Wie wir sicher essen

Lebensmittel: Versorgung für die Zukunft

Höhere Erträge, geringere Verluste

Webspecial Fraunhofer-Magazin 2.2023

Sichere Lebensmittel, jederzeit verfügbar? Die Krisen und die leeren Regale haben gezeigt: Das ist keine Selbstverständlichkeit. Fraunhofer-Forschung arbeitet daran, mehr Resilienz zu erreichen.

 

Wenn CURT über das Feld rumpelt, erinnert er an einen Tisch, der aus der Küche entflohen ist. Der Outdoor-Roboter besteht aus robusten Rädern, mit denen er selbst unwegsames Gelände meistert, und einer Plattform in gut einem Meter Höhe, in der jede Menge Technik verbaut ist – ein Kamerasystem beispielsweise, das CURT in der Spur hält, wenn er die Furchen links und rechts von den jungen Kartoffelpflanzen entlangrollt, ohne das noch zarte Grün zu zerstören. Oder zumindest nur das, was tatsächlich entsorgt werden soll: Beikraut. Und eines Tages vielleicht auch Schädlinge.

Was früher Unkraut hieß, wird aktuell in der konventionellen Landwirtschaft oft mit dem Herbizid Glyphosat entfernt. Da das Mittel aber keinen Unterschied macht zwischen den einzelnen Wildkräutern, wird alles gleichermaßen vernichtet. Das mindert die Artenvielfalt und befeuert das Insektensterben. In den vergangenen 30 Jahren hat die Insekten-Biomasse um 70 Prozent abgenommen.

Doch jetzt kommt CURT. Entwickelt wurde der Landwirtschaftsroboter von Kevin Bregler, Gruppenleiter am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, im Rahmen des Fraunhofer-Leitprojekts COGNAC, an dem sieben Fraunhofer-Institute beteiligt sind. Prototyp CURT fährt inzwischen auf Kartoffelackern vollelektrisch und autonom über Pflanzenreihen. Ausgestattet mit Laserscanner, Kamera und kleinem GPS-Modul findet er sich allein auf dem Acker zurecht und fräst unerwünschten Bewuchs mit seinem Manipulator so aus dem Boden, dass die wachsenden Kartöffelchen keinen Schaden nehmen. »Das Besondere: CURT entfernt die Beikräuter selektiv. Er kann also beispielsweise Brennnesseln am Rand des Feldes stehen lassen, während er andere Beikräuter ausrupft«, erläutert Bregler. Die Reste dieser Aktion bleiben anschließend als Dünger auf dem Feld liegen. Diese Entwicklungen sind erst der Start: Künftig soll CURT in Dauerkulturen wie dem Obstbau eingesetzt werden, auch für Kaffeeplantagen gibt es bereits Anfragen aus der Industrie.

Video: Der mobile Agrarroboter »CURT« (Crops Under Regular Treatment):

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Fraunhofer IESE-Blog: Feldroboter CURT: Ein innovativer Manipulator zur Beikrautregulierung

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Immer ausreichend zu essen: Alles eine Frage der Resilienz

Erträge erhöhen, Verluste minimieren, selbst in Krisenzeiten sicher liefern und dabei immer an die Nachhaltigkeit denken: Der Druck auf die Lebensmittelproduktion ist in den letzten Jahren extrem gewachsen. Dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln selbst in Deutschland keine Selbstverständlichkeit ist, wurde vielen Angehörigen der Generationen X, Y und Z erstmals in der Coronapandemie bewusst. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat dieses Gefühl noch einmal verschärft. Fachkräftemangel und Klimawandel mindern die Versorgungssicherheit langfristig. Wie lässt sich die Lebensmittelproduktion in Deutschland resilienter gestalten? Um Antwortmöglichkeiten auf diese Frage zu entwickeln, hat sich Fraunhofer zu einer starken Allianz Ernährungswirtschaft zusammengeschlossen. »Dabei bündeln 13 Fraunhofer-Institute ihre Kompetenzen und bieten Industriekunden Wissen aus einer Hand«, erläutert Prof. Mark Bücking, der die Geschäftsstelle leitet. Im Alten Land, dem größten zusammenhängenden Obstanbaugebiet Nordeuropas, kämpfen die landwirtschaftlichen Betriebe bereits seit Jahren mit den Folgen des Klimawandels, aber auch gegen die Folgen menschlichen Tuns. Durch die Elbvertiefung etwa ist der Grundwasserspiegel gesunken, der Boden versalzt zunehmend. Im Projekt SAMSON arbeiten Forschende des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM gemeinsam mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, der hochschule 21 und der Technischen Universität Hamburg an Automatisierungssystemen, die das Erfahrungswissen der Obstbauern und -bäuerinnen ergänzen.

