Interview Prof. Julia Arlinghaus

»Das spart richtig Geld!«

Prof. Julia Arlinghaus
© Viktoria Kühne
Prof. Julia Arlinghaus leitet seit Oktober das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg.

Nachhaltigkeit mit dem Blick der Wirtschaft betrachten: Das empfiehlt Prof. Julia Arlinghaus, Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg.

Frau Prof. Arlinghaus, schließen sich Ökologie und Ökonomie aus?

Arlinghaus: Ganz im Gegenteil. Wir leben doch in der spannendsten Zeit überhaupt, in der sich die Unternehmen wechselseitig überholen im Wettlauf um Klimaneutralität. Es gibt heute Fonds, die auf grüne Technologien setzen, es gibt Fonds, die auf Nachhaltigkeit setzen. Ökologie ist zu einem Kriterium für die Investoren geworden.

Werden wir als Verbraucher Verzicht üben müssen?

Das Schöne ist, dass jeder die Freiheit hat, sein Konsumverhalten selber zu bestimmen. Was ich dabei beobachte: Gerade viele Jüngere entscheiden sich aktiv und sehr bewusst für eine neue Art von Produkten. Als Hochschullehrerin erlebe ich intensive Diskussionen mit meinen Studierenden, ob wir nun – heute noch ressourcenintensive – Angebote wie Same Day Delivery und Same Hour Delivery wirklich brauchen. Undob Unternehmer nicht mehr Verantwortung zeigen sollten.

Wie kriegen wir also die Gegensätze zu neuer Nachhaltigkeit zusammen?

Mit dem Blick der Wirtschaft. Unsere Unternehmen bewegen sich doch in weitgehend gesättigten Märkten. Gleichzeitig haben wir auf der ganzen Welt Bevölkerungsgruppen, mehrere Milliarden stark, die wirklich in Armut leben. Wenn es gelingt, an deren Bedingungen angepasste Produkte herzustellen und zu vermarkten, dann kann daraus durchaus eine klassische Win-win-Situation entstehen. Auf der einen Seite bekämpfen wir die Armut. Und auf der anderen Seite erschließen wir immer attraktivere Märkte für unsere Unternehmen. Damit das aber nachhaltig sein kann, auch im Sinn einer sozialen Nachhaltigkeit, darf man nicht einfach unsere Geschäftsmodelle kopieren und exportieren. Wir müssen Lösungen finden, um Menschen vor Ort in Produktions- und Lieferketten zu integrieren. Dann entstehen Arbeitsplätze. Dann entsteht Bildung. Dann entsteht Wohlstand.

Zurück nach Europa und Deutschland. Wie lassen sich Geldbeutel und Umwelt gleichzeitig schonen?

Neue Technologien – sei es Sensortechnik, sei es Künstliche Intelligenz, sei es Robotik – helfen uns natürlich, Prozesse effizienter zu machen. Wir minimieren Transportstrecken. Das spart Energie. Wir können aber auch die Qualität unserer Produktionsprozess verbessern. Gerade erst konnten wir bei einem Unternehmen mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz und einer integrierten Qualitätsprüfung im Produktionsprozess den Ausschuss um 30 Prozent reduzieren. Das spart richtig Geld und Ressourcen! In einem anderen Projekt ging es gerade um die Energieoptimierung in einer Gießerei. Da haben wir neue Technologien entwickelt, aber auch die Produktionsplanung und Produktionssteuerung verändert. Damit reduzieren wir die Kohlendioxidemissionen um bis zu 80 Prozent und die Energiekosten um bis zu 60 Prozent. Das heißt, wir optimieren nicht mehr nur daraufhin, möglichst schnell zu sein. Wir führen eine weitere Dimension ein, um zum Beispiel mit dem Energieangebot aus erneuerbaren Energien eine Produktion optimal gestalten zu können. Dafür nutzen wir übrigens dieselben Techniken, die uns auch helfen, Fabriken effizienter zu machen.

Frau Prof. Arlinghaus, Sie klingen bemerkenswert optimistisch!

Das bin ich tatsächlich. Mein persönlicher Wunsch ist allerdings, dass wir immer, wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, die soziale Komponente nicht aus den Augen verlieren. Gerade mit Blick auf die Digitalisierung ist es wichtig, auch zu bedenken, dass wir überall mit Menschen zu tun haben. Und die müssen wir mitnehmen.

Sie machen sich zur Fürsprecherin für den – entschuldigen Sie das Unwort – Faktor Mensch. Wie schaffen Sie es, gegenüber Wirtschaftsunternehmen in härter werdenden Zeiten zugunsten dieses weichen Faktors zu plädieren?

Ehrlich gesagt muss ich da gar kein Unternehmen überreden. Im Gegenteil erlebe ich, dass die Wirtschaft mit diesen Fragen zu uns kommt. In unserem Institut haben wir in allen Abteilungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich auf Lernprozesse und Anpassungsprozesse spezialisiert haben. Meine Erfahrung: Die Wirtschaft nimmt das Angebot, dass wir das neben der Technologie zusätzlich leisten, dankend an.

Für die Zukunft forschen, dabei aber die Gegenwart nicht vergessen?

Klar müssen wir bei Fraunhofer fünf, zehn, vielleicht auch noch mehr Jahre vorausdenken. Aber wir dürfen nicht vergessen: Die Lebenswirklichkeit der Menschen entwickelt sich langsamer. Und auch eine Fabrik steht schon 80, manchmal 100 Jahre. Da reicht es nicht, über visionäre Ideen zu sprechen. Da müssen wir auch Traditionen, historische Abläufe und gewachsene Strukturen berücksichtigen. Nur so erreichen wir den deutschen Mittelstand. Wir müssen die Menschen und wir müssen die Unternehmen dort abholen, wo sie wirklich stehen.

Wo sehen Sie künftig die großen Herausforderungen?

Dieser Spagat zwischen dem Heute und einem Übermorgen ist die eine. In meiner Forschung beschäftige ich mich seit vielen Jahren schon mit Supply-Chain-Risiko-Management. Wir müssen flexibler und resilienter gegenüber Störungen und Schwankungen werden. Wir müssen unsere Energie- und unsere Produktionssysteme gemeinsam denken – das ist ein ökologischer und ökonomischer Weg in die Zukunft.