Winds of Change

Webspecial Fraunhofer-Magazin 1.2022

Grüner Wasserstoff soll entscheidend dazu beitragen, dass Deutschland seine Klimaziele erreicht. Noch wird das Gas viel zu wenig »grün« produziert. Um das zu ändern, entwickeln die Forschenden an mehreren Fraunhofer-Instituten im Projekt H2Wind Elektrolyseure, die Wasserstoff dort herstellen sollen, wo immer viel Wind herrscht: auf dem Meer.

1. Das Projekt

Den Wind auf dem Meer einfangen und seine Energie in Strom umwandeln? Die Idee hat viel Überzeugendes. Die Vorteile gegenüber dem Landwind: Fern der Küs­ten weht er nicht nur stärker, sondern auch sehr viel stetiger. Offshore-Anlagen produzieren deshalb im Schnitt doppelt so viel Energie wie ihre Pendants und tragen erheblich bei zur Verlässlichkeit der er­neuerbaren Energien. Außerdem gibt es in den Ozeanen keine Anwohner, die sich über den Lärm der Rotoren beschweren, oder Bürgerinitiativen, die auf Abstand zum Ortskern pochen. Und damit weni­ger Rechtsverfahren, die den Ausbau der Windenergie abbremsen. Viel Rücken­wind also – einerseits. Auf der anderen Seite ist die Netzanbindung von Offshore-Windparks eine technische Herausforde­rung. Die langen Wege, die der Strom bis an Land zurücklegen muss, schlagen sich in Übertragungsverlusten nieder. Wenn aber, laut Nationaler Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, grüner Wasser­stoff (H2) eine Schlüsselfunktion für die deutsche Energiewende einnehmen soll, warum dann die Wasserstoff-Produkti­on nicht gleich dorthin verlegen, wo sich Wasser und Windenergie verbinden?

 

Schematische Darstellung der Erzeugung von Grünem Wasserstoff auf See im Projekt H2Mare.
© Grafik: Projektträger Jülich im Auftrag des BMBF
Schematische Darstellung der Erzeugung von Grünem Wasserstoff auf See im Projekt H2Mare.

Das Leitprojekt H2Mare

des Bundesmi­nisteriums für Bildung und Forschung (BMBF) untersucht genau diese Möglich­keit. Die direkte Kombination von Wind­kraftanlage und Elektrolyseur – jener Vorrichtung, in der Wasser in seine Be­standteile Wasserstoff und Sauerstoff zer­legt wird – hat das Potenzial, die Kosten der H2-Herstellung deutlich zu senken und das Element somit für viele Anwendungsmög­lichkeiten nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch interessant zu machen.

Neben Siemens Energy ist die Fraun­hofer-Gesellschaft Hauptkoordinator des Großvorhabens H2Mare. Eines der vier Unterprojekte ist das mit 3,5 Millionen Euro vom Bund geförderte Vorhaben H2Wind. Im Zentrum steht dabei ein kom­pakter Elektrolyseur, der direkt in eine Windkraftanlage integriert werden kann. Doch bis das so weit ist, müssen noch vie­le Fragen geklärt werden. Wie muss so ein Elektrolyseur beschaffen sein, um in der rauen Offshore-Umgebung bestehen zu können? An welcher Stelle lässt er sich am besten in die Anlage einbauen? Wie muss das Meerwasser aufbereitet werden, um als Ausgangssubstanz für Wasserstoff zu dienen? Wie lässt sich der offshore produ­zierte Wasserstoff speichern und an Land transportieren?

 

Dr. Ulrike Beyer leitet die TaskForce Wasserstoff am Fraunhofer IWU, Mark Richter das Geschäftsfeld »Klimaneutraler Fabrikbetrieb«.
© Christian Burkert
Wasserstoff als Energy-Drink für die Industrie: Dr. Ulrike Beyer leitet die TaskForce Wasserstoff am Fraunhofer IWU, Mark Richter das Geschäftsfeld »Klimaneutraler Fabrikbetrieb«.

Dr. Ulrike Beyer leitet seit zwei Jahren die TaskForce Wasserstoff am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Um­formtechnik IWU. »Fraunhofer steht an der Schnittstelle zwischen universitärer Grundlagenforschung und der Industrie. Und ist dadurch vor allem in der Lage, den aktuellen Forschungsstand aufzugreifen, zielgerichtet zu modifizieren und einen schnellen Markthochlauf zu gewährleis­ten«, sagt die promovierte Wirtschafts- und Maschinenbauingenieurin.