Die Bäume dürfen beispielsweise nicht zu viel tragen, sonst fällt die Ernte im nächsten Jahr schwach aus. Beobachtet der Apfelbauer also 30 Prozent zu viel Blüten, schneidet er üblicherweise 30 Prozent aus – allerdings auch bei Bäumen, bei denen die Blütenanzahl passend gewesen wäre. Dadurch sinkt der Ertrag. Die Technologen gehen deshalb einen anderen Weg: »Wir erfassen jeden Baum als Individuum«, sagt Benjamin Schulze, Gruppenleiter am Fraunhofer IFAM. »Dazu bekommt jeder einen Digitalen Zwilling.« Während der Landwirt durch die Apfelbaumreihen fährt und anderen Arbeiten nachgeht, nehmen Kameras und Sensoren automatisch Bilder im sichtbaren und infraroten Spektralbereich auf, ermitteln Temperaturen und genaue GPS-Daten. Anhand der Daten leiten Softwarelösungen mittels intelligenter Algorithmen Informationen zur optimierten Behandlung der einzelnen Bäume ab – so kann sich der Obstbauer über eine interaktive Nutzeroberfläche alle Bäume anzeigen lassen, die stets weniger Ertrag liefern als andere oder individuelle Kultivierungsmaßnahmen je Baum planen.

Die Daten, über Künstliche Intelligenz interpretiert, dienen auch Robotern dazu, die Blüten jedes Baumes bedarfsgerecht herauszuschneiden. »Über unser System wollen wir die Ernte sicherstellen und sie konstanter und vorhersagbarer gestalten«, sagt Schulze. Auf einem Projekthof werden die Forschenden künftig einmal monatlich mit der entwickelten Sensorbox durch die Apfelbaumreihen fahren und Daten aufnehmen und somit einen kleinen, aber hochinnovativen Obstbaubetrieb nachbilden. »Ab Sommer 2023 können Obstbauern und -bäuerinnen unsere Entwicklung dort testen. Schließlich liegt der Schwerpunkt des Projekts im Wissenstransfer. Genauer gesagt darin, die entwickelten Technologien in die Anwendung zu bringen«, sagt Schulze und fügt hinzu: »Um den Beruf des Obstbauern auch in Deutschland langfristig attraktiv zu halten.«

 

Im Januar 2023 frisch gestartet ist das Projekt AGRARSENSE: 52 Partner aus 15 EU-Ländern (darunter auch das Fraunhofer-Institut für Elektronische Mikrosysteme und Festkörper-Technologien EMFT) entwickeln 49 neue Produkte für sieben Anwendungsfälle – unter anderem für die Landwirtschaftsrobotik, die optimale Bodenbewirtschaftung und Düngung sowie das Wassermanagement, das bei steigenden Temperaturen seit Jahren immer herausfordernder wird.

Das Fraunhofer EMFT will das durch die klimatischen Veränderungen immer größer werdende Leiden auf den Feldern messbar machen, um so die benötigte Hilfe präzise steuern zu können. »Geraten Pflanzen in Stress, etwa durch Trockenheit, Schädlinge oder Nährstoffmangel, sondern sie flüchtige Gase ab«, erklärt Dr. Axel Wille, der am Fraunhofer EMFT die technisch-wissenschaftliche Koordination des Gesamtprojekts innehat. »Über eine Art elektronischer Nase an Robotern wollen wir diese erkennen.«

Damit der Roboter diese Gase detektieren kann, müssen die allerdings nah genug an den Sensor gelangen. Wille und sein Team entwickeln daher Mikropumpen, die die Gase ansaugen. Langfristig soll sich so nicht nur sagen lassen, ob eine Pflanze unter Stress steht, sondern auch, unter welchem genau: Wassermangel, zu wenig Nährstoffe oder Schädlinge. Der Vorteil an diesem Verfahren liegt auf der Hand: Wasser, Dünger und Pestizide müssen nicht mehr großflächig verteilt werden, sondern lassen sich zielgerichtet und bedarfsgerecht auf die Pflanzen geben.

