Das zukünftige Rahmenprogramm für Forschung und Innovation

Fünf Leitsätze der Fraunhofer-Gesellschaft

Fraunhofer hat für die Vorbereitungen zum neunten Europäischen Rahmenprogramm für Forschung und Innovation fünf Leitsätze definiert. Neben der Industriebeteiligung am künftigen Rahmenprogramm werden Anregungen zum Europäischen Innovationsrat, dem Konzept von europäischen Missionen, der Förderung von Verteidigungsforschung und zu den allgemeinen Förderbedingungen gegeben. Als größte europäische Einrichtung für angewandte Forschung wird Fraunhofer anhand dieser fünf Leitsätze aktiv an der Debatte um die zukünftige Gestaltung europäischer Forschungsförderung teilnehmen – unter anderem in enger Zusammenarbeit mit dem Dachverband europäischer Forschungs- und Technologieorganisationen (EARTO). Im Zuge des Konsultationsprozesses wird Fraunhofer die Europäische Kommission, den Europäischen Rat und das Europäische Parlament proaktiv unterstützen. Weitere Positionspapiere, die die fünf Leitsätze im Detail behandeln, stehen auf der Webseite des Fraunhofer EU-Büros zum Download zur Verfügung.

1 Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zur obersten Priorität erklären

Fraunhofer ist der Überzeugung, dass Forschung für und mit der Industrie ein zentraler und dezidierter Bestandteil eines europäischen Rahmenprogramms für Forschung und Innovation bleiben muss. Eine klare Ausrichtung des Rahmenprogramms auf die Digitalisierung der Industrie und die Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit ist in Zeiten eines globalen Wettbewerbs von höchster Bedeutung.

Die zunehmende Vernetzung und fortschreitende Digitalisierung revolutioniert die europäische Wirtschaft unaufhaltsam. Unter anderem in Bereichen wie Robotik, Internet der Dinge, Autonomes Fahren, Nanotechnologie, Biotechnologie, Materialwissenschaften, Energietechnologie und Quantencomputing können neue Entdeckungen zu zahlreichen technologischen Durchbrüchen führen.

Die rasche Entwicklung europäischer Standards und Normen sowie Kooperationen verschiedener Marktteilnehmer entlang der gesamten Wertschöpfungskette werden in Zukunft darüber entscheiden, wer sich auf den globalen Märkten behaupten kann. Kollaborative Forschungs- und Innovationsprojekte müssen den digitalen Wandel beschleunigen und die Basis für europäische Standards bilden. In Zeiten der Digitalisierung und kurzen Innovationszyklen ist ein rascher Technologietransfer ebenso entscheidend wie konsequente Kooperationen entlang der Wertschöpfungskette und eine stetige Weiterentwicklung von Schlüsseltechnologien. Die Förderung in diesem Bereich muss sich auf Schlüsseltechnologien konzentrieren, die durch überzeugende Geschäftsmodelle für einen hohen wirtschaftlichen Nutzen sorgen und sich positiv auf die Entwicklung einer nachhaltigen, europäischen Industrie auswirken.

Ein europäisches Forschungsrahmenprogramm kann zu all diesen Punkten wertvolle Beiträge leisten. Das kommende Forschungsrahmenprogramm sollte deshalb in allen Programmteilen die Kooperation zwischen Wissenschaft und Industrie fördern und die Beteiligung der Industrie unterstützen. Ebenso wichtig ist allerdings auch die Förderung von Schlüsseltechnologien in vorwettbewerblichen Innovationsnetzwerken – im Rahmen eines dezidierten Programmteils. Im Unterschied zu dem zurzeit rege diskutierten Missionsansatz sollte dieser Teil des Rahmenprogramms weiterhin technologiegetrieben sein und allem voran die Stärkung der technologischen Basis der europäischen Industrie im Fokus haben.

2 Wirkung und Sichtbarkeit durch europäische Missionen stärken

Begrenzte Auswirkungen auf den Alltag der Bürgerinnen und Bürger Europas und geringe Sichtbarkeit zählen sicherlich zu den Schwächen der bisherigen Rahmenprogramme. Horizont 2020 kann diesbezüglich zwar Verbesserungen vorweisen, der Einfluss von europäischer Forschungs- und Innovationsförderung auf das tägliche Leben bleibt jedoch weiterhin schwer nachvollziehbar. In Zeiten, in denen sich Europa innerhalb eines weltweit unbeständigen Umfeldes neu definieren muss und gleichzeitig der europäische Haushalt unter großem Druck steht, ist es deshalb unabdingbar, die wissenschaftlichen Errungenschaften von europäischer Forschungs- und Innovationsförderung klar aufzuzeigen. Europäische Missionen könnten hierfür ein vielversprechender Ansatz sein und Fraunhofer unterstützt diese Idee in großem Maße. Um den so dringend benötigten sichtbaren Erfolg von Forschungsförderung auch wirklich zu erzielen, müssen Missionen jedoch in konsistenter und transparenter Weise definiert und umgesetzt werden.