Zeit spielt eine große Rolle bei H2Wind. 2021 gestartet, sollen bereits 2025 Lö­sungen für Offshore-Elektrolyseure prä­sentiert werden. Eine Frist, die Beyer für ambitioniert, aber machbar hält: »Das Thema Wasserstoff treibt uns bei Fraun­hofer nicht nur beruflich, sondern auch persönlich voran. Dafür geht man auch schon mal in den anaeroben Bereich, wenn nötig«, nimmt die 51-Jährige die He­rausforderung sportlich. Und sie freut sich nicht nur für ihr Institut mit den Standor­ten in Chemnitz, Dresden, Wolfsburg und Zittau: »Wir sehen in der Region Sachsen viele gerade kleine und mittelständische Unternehmen, die bislang im Kfz-Bereich als Zulieferer tätig sind. Mit Blick auf die kommende E-Mobilität suchen alle jetzt nach neuen Geschäftsfeldern. Hier stehen wir in der Verantwortung, indem wir die­se Felder für die Industrie vorbereiten.«

Wasserstoff galt lange als der Cham­pagner der Energiewende. Jetzt geht es da­rum, ihn zum Energy-Drink für die Industrie zu machen. »Im Bereich Elektro­lyseur ist momentan nahezu alles Manu­faktur«, sagt Mark Richter, Leiter des Geschäftsfeldes »Klimaneutraler Fabrik­betrieb« am Fraunhofer IWU. »Wir müssen deshalb die massenmarkttaugliche Pro­duktion der kompletten Systeme in indus­triellem Maßstab hinbekommen. Erst dann sinken die Preise. Und von da an wird Was­serstoff eine echte Option für die Industrie.« Es gelte, ergänzt Beyer, einen »Volks-Elektrolyseur« zu erschaffen: funktional und günstig.

Für Fraunhofer sei H2 weit mehr als ein Hype-Thema, konstatiert Mark Rich­ter: »Es ist ein strategisch wichtiges und auch nachhaltiges Forschungsfeld, in dem wir nicht nur Zukunft gestalten, sondern uns auch selbst konstant weiterentwickeln können.« Neben dem Fraunhofer IWU sind die Fraunhofer-Institute für Windenergie­systeme IWES, für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS, für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB und für Chemische Technologie ICT in H2 Wind eingebunden. »Das Thema Wasserstoff diffundiert nahezu durch die gesamte Fraunhofer-Welt, fast jeder kann sich hier einbringen«, so Beyer. Und das, ergänzt Mark Richter, »ist ein cooler Drive, das macht Spaß. Das muss man auch mal sagen.«

2. Das Material

Das Prinzip der Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff durch Strom ist mehr als 200 Jahre alt. Heute wird dies in der Regel über sogenannte PEM-Elektro­lyse (Proton Exchange Membran) erreicht. Kernkomponenten sind dabei die zu Sta­peln (»Stacks«) geschichteten Elektrolysezellen, die wiederum aus zwei zentralen Komponenten – den Bipolarplatten (BPP) und der Membran-Elektroden-Einheit (Membrane Electrode Assembly, MEA) bestehen. BPP stellen die elektrische Ver­bindung und den Transport zwischen den Zellen sowie zur und von der MEA sicher, an der die Wasserspaltung stattfindet.

Bipolarplatten werden üblicherweise aus speziellen Edelstählen, Graphit, Titan gefertigt und zusätzlich mit einer Edelme­tall-Beschichtung – etwa Gold oder Platin – vor Korrosion geschützt. Das Material und Design der Bipolarplatten ist mitent­scheidend für Wirkungsgrad, Wartungs­anfälligkeit, Funktionalität und Lebens­dauer des Elektrolyseurs. Und all das wiederum ist maßgeblich für die Funk­tion und Rentabilität eines künftigen Off­shore-Elektrolyseurs – weitab vom Land unter extremen Bedingungen.