 

Dr. Axel Wille, Wissenschaftler am Fraunhofer EMFT
© Sven Döring
Frisch und flink ans Ziel. Der Transport von Lebensmitteln und die Überwachung bis zum Supermarkt – das sind FRESH-Themen, mit denen sich Dr. Axel Wille vom Fraunhofer EMFT befasst.

Produktion sichern entlang der Wertschöpfungskette

Die Landwirtschaft der Zukunft treibt auch das Fraunhofer-Zentrum für Biogene Wertschöpfung und Smart Farming voran. Gegründet 2022, entwickeln darin die Fraunhofer-Institute für Integrierte Schaltungen IIS,  für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV, für Elektronische Mikrosysteme und Festkörper-Technologien EMFT, für Graphische Datenverarbeitung IGD und für Großstrukturen in der Produktionstechnik IGP Technologien für eine resilientere Lebensmittelversorgung. Der Bund und die Länder Bayern und Mecklenburg-Vorpommern leisten die Anschubfinanzierung in Höhe von 80 Millionen Euro. »Wichtig ist uns vor allem der Transfergedanke – wir wollen bereits bestehende Technologien intensiv nutzen, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette«, erklärt Dr. Susann Vierbauch vom Fraunhofer IVV.

Was das heißt, lässt sich am Beispiel der Erdbeere durchspielen. Aufgrund des Fachkräftemangels, steigender Lohnkosten und hohen Qualitätsansprüchen der Verbraucher ist bereits beim Setzen der Pflanzen eine zunehmende Automatisierung gefragt. Eine besondere Robotik soll es ermöglichen. »Die Pflanzbehälter werden nach dem Stand der Technik von einer Befüllmaschine mit einer definierten Menge an Pflanzsubstrat befüllt. Der Roboter schaufelt Löcher in das Substrat, packt die Erdbeerpflanze mit pneumatisch angesteuerten Fingern am Wurzelballen, stellt sie hinein und drückt sie an – ohne die Pflanze dabei zu beschädigen«, sagt Kai Potthoff, Wissenschaftler am Fraunhofer IGP. Das ist durchaus herausfordernd, denn die Pflanzen müssen im gleichen Abstand voneinander, nicht zu tief und nicht zu hoch im Pflanzsubstrat sitzen, um sich optimal zu entwickeln. Auch muss der Roboter in puncto Geschwindigkeit mit der Befüllanlage mithalten – eine Aufgabe, an der die Mitarbeitenden derzeit arbeiten.

Damit die Erdbeerpflanzen möglichst viel Ertrag liefern, müssen sie im nächsten Schritt gedüngt, bewässert und geschützt werden. »Wir möchten weg von einer Summensensorik über alle Pflanzen in einem Gewächshaus oder auf einem Acker – und messen die entsprechenden Parameter daher lokal und individuell«, sagt Christian Wald, Wissenschaftler am Fraunhofer EMFT. Das soll eine Datenplattform ermöglichen, die orts- und zeitaufgelöst alles Relevante von Nährstoffeintrag über Wasserversorgung und Beleuchtung bis hin zu Luftzuständen misst und auswertet.

Mit einer großen Anzahl Sensoren im Folientunnel ist noch nichts erreicht. Diese müssen ihre Daten auch auf effiziente Weise an eine Sammelstelle übertragen können. Hier kommt die Funktechnologie mioty® vom Fraunhofer IIS ins Spiel. Bei welchen genauen Umgebungsbedingungen die Erdbeeren am besten gedeihen, messen die Forschenden, indem sie das Wurzelwachstum der Pflanzen per Röntgentechnologie quantitativ analysieren. Langfristig sollen die Daten dabei helfen, Dünger, Wasser und Co. bedarfsgerecht einzustellen – Pflanze für Pflanze.

Ein wichtiger Punkt, wenn es um eine effizientere Produktion geht, liegt darin, Pflanzenkrankheiten wie Phytophthora, Mehltau oder auch Raupenfraß frühzeitig zu erkennen. An dieser Stelle werden die Kompetenzen des Fraunhofer IGD wichtig: Durch die Auswertung von Spektralbildern können Schadbilder frühzeitig erkannt und Pflanzenschutzmittel gezielt eingesetzt werden.

