Interview mit Bettina Stark-Watzinger

Bundesministerin für Bildung und Forschung

»Der finanzielle Rückenwind sollte spürbar sein«

Zum ersten Mal seit 1965 besetzt die FDP Finanz- und Forschungsministerium. Die neue Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger über ihren Ehrgeiz, ihre Neugier und ihre Pläne für die Forschung in Deutschland.

Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung
© Thomas Trutschel/photothek/imago images
Bettina Stark-Watzinger, 53, ist am 8. Dezember 2021 als Bundesministerin für Bildung und Forschung vereidigt worden. Vor ihrer Politik-Karriere leitete die Diplom-Volkswirtin als Geschäftsführerin das heutige Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung.

Frau Stark-Watzinger, Ihr Motto ist: »Die Zukunft gehört denen, die etwas tun.« Was werden Ihre ersten Zukunftsaufgaben sein, die Sie angehen als Ministerin für Bildung und Forschung?

Bettina Stark-Watzinger: Als Koalition wollen wir mehr Fortschritt wagen. Dabei kommt Bildung und Forschung eine Schlüsselrolle zu. Sie sind die bedeut­samsten Fortschrittsbeschleuniger unseres Landes. Es ist mein Ehrgeiz, auf das bisher Erreichte aufzubauen und zügig die Projekte des Koalitionsvertrages in mei­nem Bereich anzustoßen.

Die Corona-Pandemie hat den notwendigen Moder­nisierungsschub in der Bildung offengelegt. Deshalb liegt mir die Beschleunigung und Entbürokratisierung des Digitalpakts besonders am Herzen. Das BAföG soll refor­miert und elternunabhängiger gemacht werden. Und mit dem Startchancen-Programm wollen wir denjenigen Kin­dern und Jugendlichen zusätzliche Unterstützung geben, die sie besonders brauchen. Die vielfältigen Herausforde­rungen können wir nur mit Forschung und Transfer be­wältigen. Handlungsfelder sind exzellente Forschung, Daten und die Agenturen.

Sie selbst haben ja vor Ihrer Politik-Karriere als Geschäftsführerin ein Forschungsinstitut geleitet. Was haben Sie davon mitgenommen für Ihre neue Aufgabe?

Ich habe in dieser Zeit einen tiefen Einblick in den Alltag von Forscherinnen und Forschern und großen Respekt vor ihrer Arbeit bekommen. Ihre Neugierde begeistert mich bis heute jeden Tag. Ich habe mir vor­genommen, auch so zu neugierig zu bleiben. Als Öko­nomin war es für mich natürlich naheliegend, in der finanzwissenschaftlichen Forschung tätig zu sein, in der ich mich zu Hause fühle. Zudem habe ich dadurch selbst erlebt, welche Herausforderung es ist, Forschung überhaupt erst möglich zu machen, zum Erfolg zu füh­ren und nachhaltig zu finanzieren. Das hilft mir nun als Bundesforschungsministerin. Dazu ein Beispiel: Mir ist wichtig, dass die Balance zwischen Grundfi­nanzierung und Projektförderung ausgewogen ist. Die Grundfinanzierung darf nicht zugunsten der Projekt­mittel abgeschmolzen werden.

Wir gehen gerade von einem Krisenjahr 2021 in ein Jahr 2022, das wieder in der Krise beginnt. Was erwarten Sie sich von der Forschung, um Deutschland resilienter zu machen?

Die Wissenschaft leistet hier bereits Hervorragendes, von der Gesundheits-, über die Arbeits- bis zur Klima­forschung. Zunächst einmal ist es jedoch Aufgabe der Politik, unsere Gesellschaft widerstandsfähiger zu machen – im umfassenden Sinne. Resilienz bedeutet nicht nur, eine konkrete pandemische Lage oder ein einzelnes Extremwettereignis schnell und gut zu meis­tern. Sondern Deutschland muss in Gänze resilienter werden. Das gilt mit Blick auf die Energie- und Roh­stoffversorgung, und natürlich auch mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit im Allgemeinen. Nur so sichern wir auch langfristig unsere Zukunftsfähigkeit und Chancen. Die neue Bundesregierung will deshalb die Souveränität Deutschlands und Europas in dieser Frage weiter erhöhen. Denn wir wollen diese und künftige Krisen rasch und verantwortungsbewusst überwinden. Forschung kann uns dabei helfen, indem sie möglichst frühzeitig Risiken identifiziert und mögliche Lösungen vorausdenkt und erprobt. Meine Erwartung ist, dass auch künftig Forschung die Grundlage dafür legen wird, dass wir evidenzbasiert politisch entscheiden können, auch unter hohem zeitlichem Druck in aktuel­len Notlagen. Mir ist es daher sehr wichtig, Forschungs­förderung so auszurichten, dass zukunftsträchtige Innovationen möglich werden, ausgehend von der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung bis zur ex­perimentellen Entwicklung. Eine wichtige Voraussetzung für diese Innovationskraft ist dabei Techno­logieoffenheit. In der Pandemie waren wir auch deswegen in der Lage, eine schnelle wissenschaft­liche Antwort zu finden, weil auf relevante Grundlagenforschung zu­rückgegriffen werden konnte. Des­halb wollen wir die freie, von wis­senschaftlicher Neugier getriebene Grundlagenforschung weiterhin so umfassend unterstützen.

