Autonom fahren können – aber selbst fahren wollen

Interview mit Detlev von Platen, Vorstandsmitglied für Vertrieb und Marketing der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG

»Porsche? Der Letzte mit einem Lenkrad!«

Detlev von Platen, Vorstandsmitglied für Vertrieb und Marketing der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG.
© Alexander Fischer/2021 Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
Detlev von Platen, Vorstandsmitglied für Vertrieb und Marketing der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG.

Herr von Platen, wie weit komme ich mit einem elektrischen Porsche Taycan bei der abgeregelten Höchstgeschwindigkeit von 250 Stunden­kilometern?

Durchgängig werden Sie wohl nirgends mit Höchst­geschwindigkeit fahren können (lacht). Die Reich­weite des Taycan im normalen Fahrbetrieb liegt bei gut 350 Kilometern. Und mit unserem neuen Modell, dem Taycan GTS, kommen Sie auf mehr als 500 Kilometer. Es greift aber zu kurz, nur auf diesen Wert zu schauen. Wir wollten mit dem Taycan nie Reichweitenweltmeister werden. Für uns sind Ge­wicht und Fahrdynamik wichtig sowie eine kurze Ladezeit. Mit der 800-Volt-Technologie haben wir hier weltweit Maßstäbe gesetzt. Der Taycan lädt we­sentlich schneller als die meisten anderen E-Autos: in 22,5 Minuten von 5 auf 80 Prozent SOC.

Noch beginnen die Telefonnummern in Ihrer Zentrale mit 911, dabei haben Sie in diesem Jahr mehr Taycan als klassische 911 ausgeliefert. Wird es Zeit, die Telefonanlage auf eine neue Zeit umzustellen – und auf welche Nummer?

Tatsächlich lag der Taycan bei den weltweiten Aus­lieferungen in den ersten drei Quartalen des Jahres 2021 auf Augenhöhe mit dem 911. Wir freuen uns über die tolle Resonanz auf den ersten reinelekt­rischen Porsche. Vor allem, weil rund 50 Prozent der Taycan-Käufer bereits Porsche-Kunden sind. Wir haben also genau den Nerv unserer Fans ge­troffen und zugleich eine neue Zielgruppe erobert; Menschen, die noch nie einen Porsche gefahren haben. Wir vergrößern durch den Elektrosportler unsere Fangemeinde. Ungeachtet dessen ist der 911 weiterhin unsere Ikone. Kein Fahrzeug wird enger mit unserer Marke verbunden, und das seit fast 60 Jahren. Damit bleibt die »911« auch für unsere Tele­fonnummern die erste Wahl.

Ist E-Mobilität für Sie die Zukunft?

Bei Porsche steht die Elektromobilität für die Mobili­tät von morgen. Der Fokus liegt auf der Elektrifizie­rung unserer Modelle. Hier stellen wir uns breit und technologisch führend auf. Beispielsweise haben wir mit Customcells das Joint Venture Cellforce ge­gründet, ein Unternehmen zur Entwicklung und Fertigung von Hochleistungs-Batteriezellen. Mit Rimac halten wir zudem eine Beteiligung an einem der innovativsten E-Mobilitätsunternehmen. Das Schnellladen haben wir gemeinsam mit weiteren Automobilherstellern über das Joint Venture IONI­TY angestoßen, das jetzt aufs Tempo drückt: Bis 2025 soll die Zahl der Ladestationen von derzeit knapp 400 auf mehr als 1000 steigen. Zusätzlich arbeiten wir an einem exklusiven, Porsche-eigenen Ladenetz. Eine sinnvolle Ergänzung sind für uns grüne eFuels, mit denen sich traditionelle Verbrennungsmotoren nahezu CO2-neutral betreiben lassen.

Von den gut 13 000 Autobahnkilometern in Deutschland hat jeder dritte eine Geschwindig­keitsbeschränkung, auf nicht einmal zwei Prozent der Straßen gilt freie Fahrt, selbst die Hälfte der ADAC-Mitglieder plädiert nach einer Umfrage die­ses Jahres für ein Tempolimit – schlechte Zeiten für einen Sportwagenhersteller?

In Bereichen, in denen man sicher fahren kann, ohne andere zu gefährden, bin ich gegen ein Tempolimit. Man sollte den Menschen diese persönliche Freiheit lassen. Das Tempolimit gilt häufig als Argument, um die Zahl der Unfälle zu reduzieren. Die Unfallhäufig­keit auf bundesdeutschen Autobahnen ist aber fünf Mal geringer als auf Landstraßen. Autobahnen ge­hören statistisch zu den sichersten Straßen der Welt. Die künftige Ampel-Koalition hat sich auch aus die­sem Grund im Koalitionsvertrag gegen die Einfüh­rung eines generellen Tempolimits ausgesprochen.

Nach welchen Kriterien werden Autokäufer in zehn Jahren ihre Entscheidung treffen?

Die Marke ist immer Kaufgrund Nummer eins für unsere Kunden gewesen. Wir sehen, dass sich dieser Trend weiter verstärkt. Deswegen beschäftigen wir uns intensiv mit der Frage, was die Marke Porsche auch in Zukunft einzigartig und anziehend macht. Etwa durch emotionale Markenerlebnisse, die so kein anderer Hersteller bietet. Natürlich wird auch der Aspekt der Nachhaltigkeit immer wichtiger. Auch hier wollen wir Vorreiter sein. Bis 2025 inves­tieren wir 15 Milliarden Euro in Elektromobilität, digitale Transformation und nachhaltige Produk­tion. Die Dekarbonisierung ist ein zentrales Hand­lungsfeld unserer Nachhaltigkeitsstrategie – und wir setzen uns ambitionierte Ziele: Bis 2030 soll Porsche über die ganze Wertschöpfungskette und den Lebenszyklus der Fahrzeuge hinweg bilanziell CO2-neutral sein. All das wird bei der Entscheidung von Kunden in Zukunft eine stärkere Rolle spielen.

Wann wird sich der Porsche-Käufer dem autonomen Fahren anvertrauen – und wird der Autopilot im Sportmodus chauffieren?

Unser Ziel ist, dass das letzte Fahrzeug, das ein Lenkrad haben wird, ein Porsche ist. Unsere Sportwagen sind auf den Fahrer ausgerichtet, auf Fahr­spaß und Dynamik. Einen Porsche wird man im­mer selbst fahren wollen. Gleichwohl kann es für unsere Kunden entlastend sein, wenn ihr Fahrzeug beispielsweise im Stau mitrollt oder selbstständig einparkt. Denkbar ist auch eine hoch automatisier­te Fahrt über eine Rennstrecke – auf einem Kurs, den vorher ein bekannter Rennfahrer gefahren ist. Das wäre ein Porsche-typischer Anwendungsfall.

Was macht die Faszination Porsche aus?

Porsche steht für Freiheit, Unabhängigkeit und den inneren Antrieb, Ziele zu erreichen. Das drückt auch unser Brand Purpose »Driven by Dreams« aus. Er kommt tief aus der Historie des Unternehmens. Unser Gründer Ferry Porsche konnte den Sport­wagen seiner Träume nicht finden. Also hat er ihn selbst gebaut. Das ist die Haltung, die uns heute noch antreibt. Und zwar nicht nur beim Thema Sportwagenbau, sondern auch gesellschaftlich. Wir wollen Menschen darin unterstützen, ihre Träume zu realisieren, für ihre Träume zu kämpfen. Zu­gleich spielen unsere Produkte eine entscheidende Rolle. Jedes Fahrzeug aus unserem Haus muss ein echter Porsche sein: Design, Qualität und Handling sind zentrale Eigenschaften.

Wie kann, wie muss, wie wird sich das Markengefühl anpassen?

Nur weil Porsche sich stets verändert hat, ist Por­sche immer Porsche geblieben. Veränderungen in der Produktpalette haben schon oft im Vorfeld zu skeptischen Fragen geführt – etwa beim Cayenne als erstem SUV oder bei unserem ersten Elektro­fahrzeug, dem Taycan. »Ist das wirklich ein echter Porsche?« Sobald die Menschen hinter dem Lenk­rad saßen, war die Frage in der Regel mit einem kla­ren »Ja« beantwortet. Alle unsere Fahrzeuge sind Sportwagen. Sie verbindet ihre Design-DNA; sie fühlen sich an wie ein Porsche und haben den Por­sche-typischen Sound. Das wird auch in Zukunft so sein. Daneben geht es beim Markengefühl um echte Erlebnisse. Emotional und einzigartig. Wir bauen beispielsweise unsere Porsche Experience Center – kurz PEC – weltweit weiter aus. Gerade erst haben wir neue Standorte in Italien und Tokio eröffnet, als Nächstes folgt mit Toronto PEC Nummer zehn.

Was eigentlich spricht – rational! – für einen Porsche?

Diese Frage wurde schon häufig wie folgt beant­wortet: »Wir bauen Fahrzeuge, die keiner braucht, aber jeder möchte.« Das gilt bis heute. Gleichwohl zeichnen sich unsere Fahrzeuge durch die optimale Verbindung von Performance und Alltagstauglich­keit aus. Ein Porsche ist weit mehr als ein Auto für Wochenendausfahrten. Unsere Sportwagen sind beliebt bei allen Menschen, die dynamische Fahr­erlebnisse mit Praktikabilität im Alltag verbinden möchten. Je nachdem, welche Präferenz stärker ausgeprägt ist, können wir mit unserer breiten Pro­duktpallette sämtliche Ansprüche bedienen.

Welches Detail lieben Sie selbst besonders?

Für mich ist es weniger ein Detail. Es ist das Ge­samtgefühl. Es entsteht bei mir bis heute – auch nach mehr als 20 Jahren bei Porsche. Jeden Mor­gen, wenn ich in mein Auto steige, habe ich beim Anlassen des Motors ein kleines Schmunzeln auf den Lippen. Das gilt beim Taycan Cross Turismo, den ich aktuell fahre, übrigens gleichermaßen wie beim 911. Und das macht für mich die Leidenschaft für unsere Produkte aus.

Was wünschen Sie sich von der Forschung?

Die Automobilindustrie befindet sich in einem massiven Wandel. Eine Transformation, wie es sie in den vergangenen 100 Jahren nicht gegeben hat. Autonomes Fahren und digitale Vernetzung bestimmen die öffentliche Debatte. Das Auto der Zukunft soll nachhaltige Mobilität bieten, ist digi­tal und voll vernetzt. Auf all diesen Gebieten sind intelligente Konzepte gefragt. Hier müssen wir als Hersteller eng mit Wissenschaft und Forschungs­instituten zusammenarbeiten. Aber auch mit Start-ups und neuen Playern. Wir suchen aktiv den Aus­tausch und sind offen für Kooperationspartner, mit denen wir den Wandel aktiv gestalten können.