 

Dr. Susann Vierbauch, Wissenschaftlerin am Fraunhofer IVV.
© Sven Döring
Köstlich und kostbar. Mit der Wertschöpfungskette auch bei der Erdbeere beschäftigt sich Dr. Susann Vierbauch vom Fraunhofer IVV.

Nichts kommt weg: Digitalisierung gegen Verschwendung

Sind die Erdbeeren reif, werden sie von einem taktilen Greifer geerntet: Dieser erkennt am mechanischen Widerstand der Erdbeere, wie fest er zudrücken darf, um die empfindlichen Früchte nicht zu beschädigen. »Die Elastomer-Greifertechnik ist bereits vorhanden, sie wird vom Fraunhofer Lizenznehmer Hohe Tanne GmbH in den Markt gebracht«, sagt Vierbauch. Die Forschenden wollen diesen Ansatz nun weiter optimieren: Sie entwickeln eine Foliensensorik, die nicht nur den Druck auf die Erdbeere misst, sondern künftig zudem Reifegrad- und chemische Sensorik ermöglicht. Auch auf die hohen Lebensmittelabfälle – derzeit landen etwa 45 Prozent von Obst und Gemüse zwischen Ernte und Verzehr auf dem Müll – hat das Team eine Antwort: Nah-Infrarotsensorik und optische Messtechniken klassifizieren die Erdbeeren und sortieren sie bei der Ernte entweder für den direkten Verkauf oder aber, bei nicht so ansehnlichen Früchten, für die Weiterverarbeitung.

Lebensmittelverschwendung verringern könnten auch essbare Beschichtungen. »Diese beruhen auf natürlichen Substanzen. Werden die Erdbeeren damit besprüht, sorgen die Barriere-Eigenschaften der Schicht dafür, dass die Früchte länger halten«, erläutert Vierbauch. Da eine Avocado andere Anforderungen an die essbaren Beschichtungen hat als eine Erdbeere, passen die Forschenden die Beschichtungen an die Respirationsraten der jeweiligen Frucht an.

Auch in anderer Hinsicht arbeitet das Team an besserer Lebensmittel-Haltbarkeit: So verarbeitet es nicht-optimale Produkte, etwa Erdbeeren mit optischen Mängeln, ernährungsphysiologisch sinnvoll – sprich ohne den Zusatz von viel Zucker. »Eine Möglichkeit dazu liegt in der Trocknung mit Vakuumexpansion. Dazu trocknen wir die Früchte vor und geben sie zur endgültigen Trocknung ins Vakuum, wobei die Früchte aufpoppen: Die Vitamine bleiben besser erhalten, die Farbe der Erdbeeren wird noch intensiver und sie haben – anders als bei über andere Methoden getrockneten Früchte – einen Crunchy-Effekt«, sagt Vierbauch. Zudem sind sie lange haltbar und nehmen beim Transport weniger Gewicht und Platz ein.

Apropos Transport: Langfristig sollen Gassensoren, die auf Folie kostengünstig produziert, wie Post-It-Zettel angeklebt und drahtlos ausgelesen werden können, selektive Gase, Temperaturen und Feuchte in Lkw, Bahn und Co. überwachen. »Hier stecken wir in der Technologieentwicklung: Es ist nicht nur eine kostengünstige Sensorik nötig, die kaum Energie verbraucht, sondern auch die entsprechende Datenübertragung«, sagt Christian Wald vom Fraunhofer EMFT. »Das Wissen aus den Daten kann entweder in der Cloud und damit in einem zentralen Speicher generiert werden oder on edge im Sensorknoten.« Dann werden die Erdbeeren nicht nur optimal produziert und verarbeitet, sondern gelangen auch unter bestmöglichen Bedingungen zum Verkaufsort.

