Thomas Ingenlath, CEO des schwedischen Elektroautoherstellers Polestar
Fraunhofer-Magazin 1.2023
Elektrifizierung ist nur der Anfang: Selbst wenn morgen jeder verkaufte Wagen ein Elektroauto wäre, würden die Emissionen der Autoindustrie noch immer weit über ihrem CO2-Budget liegen. In diesem entscheidenden Moment der Geschichte sollten sich alle relevanten Player zur Zusammenarbeit aufgerufen sehen.
Die Emissionen von Personenkraftwagen machen heute 15 Prozent aller weltweiten Treibhausgasemissionen aus. Vielversprechend ist, dass wir im Gegensatz zu vielen anderen Branchen eine bestehende, skalierbare Lösung für das Klima haben: das Elektrofahrzeug. Bisher hat sich die Automobilindustrie vor allem auf die Elektrifizierung und die schnellere Verbreitung konzentriert. Aber wenn wir ernsthaft etwas für das Klima tun wollen, müssen wir zugeben, dass die Elektrifizierung noch nicht das Ende ist, sondern nur ein Anfang.
Nach dem Pathway-Bericht, von Polestar und dem US-Elektroauto-Hersteller Rivian mit der globalen Unternehmensberatung Kearney erstellt, wird die Autoindustrie ihr globales Kohlenstoffbudget bis 2035 aufgebraucht haben und ab diesem Zeitpunkt die 1,5-Grad- Grenze massiv übersteigen – wobei bis 2050 eine Überschreitung um 75 Prozent zu erwarten ist. Bei der Modellierung eines hypothetischen »Well-to-Wheel«-Szenarios, das von einer aggressiven Einführung batteriebetriebener Elektrofahrzeuge ausgeht, die zudem hypothetisch komplett mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden, kommt es immer noch zu einer Überschreitung der Treibhausgasemissionen, wenn nicht gleichzeitig die Emissionen in der Fertigungslieferkette angegangen werden.
Die schockierenden Ergebnisse des Pathway-Berichts hat Polestar gemeinsam mit Rivian und Kearney vor der Veröffentlichung einigen der weltweit führenden Automobilherstellern zur Verfügung gestellt, und wir laden die Branche weiterhin ein, zusammenzukommen, die Daten zu prüfen und mit der Arbeit an Bereichen kollektiver Klimaschutzmaßnahmen zu beginnen. Die Daten zeigen einen Weg auf, der auf drei wichtigen Hebeln basiert. Hebel 1 betrifft die Geschwindigkeit, mit der mit fossilen Brennstoffen betriebene Autos durch Elektroautos ersetzt werden müssen. Hebel 2 ist der Ausbau erneuerbarer Energien in Stromnetzen, Hebel 3 die Verringerung der Treibhausgasemissionen in der Fertigungslieferkette.
Nur durch sofortiges, gemeinsames Handeln aller Automobilhersteller haben wir noch eine Chance: Erstens muss die Branche den Übergang zu Elektrofahrzeugen beschleunigen, indem sie in Produktionskapazitäten investiert und ein festes Datum für das Ende des weltweiten Verkaufs von Autos mit fossilen Brennstoffen festlegt. Zweitens muss die Versorgung mit erneuerbarer Energie für globale Netze ausgebaut werden, damit Elektrofahrzeuge ihr volles Potenzial durch grünes Laden ausschöpfen können. Drittens müssen die Fertigungslieferketten für die Herstellung dieser Fahrzeuge dekarbonisiert werden, indem auf kohlenstoffarme Materialien umgestellt und in Lösungen für erneuerbare Energien für Lieferketten investiert wird.
Um die große Herausforderung des dritten Hebels anzugehen und die Lieferketten zu dekarbonisieren, ist Zusammenarbeit der Schlüssel. Gemeinsam können wir ein klares Signal an die Zulieferer senden, indem wir unsere kollektive Kaufkraft nutzen und Nachfragekoalitionen bilden sowie gemeinsam auf ehrgeizige Ziele hinarbeiten. Im April 2021 haben wir das Polestar-0-Projekt ins Leben gerufen. Unser Ziel ist es, bis 2030 ein wirklich klimaneutrales Auto zu bauen, indem wir die Art und Weise, wie Autos hergestellt werden, ändern, anstatt uns auf irreführende Kompensationsprogramme zu verlassen. Das bedeutet, dass wir alle CO2e-Quellen in der gesamten Lieferkette eliminieren wollen, von der Rohstoffgewinnung über die Material-und Fahrzeugproduktion bis hin zur Auslieferung und zum Ende des Lebenszyklus.
Bislang haben wir mit mehr als 20 der weltweit führenden Automobilzulieferer aus verschiedenen Bereichen der Lieferkette Forschungsvereinbarungen unterzeichnet, darunter deutsche Marktführer wie das globale Technologieunternehmen ZF, mit Vitesco, einem Anbieter von Antriebs- und Kraftübertragungstechnologien für die Automobilindustrie, und Schlötter, einem Spezialisten für Galvanotechnik.
Wir freuen uns, dass inzwischen so viele unsere Vision teilen und sich an diesem Projekt beteiligen wollen, aber die Suche geht weiter. Es werden noch weitere Partner aus dem akademischen Bereich und aus der Wirtschaft benötigt, und wir konzentrieren uns auf Partner für Rohstoffe, biobasierte Chemikalien, Polymere, elektrische Komponenten, Edelgase und die Produktion anderer Grundstoffe.
Autohersteller und Industrie müssen über den Wettbewerb hinausschauen – die Klimakrise ist eine gemeinsame Verantwortung. Betrachten Sie dies als einen Aufruf zur Zusammenarbeit.