 

Wolfram Münchgesang, Fraunhofer IWES
© Christian Burkert
»Wir gestalten funktionierende Konzepte für den Offshore-Betrieb und skalieren sie schließlich für die industrielle Anwendung.« Wolfram Münchgesang, Fraunhofer IWES

Die Materialfrage steht im Zentrum der Aufgabenbeschreibung von Wolfram Münchgesang vom Fraunhofer IWES. Der promovierte Physiker ist bei H2Wind eine Art Koordinator zwischen dem, was auf Laborebene herausgefunden wird über die Zusammenhänge zwischen Stack-Be­schaffenheit und den speziellen Offshore- Anforderungen, der Entwicklung eines Forschungsstacks auf Testebene sowie der Übertragung der Labor- und Testergebnis­se auf die industrielle Anwendung. Oder wie es Münchgesang ausdrückt: »Ich brin­ge die Informationen zusammen, bünd­le sie und versuche, daraus ein wissen­schaftliches Gesamtbild zu entwickeln.«

Auch wenn das Prinzip und die einzel­nen Komponenten eines Elektrolyseurs lange bekannt sind, betritt die Wissen­schaft mit der Entwicklung eines Offshore-Elektrolyseurs Neuland. Welche Auswir­kungen hat es, wenn die Windkraft ganz direkt die für die Wasserspaltung benö­tigte Energie bereitstellt? Welchen beson­deren Belastungen ist das Material offshore ausgesetzt? Wie werden sich etwa Vibra­tionen oder die mechanische Belastung auswirken auf die Lebensdauer der diver­sen Bestandteile? Werden nach der Ent­salzung des Meerwassers noch Ionen im Wasser sein, die sich im Stack oder anders­wo im Elektrolyseur anreichern und des­sen Funktion beeinträchtigen könnten? Für all diese Fragen gibt es noch keine standardisierten Testprofile, keine gülti­gen Skalen. Und weil auf hoher See nicht mal schnell ein Techniker die Anlage war­ten kann, muss die Materialqualität hoch sein, um der Dynamik eines Offshore- Standorts standzuhalten.

Das Rad dabei neu zu erfinden, ist nicht geplant – schon aus Zeit- und Kosten­gründen. »Wir gestalten funktionierende Konzepte für den Offshore-Betrieb, testen diese und skalieren sie schließlich für die industrielle Anwendung«, erklärt Münch­gesang pragmatisch. Bis dann spätestens 2025 eine möglichst ideale Vorrichtung existiert, die Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet. Im Prinzip also so wie vor mehr als 200 Jahren. Nur eben auf dem Meer. Und damit zukunftsweisend.

3. Der Speicher

Deutsche Offshore-Windparks stehen durchschnittlich 58 Kilometer entfernt von der Küste. Der Strom wird in der Regel über im Meeresboden verlegte Seekabel an Land transportiert. Doch wie lässt sich der künftig offshore produzierte Wasserstoff dorthin bringen, wo er gebraucht wird?

Sebastian Schmidt, Projektleiter am Fraunhofer Hydrogen Lab in Görlitz, ent­wickelt für H2Wind gemeinsam mit den Projektpartnern Siemens, Mannesmann und weiteren Fraunhofer-Instituten einen für den Offshore-Einsatz geeigneten Röh­renspeicher und wird daran dann verschiedene Nutzungs-Szenarien testen. »Beim Prüfstand wird es vor allem darum gehen, ein Alterungsverhalten zu simu­lieren durch Be- und Entladung des Spei­chers in schneller Abfolge«, erklärt der studierte Mechatroniker. Oder anders aus­gedrückt: »Verdichteten Wasserstoff rein­füllen, verdichten und wieder ablassen.« Und das immer und immer wieder, als Härtetest für die Zukunft.

 

Sebastian Schmidt, Fraunhofer Hydrogen Lab, Görlitz
© Christian Burkert
»Wir setzen Standards und gestalten Zukunft.« Sebastian Schmidt, Fraunhofer Hydrogen Lab, Görlitz

Ein Röhrenspeicher, so Sebastian Schmidt, sei dabei eigentlich nichts anderes als ei­ne spezielle Variante der Pipeline: »Man nimmt ein Pipeline-Rohr, das sich be­reits für den Transport von H2 bewährt hat, vergrößert den Durchmesser und schweißt links und rechts einen Deckel dran.« Klingt einfach, ist es aber nicht. Denn die Einzelteile eines solchen Spei­chers müssen wohl offshore und unter Wasser zusammengeschweißt werden, und das mit maximaler Genauigkeit, um eine möglichst lange Funktionsfähigkeit und sichere Aufbewahrung des Gases zu gewährleisten. Als gelernter Schweißer weiß Schmidt, dass dies keine leichte Auf­gabe sein wird.