Im Vorhaben FRESH, gefördert durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages, entwickelten Forschende unter der Koordination des Fraunhofer EMFT eine Sensorverpackung zur Frischekontrolle von Fleisch und Fisch. Dazu wurden Fleisch und Fisch in Lagertests auf flüchtige Substanzen untersucht, die sich beim Verderben bilden und als Leitsubstanzen Aussagen über den Frischegrad zulassen. Am intensivsten war die Konzentration von Acetoin und 3-Methlybutanol. Für diese beiden Gase entwickelten die Forschenden entsprechende Sensormaterialien zur Integration in die Ver­packung, die ihre Farbe wechseln, sobald das Produkt verdorben ist. Kombiniert mit elektrischen Auswertemethoden soll die schlaue Verpackung ein kontinuierliches Monitoring sowie die Digitalisierung der Food Supply Chain ermöglichen. Auch über miniaturisierte Systeme sollen sich solche flüchtigen Gase künftig nachweisen lassen; entwickelt werden sie von den Fraunhofer-Instituten für Photonische Mikrosysteme IPMS, für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME sowie dem Fraunhofer IVV. »Die Basis ist ein Mini-Gaschromatograph, der volatile Substanzen analysiert. Die Ergebnisse können als Indikator für Produktsicherheit dienen und Lebensmittelbetrug aufdecken, etwa bei Olivenöl«, sagt Prof. Mark Bücking, Abteilungsleiter Spurenanalytik und Umweltmonitoring am Fraunhofer IME. Das Gerät soll die Komplexität einer Kaffeemaschine haben und sich somit auch von eingewiesenen Laien bedienen lassen, etwa von einem Mitarbeiter am Werkstor, der für den Wareneingang verantwortlich ist.

 

Lieferketten kürzen – Regionalität fördern

Wenn Transport der Ware schadet, sollte dieser Part allerdings nicht nur optimiert, sondern idealerweise reduziert werden. Mehr Regionalität macht die Lebensmittelversorgung weniger krisenanfällig als globale Lieferketten, verkleinert den ökologischen Fußabdruck und senkt die Kosten. Doch landwirtschaftliche Produkte regional zu vertreiben, ist gar nicht so einfach. Beispiel Apfelsaftproduktion: Aktuell kann der Bauer seine Äpfel entweder selbst pressen und den nicht lange haltbaren Direktsaft in seinem Hofladen verkaufen. Oder er gibt seine Äpfel an einen Großhersteller, der die Säfte in Tetrapacks verpackt und über Supermärkte deutschlandweit vertreibt. »Dazwischen gibt es nichts«, erklärt Dr. Björn Moller, Zukunftsforscher am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI.

Diese Lücke wollen die Forschenden des Fraunhofer ISI und zahlreicher europäische Partner im Projekt FOX (»Food processing in a box«) schließen. Der Bauer könnte seinen Apfelsaft in der Box so schonend prozessieren, dass er bei gleicher Qualität länger haltbar ist als frisch gepresster Saft, und ihn in den Supermärkten der Umgebung verkaufen. »Es geht im Projekt einerseits um die Technologieentwicklung – diesen Part haben die Projektpartner übernommen – und andererseits um die Entwicklung der Local Food Value Chain«, sagt Projektleiter Moller. Also auf gut Deutsch darum, die Wertschöpfung vom Farmer bis zum Konsumenten regional und damit nachhaltiger zu halten, ohne dabei allein auf Hofläden zu setzen. »Während die Herstellung von Lebensmitteln nur 10 Prozent der Umweltbelastung ausmacht, lag der Einfluss von Logistik und Handel bei 10 von 16 untersuchten Kategorien wie Klimawandel oder Landnutzung bei 75 Prozent oder gar darüber«, betont Moller. Es sei darum elementar, die Wertschöpfungsketten regional zu halten. Und das nicht nur bei Apfelsaft, sondern auch bei der energieaufwendigen Trocknung von Beeren und Pilzen, beim Sortieren von Obststücken samt ökologischer Verpackung sowie der Verwendung von Seitenströmen in der Lebensmittelproduktion, etwa Tomatenschalen für eine Tomatensuppe.

 

Björn Moller, Zukunftsforscher am Fraunhofer ISI
© Sven Döring
Regionaler und rentabler Apfelsaft direkt aus dem Apfel? Das ist auch für Dr. Björn Moller vom Fraunhofer ISI noch nicht möglich. Aber er will Obstbauern zumindest Möglichkeiten erschließen, ihre Produkte mit mehr Wertschöpfung und höherer Haltbarkeit zu vermarkten.