Die Definition, was eine Mission ist, sollte allgemein abgestimmten Kriterien folgen. Eine europäische Mission muss eine derart große Herausforderung darstellen, dass kein Mitgliedstaat alleine sie bewältigen kann, und sie sollte den Weg für außergewöhnliche Geschäftsmodelle bereiten – in allen Mitgliedstaaten. Kurz gesagt, eine Mission stellt reinen europäischen Mehrwert dar. 

Eine Mission zeichnet sich durch ein klares Ziel aus, das es zu erreichen gilt. Dies steht im Gegensatz zu gewöhnlichen Forschungsprojekten, bei denen eine bestimmte Technologie weiterentwickelt werden soll. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es einen vorgegebenen Zeitplan und ein festes Budget. Hierbei sollte die Dauer einer Mission länger als bei typischen FuI-Projekten sein und das Budget angemessen hoch, um den Erfolg dieser ehrgeizigen und prestigeträchtigen Unternehmung zu ermöglichen.

Wichtige zu erreichende Zwischenziele demonstrieren die Bedeutung von Missionen bereits während deren Laufzeit und machen Nachjustierungen möglich. Dieser Kontrollmechanismus ist wichtig, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen und für die öffentliche Akzeptanz dieser Großunternehmungen zu sorgen. 

Missionen dienen dazu, eine Führungsrolle in einem bestimmten Feld zu etablieren. Fraunhofer empfiehlt, Missionen sowohl mittels eines Top-down-Ansatzes auf politischer Ebene, als auch mittels eines Bottom-up-Ansatzes auf Forschungsebene auszuwählen. Es ist eine rein politische Entscheidung, welche Zukunftsszenarien entscheidend für das Wohl Europas sein werden. Die Mitgliedsstaaten müssen sich dafür auf Kernelemente der europäischen Wettbewerbsfähigkeit im weltweiten Markt einigen. Europa benötigt zudem eine geeignete Ausgangsposition, um die gewählte Herausforderung zu meistern; es ist deshalb wesentlich zu wissen, auf welche bereits bestehenden Kompetenzen gebaut werden kann. Forschungsakteure müssen einerseits Technologien identifizieren, die das Potenzial haben, unser alltägliches Leben in Zukunft grundlegend zu verbessern, andererseits aber auch die bereits verfügbare Kompetenz in diesem Bereich einschätzen. Letztlich müssen dann politische Entscheidungen und technologische Stärken aufeinander abgestimmt werden.

Um die Tragweite von Missionen deutlich aufzuzeigen, bestärkt Fraunhofer die Europäische Kommission darin, die Anzahl der Missionen zu limitieren und klar abgegrenzte Ziele zu stecken. Ein effizienter Entscheidungsfindungsprozess, die Bündelung von Ressourcen und die Vermeidung von Doppelförderung bereiten den Grund für ehrgeizige Projekte mit großem, europäischem Mehrwert.  

3 Innovation durch einen zielgerichteten Technologie-Push-Ansatz unter dem EIC fördern

Fraunhofer begrüßt die Anstrengungen der Europäischen Kommission einen Europäischen Innovationsrat (EIC) zu schaffen. Die Notwendigkeit, Innovation in Europa stärker zu fördern und zu beschleunigen, ist seit langem bekannt und es wurden dementsprechend bereits einige Initiativen angestoßen – allerdings von diversen Akteuren und über verschiedene Programme hinweg. Das Problem der mangelnden Überführung von Wissen und Technologie in Innovation bleibt jedoch grundsätzlich bestehen und die verschiedenen Initiativen haben zu einer komplexen und unübersichtlichen Förderlandschaft geführt.

Die Gründung eines Europäischen Innovationsrates bietet eine einzigartige Gelegenheit, alle vorhandenen innovationsfördernden Maßnahmen auf den Prüfstand zu stellen und die europäische Förderung für Innovation konsequent auf bestimmte Ziele auszurichten. Der EIC sollte sich auf die Weiterentwicklung und Valorisierung von neuen Technologien mit großem Geschäftspotenzial fokussieren und technologieintensive Innovationen fördern, die aus Forschung und forschungsgetriebenem Entrepreneurship entstehen. Der EIC sollte zudem die Zusammenarbeit verschiedener Institutionen in den Vordergrund stellen, um das Technologiepotenzial am Markt möglichst umfassend auszuschöpfen und junge Technologieunternehmen reif für Investmentkapital zu machen. Einzelförderung sollte die Ausnahme bleiben.