Zudem herrschen auf See andere Um­gebungsbedingungen als an Land, auch darauf müssen Material und Verarbeitung des Röhrenspeichers ausgelegt sein. Kor­rosion durch Salzwasser ist hierbei ein besonderes Thema. Selbstverständlich geht es bei der Speicherung von Wasserstoff sowie dem Transport an Land – ob nun per Schiff oder Pipeline – neben Qualität und Sicherheit auch um die Kosten. Wie wichtig dieser Faktor ist, erlebt jeder Ver­braucher aktuell beim Heizen und Tanken. Die Energie der Zukunft muss bezahlbar sein. »Die für den Offshore-Einsatz neu entwickelten Techniken sollen nicht nur möglichst automatisiert funktionieren, sondern auch robust, überschaubar und günstig sein«, fasst es Schmidt zusammen. Wenn sich die Kosten für die Wasserstoff­herstellung nicht bald reduzieren lassen, »ist der große Wasserstoffplan der Bun­desregierung in Gefahr, weil die Industrie den Umstieg in der Breite nicht finanzie­ren kann«.

Auch wenn es immer noch viele Un­wägbarkeiten gibt beim Thema Wasserstoff: Für einen Wissenschaftler sei es »ein ech­ter Glücksgriff«, in dieser Phase mit an Bord zu sein, findet Schmidt: »Wir setzen Stan­dards und gestalten Zukunft.« Was kann man sich als Forschender mehr wünschen?

4. Das Wasser

Wer grünen Wasserstoff herstellen will, braucht Wasser und grüne Energie. Auch das macht die Idee einer Offshore-Elekt­rolyse so bestechend, schließlich herrscht auf dem Meer kein Mangel daran. Für die Herstellung von Wasserstoff im industriell benötigten Maßstab müssten also nicht die kostbaren Süßwasser-Vorräte heran­gezogen werden. Die Herausforderung liegt dabei allerdings im Detail: Das sal­zige Meerwasser könnte das Kernstück des Elektrolyseurs – den Stack – nachhaltig schädigen. Das würde nicht nur die Quali­tät des hergestellten Wasserstoffs spürbar mindern, sondern auch das Wartungspro­blem von Offshore-Anlagen verschärfen und die Lebensdauer des Elektrolyseurs deutlich verkürzen. Idealerweise muss also das reichlich vorhandene Meerwasser vor Verwendung aufbereitet werden. Das jedoch verbraucht viel Energie und verschlechtert somit die Nachhaltigkeit und Effizienz der Wasser­stoff-Produktion. Was tun?

 

»Die Lösungen, die wir hier für Offshore-Anlagen entwickeln, könnten eines Tages auch zur Wasseraufbereitung verwendet werden.« Henner Heyen, Fraunhofer IWES
© Christian Burkert
»Die Lösungen, die wir hier für Offshore-Anlagen entwickeln, könnten eines Tages auch zur Wasseraufbereitung verwendet werden.« Henner Heyen, Fraunhofer IWES

Fragestellungen wie diesehaben Che­mieingenieur Henner Heyen direkt nach seinem Studium an der TU Berlin an das Fraunhofer-Institut für Windenergie­systeme IWES gebracht. Windenergie zu nutzen für die Herstellung von grünem Wasserstoff – diese Idee reizte ihn, am Hydrogen Lab Bremerhaven mitzuwir­ken. Dass nun mit Leuna und Görlitz zwei Standorte zum Fraunhofer IWES hinzu­gekommen sind, die entlang der Was­serstoff-Wertschöpfungskette forschen, ermöglicht neue spannende Chancen, zukünftige Forschungsfragen gemeinsam zu bearbeiten.