Neue Wege gehen: Die Produktion smart gestalten

»Immer mehr Böden sind degradiert und somit nicht mehr so produktiv wie früher«, konstatiert Prof. Stefan Schillberg, Leiter des Fraunhofer IME. »Hinzu kommen Bodenerosion und Klimawandel. Und: Die Pestizide und Düngemittel, die auf dem Feld ausgebracht werden, lassen sich vielfach nicht mehr wiedergewinnen.« Als Alternative bietet sich das sogenannte Vertical Farming an. Dabei wird das Gemüse unter Dach in Regalsystemen angebaut. Die Vorteile: Diese Gemüsezucht ist unabhängig von Anbauflächen, klimatischen Bedingungen und Jahreszeiten, auch werden Rohstoffe geschont. »Im Vertical Farming verbrauchen wir nur fünf Prozent des Wassers – im Idealfall geht das Wasser lediglich über die Produkte raus, etwa den geernteten Salatkopf. Auch ist nur 50 Prozent des Düngers nötig. Und auf Pestizide kann man gänzlich verzichten«, erläutert Schillberg. Allerdings liegen die Kosten für die Indoor-Zucht deutlich höher als beim Anbau auf dem Feld.

Wie sich dies ändern lässt, untersuchen Forschende des Fraunhofer IME im Projekt In4food, Teil des Innovationsraums New Food Systems. Dieses vereint mehr als 50 Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft; mit dabei sind auch die Fraunhofer-Institute IVV und IME sowie das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB. »Wir widmen uns unter anderem Parakresse: Sie produziert den natürlichen Wirkstoff Spilanthol, der unter anderem in der Kosmetikindustrie eingesetzt wird«, erläutert Schillberg. Ein Fokus liegt auf dem ökonomischen Ansatz: Wie
teuer wäre die Produktion der Parakresse über Vertical-Farming-Ansätze? Die höhere Resilienz des Vertical-Farmings wird nur dann in der Praxis umgesetzt werden und eine Grundversorgung in Krisenzeiten sichern können, wenn sie sich in einem ähnlichen Kostenniveau bewegt wie der konventionelle Anbau.

Deutlich wird dies beim Berliner Unternehmen Veganz, das Erbsenprotein zu Fleischersatzprodukten verarbeitet. In den vergangenen Monaten ist der Preis für die Hülsenfrüchte in die Höhe geschossen. Würde das Unternehmen die Erbsen via Vertical Farming selbst produzieren, könnte es seine Resilienz stark erhöhen. Das Resultat wären nicht nur kürzere Lieferwege – schließlich könnten die Erbsen in einer Halle direkt neben der Produktion angebaut werden –, sondern auch die Unabhängigkeit von globalen Lieferketten samt den damit verbundenen Preisschwankungen. Mit im Paket enthalten ist auch die Resilienz gegenüber sommerlicher Dürre, Starkregen oder winterlichem Schneetreiben.

Doch ist diese Alternative ökonomisch interessant? Ob und unter welchen Bedingungen dies der Fall ist, untersuchen die Forschenden des Fraunhofer IME gemeinsam mit Veganz. Als Anlage für den Anbau soll das vom Fraunhofer IME entwickelte System namens OrbiPlant® dienen: Dabei wachsen die Erbsenpflanzen auf einem 1,20 Meter breiten und 25 Meter langen Förderband, das in mehreren Aufs und Abs mäanderförmig verläuft und sich in regelmäßigen Zeitabständen ein Stückchen vorwärtsbewegt. Die Wurzeln hängen ins Innere der Hügel, also unterhalb des Förderbands – wo sie mit einem feinen Nährstoffnebel und Sauerstoff aus der Luft gut
versorgt werden, was die Pflanzen besonders schnell wachsen lässt. Auch der sogenannte gravitrope Effekt sorgt für schnelles Gedeihen: Durch das gewundene Förderband müssen sich die Pflanzen immer wieder neu im Gravitationsfeld ausrichten, was Hormone fürs Wachstum freisetzt. Am vorderen Ende der Schlangenbahn sind lediglich ein paar Blätter ausgebildet, doch am Ende wuchern die Pflanzen in voller Pracht, über und über behängt mit Erbsenschoten. Bis auf das Pflanzen und Ernten läuft in der Forschungsanlage bereits alles vollautomatisch.

»Während Salate und Kräuter schnell hochwachsen, braucht die Erbse etwa zwei Monate für die Kultivierung«, erzählt Andreas Reimann, Forscher am Fraunhofer IME Aachen. »Zudem können die Erbsenpflanzen im Freiland recht groß werden – wir müssen das Wachstum über Düngemittel, Licht und andere Faktoren so steuern, dass die Pflanze kleiner und kompakter wächst, aber dennoch viele Erbsen pro Volumen produziert.« Die Versuche dazu, wie dies am besten gelingen kann, sollen im Laufe dieses Jahres abgeschlossen sein. »Am Ende werden wir ein sehr gutes Verständnis davon haben, wie viele Erbsenpflanzen pro Quadratmeter kultivierbar sind und wie viel das kostet«, prognostiziert er.