Fraunhofer weist darauf hin, dass der EIC unbedingt auf die Stärken der europäischen Forschung aufbauen sollte. Aus diesem Grund sollte man einen stringenten Technologie-Push-Ansatz verfolgen, der Europas exzellente Forschung in innovative Produkte und Lösungen für Europa und die Welt überführt. Um das Wohlergehen und den Lebensstandard seiner Bevölkerung auf lange Sicht zu bewahren und zu verbessern, benötigt Europa eine noch stärkere industrielle Basis, die im globalen Wettbewerb führend ist. Dafür ist es zu Beginn notwendig, die Einsatzmöglichkeiten einer Technologie in verschiedenen Bereichen beispielhaft zu ergründen, um das Verwertungspotenzial einer Technologie voll ausschöpfen zu können und die kommerzielle Verwertung von Forschungsergebnissen signifikant zu steigern. Organisationen mit Fokus auf angewandte Forschung sind dabei bestens geeignet, diese Einsatzmöglichkeiten in breitem Maßstab zu testen und Technologien für verschiedene Industriebereiche gezielt einsatzfähig zu machen. Sie haben lange Erfahrung in der Verbundforschung gemeinsam mit Universitäten und Industrie und sind auf industrielle B2B-Anwendungen spezialisiert, die das wirtschaftliche Rückgrat Europas bilden.

4 Ein separates Verteidigungsforschungsprogramm mit zusätzlichen Mitteln und eigenen Beteiligungsregeln einführen

Europa sieht sich zunehmend der Bedrohung seiner Sicherheit und einer dramatischen Veränderung des strategischen globalen Umfeldes ausgesetzt. Demgegenüber steht ein Defizit bei Investitionen in Verteidigung und Sicherheit. Bewaffneter Konflikt findet unmittelbar vor den Grenzen der Europäischen Union statt und Terrorismus ist in allen europäischen Ländern zu einer allgegenwärtigen Bedrohung geworden. Gleichzeitig steht Europa vor einer zunehmenden Anzahl an Cyber- und Hybrid-Bedrohungen, gegen die konventionelle Mittel oft wirkungslos sind. Die Europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten setzen in ihrer Globalen Strategie für Außen- und Sicherheitspolitik ehrgeizige politische Ziele und wollen im internationalen Umfeld Sicherheit gewährleisten und strategische Autonomie erlangen. Um diese Ziele zu erreichen, ist eine robuste Verteidigungsforschung und Technologiebasis eine conditio sine qua non.

Im vergangenen Jahrzehnt ist in Europa ein starker Rückgang der Verteidigungsforschungsausgaben zu verzeichnen. Zwischen 2006 und 2013 haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Verteidigungsagentur ihre Verteidigungs-FuE-Budgets im Durchschnitt um fast 30% gesenkt. Investitionen für kollaborative, europäische Verteidigungs-FuE sanken sogar noch stärker. Als Reaktion auf die internationale Finanzkrise zogen sich die Mitgliedsstaaten aus kollaborativen, europäischen Verteidigungs-FuE-Projekten zurück und reduzierten ihre eigenen Staatsausgaben. Es ist nun ein Tiefpunkt erreicht, an dem es an der Zeit ist zu erkennen, dass die Zusammenlegung von Ressourcen und die Schaffung von Synergien in strategisch relevanten Bereichen für Europa entscheidend sind.

Europa muss einen Weg finden, um gemeinsam und in ausgewogener Weise Verteidigungsforschungsprioritäten zu identifizieren; sowohl auf höheren Technology-Readiness-Levels (TRL) mit Schwerpunkt auf den bestehenden militärischen Bedarf, als auch auf niedrigeren TRLs mit potenziell disruptiven Technologien für zukünftige militärische Belange. Darüber hinaus müssen flexible Formen der europäischen Zusammenarbeit gefunden werden.

Hochsensible Verteidigungsforschung erfordert besondere Rahmenbedingungen: Vertraulichkeit und höhere Förderquoten als zivile Forschungsprojekte sind essentiell. Dies bedeutet, dass Abweichungen von den allgemeinen Beteiligungsregeln und der Governance – wie sie beispielsweise unter Horizont 2020 Anwendung finden – notwendig sind. Ergebnisse der Verteidigungsforschung können nicht ohne weiteres offen zugänglich sein. Das Verteidigungsforschungsprogramm muss deshalb getrennt vom zukünftigen Forschungsrahmenprogramm aufgesetzt werden – mit eigenen Regeln, eigenem Budget und voller Kostenerstattung. Neue Beteiligungsregeln werden derzeit im Rahmen der vorbereitenden Maßnahme zur Verteidigungsforschung getestet und sollten eine gute Grundlage für das zukünftige Programm darstellen.

