Hat das Auto noch eine Zukunft in der Mobilität von morgen?

Interview mit Prof. Uwe Clausen, Vorsitzender der Fraunhofer-Allianz Verkehr.

»Von Verboten halte ich nichts«

Prof. Uwe Clausen, Vorsitzender der Fraunhofer-Allianz Verkehr
Prof. Uwe Clausen, Vorsitzender der Fraunhofer-Allianz Verkehr.

Herr Prof. Clausen, wie kann das Auto in der öffentlichen Diskussion aus der Defensive kommen?

Da muss sich vieles, sehr vieles verän­dern. Deutlich verbessern muss sich bei­spielsweise der ganze Bereich der Kreis­laufwirtschaft. Schon bei der Konstruk­tion des Autos gilt es darauf zu achten, die Einzelkomponenten und Materialien später recyceln zu können. Wir brauchen mehr ökologisch unbedenkliche Mate­rialien im Fahrzeugbau. So könnte man bei bestimmten Komponenten wie etwa Türen biobasierte Harze verbauen.

Zurück zum Trabi mit seiner Karosserie aus gehärtetem Kunstharz?

Immerhin ist der heute Kult (lacht)! Wir müssen die alten Vorurteile gegenüber Rezyclaten oder biobasierten Materialien hinter uns lassen. Solche Materialien können heute schon haptisch anspre­chend und hochwertig wirken. Es kommt auf die Verarbeitung an. Die Kolleginnen und Kollegen am Fraunhofer WKI haben mit ihren flachsbasierten Komponenten gezeigt, dass das möglich ist.

Gibt es weitere Lösungen?

Es gibt viele spannende Einzellösungen, egal, ob Batteriefertigung, intelligenter Leichtbau oder Assistenzsysteme. Wenn man diese im Fahrzeugbau miteinander kombiniert, verschafft das dem Automo­bil einen Qualitätssprung.

Läuft alles auf das E-Auto zu?

Es ist schlüssig, dass die Automobilindus­trie verstärkt auf das E-Auto setzt. Wenn bei der Herstellung und beim Laden zu­nehmend erneuerbare Energien genutzt werden und zugleich weniger Verbrenner unterwegs sind, haben Sie einen positi­ven Effekt bei den CO2-Emissionen.

Das alles macht das Auto aber noch nicht zu einem attraktiven Verkehrsmittel der Zukunft.

Das eine Auto der Zukunft wird es nicht geben. Es wird Teil einer ganzheitlichen Mobilitätsstrategie sein und sich in kom­plexe Verkehrssysteme einbinden lassen. Die Vision der vernetzten Mobilität er­möglicht ein Miteinander von Autos, Bussen und Bahnen, E-Scootern und Lastenfahrrädern, Taxis und Fußgän­gern. Um hier noch bessere Lösungen zu entwickeln und zu verbreiten, engagieren wir uns als Fraunhofer-Allianz Verkehr – koordiniert durch die Fraunhofer-Insti­tute IAO und IML – in der europäischen Initiative EIT Urban Mobility. Neben den Chancen, die uns durch Digitalisierung eröffnet werden, muss das Automobil in allen Komponenten, in Leistung und Ausstattung immer wieder neu gedacht und als Element einer nachhaltigen, ver­netzten Mobilität konzipiert werden.

Muss die Politik den Markt mit Verboten und Ausstiegsterminen regeln?

Davon halte ich nichts. Aufgabe der Poli­tik muss es sein, Anreize für die Entwick­lung zu setzen, Impulse zu geben und Rahmenbedingungen zu schaffen. Nur so wird der Ideenwettbewerb für die künf­tige Mobilität in Gang gesetzt. Am Ende gewinnen Ideen und clevere Konzepte, von denen die Menschen wirklich einen Nutzen haben. Technologien, die nicht gut sind, verschwinden ganz von selbst.

Welche Rolle werden Komfort und Infotainment spielen?

Eine sehr große. Der Mensch lebt nicht vom Nutzen im Sinne des Transports allein. Komfort spielt grundsätzlich eine große Rolle. Und beim elektrisch an­getriebenen Fahrzeug müssen Fragen auch neu beantwortet werden. Während ein Verbrennungsmotor viele störende Geräusche einfach überdeckt hat, ist das beim leisen Elektromotor völlig anders. Hier haben wir viele Lösungen, z.B. Metamaterialien, die beim Fraun­hofer-Institut für Betriebsfestigkeit undSystemzuverlässigkeit LBF entwickelt werden. Das große Ziel ist die Vernet­zung des Automobils mit dem gesamten Verkehrsgeschehen. 5G-Funktechnikund KI-gesteuerte Software bilden dafür eine technologische Grundlage. Institute wie das Fraunhofer HHI oder das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS arbeiten daran, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die Ver­netzung wird viele spannende Ansätze ermöglichen, von denen nicht nur Autos profitieren. Es wird Mobilitäts-Dienst­leister mit ganz neuen Ideen und unge­ahntem Komfort geben. Denken Sie nur an die Möglichkeit, Ihr selbstfahrendes Auto als mobiles Büro zu nutzen! Konst­rukteure und Designer bei den Autoher­stellern müssen sich heute an die Arbeit machen und Konzepte entwickeln. Wir bei Fraunhofer tun das.

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Logistik. Gibt es Technologien, die in die private Mobilität hineinspielen?

Definitiv! Beim Megatrend »automatisch fahren« gibt es Lösungen für den Güter- wie den Personenverkehr und wir lernen gemeinsam mit unseren Industriepart­nern in Projekten auch für den jeweils anderen Bereich. Wir sehen mehr On­line-Handel und innovative Letzte-Mei­le-Lösungen, von der Packstation über Lastenräder bis zu autonom fahrenden Lieferrobotern. Mehr Logistikservices im Consumer-Bereich erlauben dann, wenn sich Privatpersonen ein Auto anschaffen oder eines nutzen wollen, mehr Flexibi­lität etwa bei der Fahrzeuggröße.

Wird die Automobilindustrie auch in Zukunft der bedeutendste In­dustriezweig in Deutschland bleiben?

Es spricht sehr viel dafür – allerdings als Teil eines tief greifenden Struktur­wandels. Automobilhersteller müssen sich als Mobilitätsanbieter verstehen, bei denen Maschinenbau, Design, Ener­giekonzepte, Softwarekompetenz und Verkehrskonzepte zu einer attraktiven Einheit zusammenfließen.

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