 

Andreas Reimann, Forscher am Fraunhofer IME.
© Sven Döring
Wachsen und wundern. Die kleine Erbse wächst bei Andreas Reimann vom Fraunhofer IME in der Forschungsanlage über sich hinaus. So gezogen hat sie das Potenzial, Produkte unabhängiger zu machen von Klimaeinflüssen, globalen Lieferketten und Preisschwankungen.

Mehr vom Guten: Qualität sichert Quantität

Die Resilienz einer Wertschöpfungskette ist immer auch eine Qualitätsfrage. Es geht nicht allein darum, dass die Lebensmittel nach einem Störfall im Produktionsbetrieb möglichst schnell wieder vom Band laufen, sondern auch, dass ihre Qualität stimmt und ihr Verzehr für den Verbraucher sicher ist. Besteht auch nur der leiseste Zweifel daran, dass die Lebensmittel die Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen, dürfen sie nicht ausgeliefert werden. Und fehlen somit in der Versorgung.

Im Innovationsprojekt »Resiliente Systeme für sichere Lebensmittel«, kurz ReSearchL, detektieren die drei Fraunhofer-Institute IVV und IME sowie das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT deshalb Schwachstellen in der Versorgung und entwickeln Lösungsszenarien. »Gefragt ist ein umfassendes Resilienzmanagement: Klare Kommunikationsstrukturen und klare Abläufe bei einem Störereignis«, sagt Dr. Marc Mauermann, stellvertretender Leiter des Institutsteils Verarbeitungstechnik am Fraunhofer IVV. An ausgewählten Wertschöpfungsketten untersuchen die Forschenden den Status quo der Resilienz in der Lebensmittelproduktion in Deutschland. Beispiel Ölmühlen: Hier ist es um die Resilienz schlecht bestellt, denn Pflanzenöle werden in Mitteleuropa in großen Ölmühlen fast ausschließlich aus Raps oder Sonnenblumen gewonnen. Rohstoffdiversität sucht man also vergebens, was die Ölproduktion sehr anfällig macht gegenüber Störungen wie Ernteausfällen.

Die Forschenden haben mit ReSearchL untersucht, welche Strategien in der Prozesskette greifen, damit solche Störungen möglichst geringe Auswirkungen haben. Dafür spielte das Team verschiedene Störszenarien für Ölmühlen durch und erarbeitete Handlungsempfehlungen für eine resilientere Produktion – in Abhängigkeit von der Dauer des Ausfalls. Fällt die Mühle beispielsweise nur bis zu 24 Stunden aus, sollte einfach die Schälung der Ölsaaten gestoppt werden. Die Saat kann dann ungeschält wieder dem Rohstoff untergemischt werden. Zwar hat der Presskuchen dann eine niedrigere Qualität, aber das ist noch in einem akzeptablen Rahmen.

Bei längerfristigen Lieferschwierigkeiten hingegen liegt die Lösung in einem modularen Aufbau der Ölmühlen. Mit diesem können sie bei Lieferschwierigkeiten von Raps und Sonnenblumenkernen innerhalb weniger Tage auf andere Ölsaaten umschwenken und müssen nicht – wie derzeit üblich – komplett stillstehen. Regionale Lieferketten, welche die globalen ergänzen, können auch bei diesem Beispiel die Resilienz die Produktion deutlich steigern.

 

Alternative Proteine: Anders besser essen

Zu einer resilienten Versorgung mit Lebensmitteln zählt auch die Sicherstellung ausreichend großer Protein-Mengen für eine gesunde Ernährung. Fleisch als tierische Proteinquelle ist allerdings alles andere als nachhaltig. Woher könnten ökologisch sinnvollere, resilient erzeugbare Proteine für die menschliche Ernährung stammen? Aus Pflanzen, Algen, Insekten und Pilzen – das meinen Forschende des Fraunhofer-Leitprojekts »Future Proteins«. Beteiligt sind die Fraunhofer-Institute für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB, für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU sowie das Fraunhofer IME, IVV, IGB und UMSICHT. »Wir nutzen dazu vier Indoor-Systeme, bei denen die Institute bereits Expertise aufbauen konnten und die sich dementsprechend zügig in höhere Technologiereifegrade überführen lassen: das Vertical Farming von Pflanzen, das Insekten-Farming, Bioreaktoren für Pilze und Photobioreaktoren für Algen«, erklärt Stefan Schillberg vom Fraunhofer IME.