Mein Anspruch ist: Weltspitze bis hin zum Nobel­preis-Niveau. Eine zentrale Rolle wird grünen Zukunfts­technologien für klimaneutrale Energieträger und res­sourceneffizientes Wirtschaften zukommen. Ich erwarte, dass wir hier in den nächsten Jahren wissenschaftliche Durchbrüche erzielen, die Deutschland zum globalen Technologievorreiter für die Themen Klima, Energie und Kreislaufwirtschaft machen.

Herzlichen Glückwunsch, Sie haben einen gu­ten Draht zum Finanzminister – zum ersten Mal seit 1965 stellt die FDP diese beiden Ministerien. Wofür braucht die Forschung mehr finanziellen Rückenwind?

Angesichts der Herausforderungen, vor denen unser Land steht, wie Digitalisierung, Demografie und Kli­mawandel, sollte der finanzielle Rückenwind schon deutlich spürbar sein. Wir brauchen ihn für mehr In­novation, Wettbewerbsfähigkeit und klimaneutralen Wohlstand. Deshalb haben wir das 3,5-Prozent-Ziel im Koalitionsvertrag verankert. Ich möchte, dass dieser Rückenwind genutzt wird, um den wissenschaftlichen Fortschritt zu erzielen, den wir dringend brauchen.

Auch damit schaffen wir Chancen. Handlungsbedarf sehe ich insbesondere beim Erreichen unserer Klima- und Nachhaltigkeitsziele. Zudem wird der internationale Wett­bewerb auch in Schlüsseltechnologien wie der Künstli­chen Intelligenz oder den Quantentechnologien weiter zunehmen. Deutschland muss und will in dieser sich än­dernden globalen Lage ein starker Akteur sein und seine technologische Souveränität im europäischen Verbund weiter ausbauen. Die weltweite Sichtbarkeit, die Deutsch­land durch die Entwicklung des ersten mRNA-Impfstoffs erlangt hat, wollen wir nutzen, um zum international führenden Biotechnologie-Standort zu werden. Den Rü­ckenwind für die Forschung erzeugen wir aber nicht al­lein durch zusätzliches Geld. Durch eine regelmäßige und umfassende Wirkungsprüfung werden wir außerdem die Effektivität und Effizienz von staat­lichen Maßnahmen generell bewerten und uns neue Spielräume erarbeiten.

Für die FDP – und auch für Fraunhofer – stehen Klimaschutz und Wirtschaftswachstum nicht im Widerspruch. Energiewende, Ver­kehrswende, Kreislaufwirtschaft sind in diesem Fraunhofer-Magazin wieder die großen Themen unserer Forschungsgesellschaft. Was wer­den Sie tun, um Forschungsergeb­nisse noch schneller in die Anwen­dung und in die Wirtschaft zu bringen?

Deutschland ist in einer guten Start­position. Wir müssen aber die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und den Transfer deut­lich verbessern. Dabei ist für mich Transfer keine Ein­bahnstraße von der akademischen Forschung in die Wirtschaft, sondern ein Kreislauf. Das bedeutet, dass diejenigen, die Forschungsergebnisse am Ende anwen­den oder Prototypen weiterentwickeln, von Anfang an in den Forschungsprozess eingebunden werden. Dies können Expertinnen und Experten aus der Wirtschaft, aber auch professionelle Anwender wie Ärztinnen und Ärzte oder die Bürgerinnen und Bürger als Nutzer sein.

Ein Schwerpunkt wird die Gründung und der Aufbau der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DA­TI), die soziale und technologische Innovationen insbe­sondere an den HAW sowie den kleinen und mittleren Universitäten in Zusammenarbeit unter anderem mit Start-ups, kleinen und mittleren Unternehmen sowie so­zialen und öffentlichen Organisationen fördert. Weiterhin werden wir Innovationsregionen nach britischem Vorbild schaffen und dafür Handlungsspielräume des nationalen wie europäischen Rechts nutzen und ausweiten. Ich set­ze hierbei auf eine missionsorientierte Forschungspolitik, die frühzeitig alle Beteiligten und insbesondere die spä­teren Anwender einbindet. Die Chancen der Digitalisie­rung werden wir nutzen und Datenpotenziale gezielt heben. Die Innovationsförderung des Bundes soll für ge­sellschaftliche, soziale und ökologische Innovationsvor­haben konsequent geöffnet werden.