff mit ballistischen Raketen will das Fraunhofer IOSB ermöglichen und nutzt hierfür elektro-optische Sensoren auf Satelliten. Im Auftrag des Verteidigungsministeriums entwickeln die Forschenden entsprechende Designkonzepte. Die Sensoren registrieren Infrarotsignale des Raketenabgasstrahls und wandeln diese in elektronische Signale um. Bildverarbeitungsalgorithmen werten die Daten aus und liefern Abwehrsystemen genaue Zielinformationen. Die Technik könnte die bodengestützte Luftabwehr wirksam ergänzen. Ein Prototyp des Sensors wurde für den Forschungssatelliten ERNST entwickelt, der im August 2024 in den Weltraum gestartet ist. 

Echtzeitlagebild Offshore

Von Seenot bis Spionageversuch: Im Projekt ELO (Echtzeitlagebild Offshore) visualisieren Forschende des Fraunhofer IFAM maritime Notfallszenarien in der Deutschen Bucht. Die Fraunhofer-Expertinnen und -Experten nutzen für die Livelagebilder unter anderem Drohnen mit bis zu 3,60 Meter Spannweite, die sich je nach Mission mit diversen Sensoren bestücken lassen. Sie können bis zu sieben Stunden in der Luft bleiben und werden im Projekt für den anspruchsvollen Einsatz über dem Meer ertüchtigt.

Drohnen erkennen

Aktive Radarsysteme können wegen des entstehenden Elektrosmogs in Städten nur eingeschränkt genutzt werden. Am Passivradar arbeitet das Fraunhofer FKIE. Diese Systeme werten Mobilfunkstrahlen aus, die von Flugobjekten reflektiert werden. Aus der Zeitdifferenz, der Dopplerverschiebung und dem Einfallswinkel zwischen den direkten Signalen der Mobilfunkbasisstation und den vom Flugobjekt reflektierten Signalen errechnet das System Daten wie Position, Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit von Flugobjekten. 

Drohnen am Sound erkennen

Drohnen machen Lärm und verraten sich dadurch. Das Fraunhofer-Institut für Digi­tale Medientechnologie IDMT in Olden­burg forscht daran, anfliegende Drohnen durch leistungsstarke Mikrofonarrays und Audiosignalverarbeitung frühzeitig zu er­kennen und das Gefahrenpotenzial einzu­schätzen. Hinzu kommen Verfahren des Maschinellen Lernens. Auf diese Weise las­sen sich die Fluggeräte auch bei starkem Umgebungslärm identifizieren und gege­benenfalls Gegenmaßnahmen einleiten.

Drohnen abwehren

Wie kann man in dicht besiedelten Räumen Flugobjekte unschädlich machen, ohne Menschen zu gefährden? Das Fraunhofer IOF in Jena nutzt dafür Laser mit einer Wellenlänge von zwei Mikrometern, die für das menschliche Auge weit-gehend unschädlich ist. Das Forschenden-Team hat Glasfaser mit der Seltenen Erde Thulium versetzt, um diese Wellenlänge zu erzielen. Zudem haben die Forschenden ein Beugungsgitter entwickelt, das drei Laserstrahlen zu einem Strahl vereint.  Der Laser ist in der Lage, bei einer anfliegenden Drohne in einem Kilometer Entfernung die Steuerelektronik präzise zu treffen.

Hybride Bedrohungen

Hybride Bedrohungen sind häufig so komplex, dass ihre zerstörerische Wirkung zu spät erkannt wird. Die Forschenden am Fraunhofer FKIE entwickeln ein System, das Daten aus unterschiedlichen Quellen wie etwa Warnmeldungen von Sicherheitssoftware, Bilder von Überwachungskameras oder Daten von Funkempfängern sammelt und auswertet. Hinzu kommen Beobachtungen in sozialen Netzwerken, wo möglicherweise Desinformationskampagnen gegen Betreiber kritischer Infrastrukturen gestartet wurden. 

Training für Energieversorger

Die Fraunhofer Academy schult Energieversorger darin, Cyberattacken abzuwehren. Die Trainings, die von Expertinnen und Experten des Fraunhofer-Instituts für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE betreut werden, konfrontieren die Teilnehmenden ähnlich wie bei einem Rollenspiel mit einer realistischen Umgebung, in der sie Alltagsaufgaben erledigen, bevor eine Attacke aus dem Web startet. Dabei spielen nicht nur technische Kenntnisse eine Rolle, sondern auch die Kommunikation zwischen den betroffenen Abteilungen und dem Management.

Wie ist die Lage?

Wenn das Hochwasser kommt, das Stromnetz zusammenbricht oder eine Pandemie sich ausbreitet, müssen die Einsatzkräfte schnell ein differenziertes Bild der Lage haben. Die dafür nötigen Informationen wie Wetterdaten, Straßenkarten, Bevölkerungsstruktur oder Hochwasserkarten sammelt das Projekt HERAKLION, analysiert diese und visualisiert sie auf einem Dashboard. Dann wissen Einsatzkräfte rechtzeitig, welche Straßen bei einer Flut überschwemmt sind, welche Brücken befahrbar oder welche Sammelplätze oder Turnhallen noch erreichbar sind. Bei diesem Projekt haben die Forschenden des Fraunhofer EMI mit Rettungskräften und Einsatzplanern zusammengearbeitet.

Riecher für Sprengstoff

Bei der Detektion von Sprengstoffen sind Spürhunde häufig besser als Messgeräte. Das Fraunhofer ICT verfügt über umfassende Expertise bei Sprengstoffen und bietet wissenschaftlich fundierte Trainingsmöglichkeiten für die Hunde an, überwiegend Deutsche oder Belgische Schäferhunde. Dazu zählen Geruchsprobenstrecken zur Konditionierung auf neue Substanzen sowie realitätsnahe Szenarien wie Fahrzeug-, Gepäck- und Gebäudekontrollen. 

Fraunhofer-
Leistungsbereich
Verteidigung,
Vorbeugung und
Sicherheit VVS

Der Fraunhofer VVS steht für Forschung und Entwicklung auf den Gebieten Verteidigung und Zivile Sicherheit. Durch unsere vielfältigen Kompetenzen und Forschungsleistungen überzeugen wir mit anwendungsnahen Lösungen bis hin zur operativen Unterstützung – sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene. 

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