 

Die Beleuchtung? Gesammeltes Sonnenlicht!

Beim Vertical Farming steht vor allem eine effiziente Beleuchtung auf der Agenda – schließlich liegt hier der Hauptkostentreiber des Ansatzes. Über Kollektoren soll Sonnenlicht gesammelt werden, das über Lichtfasern und verspiegelte Röhren zu den Pflanzen gelenkt wird, während die Hitze draußen bleibt. Für die Proteinproduktion züchten die Forschenden unter anderem spezielle Kartoffeln, bei denen sie durch Mutationen das leicht toxische Solanin entfernen: Auf diese Weise ließen sich die Proteine, die beim Kochen zerstört würden, aus der rohen, nun ungiftigen Kartoffel isolieren. Auch bei der Kultivierung von Mikroalgen in Photobioreaktoren ist Licht das A und O. Optimal versorgt haben sie einen Proteingehalt von bis zu 50 Prozent. Nichts für Vegetarier und Veganer, aber dennoch eine wertvolle Rohstoffquelle sind Mehlwürmer, die mittlerweile als Nahrungsmittel zugelassen sind. Damit die Zucht nicht von Krankheitserregern gestört wird, sollen neuartige Nachweissysteme störende Pathogene bei Würmern frühzeitig erkennen; Biochips könnten künftig parallele Screenings erlauben.

 

Pilze als die vierte Säule

Die vierte Säule des Projekts besteht in der Kultivierung von Pilzen. Allerdings geht es hier nicht um die Fruchtkörper, die seit Jahrtausenden auf den Tellern landen, sondern um den sehr viel größeren Teil der Pilze, der im Boden wächst. Welche Pilze eignen sich hierfür? Um diese Frage zu beantworten, untersuchte das Team verschiedene Arten hinsichtlich Wachstum und Proteingehalt. Um die Produktion der neuartigen Pilz-Proteine zudem möglichst nachhaltig und wettbewerbsfähig zu halten, etablierten die Forschenden Kreisläufe: Sie verwenden die Abwärme eines Systems zum Temperieren eines anderen, nutzen Insektenkot oder tote Insekten als Dünger und nehmen Restströme wie Kartoffelschalen als Basis für Nährmedien. Auch die Prozessierung der Proteine haben sie im Blick, ebenso wie die Sensorik, Textur und den Proteingehalt neuartiger Produkte. »Die ersten Nahrungsmittel sind bereits hergestellt«, freut sich Schillberg. »Lebensmittel mit Proteinen aus Mikroalgen. Granola aus Weizengras. Und Cracker aus Insekten­­-
proteinen.«                                                                                       

 

Fraunhofer-Leitmarkt Ernährungswirtschaft

Die Ernährungswirtschaft ist ein umsatzstarker Wirtschaftszweig und ein wichtiger Arbeitgeber in Deutschland. Dabei ist das Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft. Innovative Lösungen eröffnen zahlreiche Entwicklungschancen für die Lebensmittelindustrie und bieten den Unternehmen die Chance, gleichzeitig die Produktion zu optimieren, die Qualität zu erhöhen und dabei international wettbewerbsfähig zu bleiben.

Fraunhofer-Allianz Ernährungswirtschaft

Innovative Lösungen für die Lebensmittelindustrie

Klimawandel, knapper werdende Ressourcen sowie unsichere Lieferketten und steigende Lebensmittelpreise stellen die weltweite Ernährungswirtschaft vor große Herausforderungen. Um diesen komplexen Anforderungen gerecht zu werden, forschen 13 Fraunhofer-Institute im Bereich der Ernährungswirtschaft und arbeiten gemeinsam an Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette:  Von innovativen Ansätzen z.B. in den Bereichen Agrar, Produktschutz und Analytik, Lebensmittel und Logistik über neue Verarbeitungstechnologien bis hin zu Entwicklungen im Sinne der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft.