Bioökonomie

»Damit wir zukünftig nicht zwei bis drei Planeten brauchen.«

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Eckhard Weidner, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT.

Prof. Dr.-Ing. Eckhard Weidner
© Fraunhofer UMSICHT
Prof. Dr.-Ing. Eckhard Weidner

Seit jeher nutzen Menschen die Natur – etwa um aus Pflanzen Nahrungsmittel, Kleidung und Medizin zu erzeugen oder Energie zu gewinnen. Die nachhaltige Bioökonomie will mehr: Hier geht es darum, über die Nutzung der Natur Herausforderungen wie dem Klimawandel und knapper werdenden Rohstoffen entgegenzuwirken. Dieses Ziel verfolgen auch die Forscherinnen und Forscher am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT. Einen Einblick gibt Prof. Dr.-Ing. Eckhard Weidner: Er leitet seit 2004 das Fraunhofer UMSICHT in Oberhausen und steht seit 1998 dem Lehrstuhl für Verfahrenstechnische Transportprozesse der Ruhr-Universität Bochum vor.

Prof. Weidner, Bioökonomie – was bedeutet das für Sie?

Das Thema Bioökonomie ist ein Thema, bei dem wir uns am Fraunhofer UMSICHT auf drei Facetten konzentrieren: Ernährung, Agrar und Chemikalien. Generell gilt: Die Bioökonomie beinhaltet verschiedene Sektoren, die miteinander verbunden sind. Es braucht sowohl Wissen über diese Sektoren als auch über ihre Verzahnung. So kann der Bereich der Chemikalien zu Biokraftstoffen und damit in den Bereich Mobilität führen, aber genauso gut nachhaltige Ausgangsstoffe für die Chemie bereitstellen.

Am Fraunhofer UMSICHT beschäftigen wir uns nicht nur mit technischen Fragen, sondern wir überlegen beispielsweise auch, wie wir die Fläche unseres Planteten bestmöglich nutzen können. Ernährung geht selbstverständlich vor, aber schon beim Tierfutter für Mastbetriebe wird es schwierig. Momentan werden dafür 58 Prozent der Landfläche genutzt. Ist das vertretbar? Wie kann ein nachhaltiger Umgang mit Geo-Ressourcen aussehen? Diese Frage ist essentiell, damit wir zukünftig nicht zwei bis drei Planteten brauchen, sondern mit unserem auskommen.

In welcher Rolle sehen Sie das Fraunhofer UMSICHT hinsichtlich der Bioökonomie?

Wir verstehen uns als Wegbereiter für eine nachhaltige Welt. Dabei kommen wir zwar von der experimentellen und technologischen Seite, begleiten diese jedoch auch mit Dienstleistungen. So kombinieren wir beispielsweise die Lebenszyklusanalyse mit sozialen Komponenten. Wir gehen sehr partizipativ vor, berücksichtigen also Akteure entlang der Wertschöpfungskette einschließlich Politik und Gesellschaft. 

Wie sieht die Forschung am Fraunhofer UMSICHT konkret aus – beispielsweise im bioökonomischen Bereich der Agrarwirtschaft?

Stand heute nutzen wir als Gesellschaft Kläranlagen, um Abfälle zu beseitigen. In Zukunft werden wir uns das nicht mehr leisten können, denn damit gehen auch viele wertvolle Nährstoffe wie Phosphor verloren. Hier muss das Ziel sein, die Nährstoffe in einem geschlossenen Kreislauf wieder zurückzugewinnen. Wie das aussehen kann, untersuchen wir im Projekt NewTrient: Wir gewinnen die Nährstoffe aus einer Kläranlage zurück und nutzen sie in einem Gewächshaus als Düngemittel.

Eine andere Fragestellung, die sich im Bereich Agrar ergibt: Wie kann man die benötigten Lebensmittel näher am Menschen anbauen? Dazu haben wir den Altmarktgarten angelegt und vor einem Jahr eröffnet – ein Gewächshaus auf dem Dach des Jobcenters in Oberhausen. Die Energie- und Wasserversorgung des Hauses ist mit der des Gartens gekoppelt. Dieses Dachgewächshaus erregt bundesweit viel Aufmerksamkeit.

Zu einem nachhaltigen Wirtschaften gehört auch eine nachhaltige Mobilität. Was kann die Bioökonomie hier leisten?

Vieles. So arbeiten wir daran, aus biologischen Reststoffen oder anderen Reststoffen, die sich bislang nicht nutzen lassen, Treibstoffe herzustellen. Dazu verfolgen wir zwei Technologien. Zum einen vergären wir Abfälle aus der Landwirtschaft zu Ethanol, aus dem wir wiederum Treibstoffe herstellen, die sich in herkömmlichen Motoren nutzen lassen. Auf diese Weise können wir den CO2-Fußabdruck um 20 bis 30 Prozent verringern und die Emissionen von 90 Gramm pro Kilometer auf etwa 60 Gramm pro Kilometer senken. Der zweite Ansatz ist die Pyrolyse mit anschließender Hydrierung. Mit ihr können wir aus Reststoffen – etwa Klärschlamm oder Gärrückstände aus Biogasanlagen – ein raffineriekompatibles Substitut für fossile Kraftstoffe herstellen.

Interessant ist das vor allem für die Luftfahrt: Diese hat sich das Ziel gesetzt, dass im Jahr 2025 zehn Prozent des in Deutschland getankten Kerosins aus alternativen Rohstoffen stammt. Kolleginnen und Kollegen von UMSICHT Sulzbach-Rosenberg sind Kernpartner in einem EU-Projekt, um in den nächsten zwei Jahren 1000 bis 1200 Tonnen eines solchen Kraftstoffs herzustellen.

Was mehr kann die Bioökonomie?

Viel kann die Bioökonomie auch im Bereich der Biopolymere leisten. Wir entwickeln Biopolymere für ganz unterschiedliche Anwendungen. So müssen beispielsweise in Italien alle Plastiktüten aus bioabbaubarem Kunststoff sein. Es gehört zu unseren Kompetenzen, für solche Anforderungen die Rezepturen zu entwickeln. Auch im Bereich der Geotextilien sind wir aktiv. So entwickeln wir unter anderem bioabbaubare Polymerfolien, die zum Beispiel helfen, Böschungen zu stabilisieren. Mit diesen Folien gibt man jungen Pflanzen beim Anwachsen Halt. Haben sich genug Wurzeln und Ausläufer gebildet, zersetzen sich die innovativen Folien im Unterscheid zu den klassischen Folien nach einiger Zeit in Kohlenstoffdioxid und Wasser – dazu führen wir derzeit Feldversuche durch.