Fraunhofer unterstützt die Pläne der Europäischen Kommission, klein zu beginnen und die Verteidigungsforschung bis 2020 zu einem vollwertigen Programm auszubauen. Wichtig ist dabei allerdings, dass die Einführung eines EU-finanzierten Verteidigungsforschungsprogramms nicht zu einem Kannibalisierungseffekt mit dem zukünftigen Forschungsrahmenprogramm führt. Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten müssen sowohl die Bedeutung der europäischen Verteidigungsforschung als auch der Verbundforschung im Rahmen des neunten Rahmenprogramms für Forschung und Innovation erkennen und zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen.

Fraunhofer fordert die europäischen Institutionen auf, ein eigenes EU-finanziertes Verteidigungsforschungsprogramm einzurichten. Es sollte ergänzend zu den nationalen Verteidigungs-FuE-Tätigkeiten und -Budgets sein, um die erwartete Hebelwirkung eines solchen Programms zur Stärkung der technologischen und industriellen Verteidigungsbasis – einschließlich Hochschulen, Forschungs- und Technologieorganisationen, kleinen und mittleren Unternehmen und Großindustrie – zu gewährleisten. Nur so kann die Europäische Union den Sicherheitsherausforderungen des 21. Jahrhunderts angemessen begegnen.

5 Faire und einfache Finanzierungsbedingungen schaffen

Überzeichnung ist eines der Hauptprobleme von Horizont 2020. Sie führt zu Frustration und verursacht unnötige Kosten für die Vorbereitung und Evaluierung von Anträgen. Für Forscher kann sich die Antragstellung von europäischen Projekten mit dermaßen niedrigen Erfolgsraten negativ auf ihre Karriere auswirken. Diese Entwicklung entmutigt Teilnehmer und untergräbt die Attraktivität des Programms. Fraunhofer ermutigt die Europäische Kommission nachdrücklich, dieses Problem nicht nur durch Änderungen im Evaluierungsverfahren anzugehen, sondern auch bei der Gestaltung des künftigen Rahmenprogrammes auf vernünftige Erfolgsquoten zu achten.

Zuwendungen für Verbundprojekte stellen für die Mehrheit der Teilnehmer die bei weitem wichtigste Form europäischer Förderung dar. Verbundprojekte stimulieren die Zusammenarbeit sowohl zwischen den Mitgliedsstaaten, als auch zwischen verschiedenen Teilnehmergruppen (bspw. Industrie – Akademia) am besten. Im Gegensatz zu anderen Förderformen sind Verbundprojekte für Teilnehmer aus allen Ländern zugänglich und können somit einen Beitrag dazu leisten, die Innovationslücke zu schließen. Fraunhofer empfiehlt, dass Förderung durch Kredite und andere Finanzinstrumente europäische Verbundprojekte zwar ergänzen, aber keinesfalls zur Hauptform der Förderung werden.

Die Forschungsrahmenprogramme sind zunehmend komplexer geworden und auch Horizont 2020 ist – insbesondere für neue Bewerber – nicht leicht zugänglich. Die Anzahl unterschiedlicher Instrumente, Initiativen und Unterprogramme mit verschiedenen Regeln und Zielen erschwert die Zugänglichkeit und verursacht einen hohen Verwaltungsaufwand. Fraunhofer empfiehlt, die Abweichungen von den allgemeinen Beteiligungsregeln auf ein Minimum zu reduzieren und die Anzahl an Förderinstrumenten und Unterprogrammen zu begrenzen. In letzter Konsequenz sollten die Förderinstrumente und die verschiedenen Programme voneinander entkoppelt werden.

Horizont 2020 hat sich von der Förderung auf Basis eines modernen Vollkostenrechnungssystems abgewandt. Fraunhofer empfiehlt, die Fördermodalitäten des künftigen Rahmenprogramms so weiterzuentwickeln, dass die förderfähigen Kosten so weit wie möglich einer Vollkostenrechnung entsprechen. Für Einrichtungen, die über Methoden zur verursachungsgerechten Abrechnung ihrer tatsächlich entstandenen Ausgaben verfügen, gelten folgende wesentliche Voraussetzungen: Die Methode muss ihrer üblichen Buchhaltungspraxis entsprechen, nationale Regeln und Vorschriften widerspiegeln und einen ordnungsgemäßen Prüfnachweis (Audit Trail) ermöglichen. Fraunhofer ermutigt die Europäische Kommission, das Konzept der Large Research Infrastructures (LRI) weiter zu optimieren, um den Verwaltungsaufwand zu verringern.