Als Projektleiter ist Henner Heyen nun innerhalb von H2Wind für ein Arbeitspaket zuständig, das sich mit der Wärmeauskopp­lung aus den Elektrolyseuren befasst. Hier könnte eine Lösung für das energetische Problem der Meerwasser-Aufbereitung zu finden sein. »Die bei der Aufspaltung von Wasser entstehende Abwärme hat bislang die Effizienz von Elektrolyseuren gemin­dert«, erklärt Heyen. »Anders sähe es aus, wenn wir diese Energie zumindest teilwei­se abfangen und für die Aufbereitung von Meerwasser einsetzen könnten.« Der Wis­senschaftler denkt dabei bereits über H2Wind hinaus: »Die Lösungen, die wir hier für Offshore-Anlagen entwickeln, könnten eines Tages auch zur Wasseraufbereitung verwendet werden in Regionen, in denen Mangel an Trinkwasser herrscht.«

Mit dem bei der Wasserstoff-Produktion entstehenden Sauerstoff hat Heyen bereits ein weiteres »Abfallprodukt« der Elektro­lyse im Blick: »An Land gibt es hierfür be­reits Interessenten, etwa Krankenhäuser oder Kläranlagen. Für die Offshore-Nut­zung suchen wir noch nach sinnvollen Verwendungsmöglichkeiten.«

5. Die Simulation

Mit 28 Jahren ist Tom Schwarting der wahrscheinlich dienstjüngste Fraunhofer- Mitarbeitende im Projekt H2Wind. Bis Mitte 2021 hatte der studierte Informati­ons- und Kommunikationstechniker noch seine berufliche Zukunft in der Luft- und Raumfahrttechnik gesehen und in diesem Forschungsfeld auch seinen Master an der TU Braunschweig gemacht. Als wissen­schaftliche Hilfskraft am Institut für Flug­führung war er damals in die Polarexpe­dition MOSAiC involviert, bei dem der Forschungseisbrecher »Polarstern« samt Besatzung ein Jahr lang über das Nord­polarmeer driftete und das dramatische Schmelzen des Meereises dokumentier­te. Schwarting wurde klar, dass er künftig doch lieber auf der Seite der CO2-Einsparer arbeiten wollte als auf der Seite der CO2-Verursacher.

Seit April 2021 gehört Tom Schwarting nun zum Team der Zukunftsfabrik des Fraunhofer IWU und dort innerhalb des Projekts H2Wind zu denjenigen, die sich mit der Frage beschäftigen, an welchen Schrauben gedreht werden muss, um die Produktion und Verwendung von grünem Offshore-Wasserstoff sowohl ökologisch als auch ökonomisch voran­zutreiben.

Über Simulationsmodelle versucht er, die gesamte Wertschöpfungskette von der Wasserstoff-Elektrolyse auf hoher See möglichst realitätsgetreu abzubilden. In Digitalen Zwillingen werden unterschied­liche Szenarien entwickelt, miteinander verglichen und anschließend bewertet. »Das ist ein bisschen wie ein Kinderspiel, bei dem man Murmeln möglichst effizient hin- und herschiebt«, beschreibt es Tom Schwarting.

Wobei es natürlich alles andere als ein Kinderspiel ist. Groß ist nicht nur die Viel­zahl möglicher Einflussfaktoren. Groß ist auch die Herausforderung, die großen Entwicklungen korrekt zu berücksichti­gen: Wie entwickeln sich die unterschied­lichen Formen der erneuerbaren Energie­quellen? Wie werden die Energiepreise im Jahr 2025 aussehen? Welche Rolle wird Wasserstoff als industrieller Rohstoff, als Energiespeicher oder gar als Wärmelie­ferant in der Welt von morgen spielen? »Unsere Simulationen basieren auf be­lastbaren Studien, die Zahlen sind also durchaus fundiert«, erklärt Schwarting. Trotzdem gilt: »Lieber mit Schätzungen arbeiten, als zu spät in die digitale Simu­lation einzusteigen.« Denn sonst drohe die »Henne-Ei-Problematik«: Kein Unter­nehmen entscheidet sich für die Wasser­stoffproduktion, solange Kosten und Nut­zen unklar sind. Doch die finanzielle Seite bleibt unscharf, solange niemand Wasserstoff produziert. Dieser Teufels­kreis soll mithilfe der Simulation durch­brochen werden.

»Wasserstoff gilt vielen Menschen der­zeit per se als Heilsbringer. Er wird uns aber nur dann retten, wenn wir zuvor genügend grünen Strom für die Wasser­stoff-Produktion herstellen«, warnt Schwarting. »Doch mit jedem aufgestell­ten Windrad kommen wir dem Ziel ein Stück näher.«

 

Stimmen aus der Wirtschaft

Wasserstoff, das Allround-Talent
 

Ein Standpunkt von Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW.

 

 

Fraunhofer-Magazin
1/2022

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