Interview mit Cem Özdemir

Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft

»Was wir ändern müssen ...«

Er sieht in der Agrarpolitik ein »ausbeuterisches System«. Er ist überzeugt, »so geht es nicht weiter«. Im Interview erklärt Cem Özdemir, was er als neuer Landwirtschaftsminister besser machen will – und wie ihm Fraunhofer-Technik dabei hilft.

 Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft
© imago images
Cem Özdemir

Bei uns wird immer weniger Fleisch produziert, Herr Özdemir: eine gute Nachricht für Deutschland?

Wenn stattdessen im Ausland zu schlechteren Umwelt- und Tierwohlbedingungen produ­ziert und nach Deutschland exportiert wird, haben weder Klima, noch Tiere, noch unsere heimische landwirtschaftliche Produktion etwas davon. Eine gute Nachricht wäre, wenn in Deutschland bei Angebot und Nachfrage konsequent auf Qualität gesetzt würde. Bei der Angebotsseite wollen wir in dieser Legislatur­periode echte Fortschritte erzielen und den Um­bau der Nutztierhaltung vorantreiben. Denn so wie es jetzt ist, geht es nicht weiter – das System geht zu Lasten der Tiere, der Umwelt und der Landwirtschaft selbst. Ein zentraler Baustein ist eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung, an der wir gerade arbeiten. Sie wird die tatsäch­lichen Haltungsbedingungen in den Ställen transparent machen. Ein weiterer Baustein ist die Herkunftskennzeichnung.

Was ist hier geplant?

Wir wollen auf europäischer Ebene die Her­kunft von Lebensmitteln sichtbarer machen. Denn die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen wissen, wo ihr Essen herkommt – und unsere Landwirte können dann mit der Her­kunft punkten. Wenn im Supermarkt-Flyer mit der Herkunft geworben wird, statt mit dem Son­derpreis, dann haben alle etwas davon. Es ist ja auch eine Frage der Wertschätzung für unsere Landwirtinnen und Landwirte. Für mich ein wichtiger Aspekt: Die Herkunftskennzeichnung macht auch Transportwege sichtbar und ist so ein Baustein für klimagerechteren Konsum.

Im fünften Jahr registriert das Statistische Bundesamt einen Rückgang im Fleisch­konsum, allein bei Schweinen 2021 um 2,9 Prozent auf 51,8 Millionen geschlachtete Tiere. Würden Sie einem jungen Menschen noch raten, den landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern zu übernehmen?

Die Schlachtstatistik ist nur eine Seite der Me­daille. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der schweinehaltenden Betriebe fast halbiert, während die Zahl der Schweine nahe­zu unverändert ist. Wir sind mitten in einem Konzentrationsprozess – hin zu weniger, aber dafür immer größeren Betrieben. Viele Fami­lienbetriebe können dabei nicht Schritt halten. Von jedem Euro, den die Kunden an der Kasse für Fleisch ausgeben, bekommen die Bäuerin­nen und Bauern gerade einmal 21 Cent ab. Das ist das Ergebnis einer zu einseitig ausgerich­teten Agrarpolitik. Ich bin nicht bereit, dieses ausbeuterische System weiter hinzunehmen. Wir wollen den Betrieben eine ökologisch und ökonomisch nachhaltige Perspektive bieten, da­mit die Jungen gerne den Betrieb übernehmen und eine Existenzgrundlage haben. Damit ist auch ein größeres gesellschaftliches Ziel ver­bunden: Dort, wo es Landwirtinnen und Land­wirte gibt, dort engagieren sie sich auch im und für den ländlichen Raum. Das stärkt den Zu­sammenhalt und die Dorfkultur.

Sie sind schon als Verkehrsminister gehandelt worden, als Außenminister mit dem Argument Ihrer Familienherkunft. Jetzt also Landwirtschaftsminister. Was verbindet Sie mit dem Bauernstand, wie das früher mit Stolz hieß?

Politisch habe ich dieses Feld tatsächlich noch nicht beackert. Die Eltern meines Vaters waren Landwirte. Dort, in der Türkei, bin ich früher immer in den Sommerferien gewesen. Und nun schließt sich irgendwie der Kreis. Es ist mir vor allem eine große Ehre, unserem Land als Bundeslandwirtschaftsminister dienen zu dürfen. Und natürlich habe ich mich gefreut, dass mir meine Partei diese große Aufgabe zutraut. Ich habe jetzt die Möglichkeit, mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu gestalten und wichtige Veränderungen anzu­stoßen, die letztlich 83 Millionen Menschen betreffen. Mir ist wichtig, dass wir die Aufgaben gemeinsam angehen und Schluss machen mit dem »die einen gegen die anderen«. Und zu Ih­rer Frage: Ja, ich denke auch, dass die Landwir­tinnen und Landwirte zu Recht auf ihre Arbeit stolz sein können und wir das auch sein sollten. Zudem erlebe ich da viel Innovationsgeist und auch eine gewisse Beharrlichkeit, die mir gro­ßen Respekt abringt. Mir ist wichtig, ehrlich zu sein und zu sagen, was wirklich ist und was wir ändern müssen. Viel zu lang wurde den Betrie­ben erzählt, dass es keine Probleme gebe – zum Beispiel beim Thema Nitrat-Belastungen durch Überdüngung, wo die EU seit Jahren Besse­rungen anmahnt und wir nun kurz vor knapp enorme Strafzahlungen abgewendet haben.

»Keine Ramschpreise« haben Sie für Lebensmittel gefordert – und sich natürlich Ärger eingehandelt. Heißt das Küchenrezept der Zukunft schlicht: weniger, aber teurer?

Das ist zu vereinfacht – mein Rezept hat mehr Zutaten. Erstens müssen die Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland erfolgreich wirtschaften können. Zweitens: Was wir für Lebensmittel ausgeben, muss die ökologische Wahrheit berücksichtigen, also die Kosten für Mensch, Tier und Umwelt. Und drittens brau­chen wir hochwertige, aber eben auch bezahl­bare Lebensmittel. Ich will die Enden dieses Zieldreiecks zusammenbinden. Klar heißt das, die Tierzahl wieder mit der Fläche in Einklang zu bringen. Und wichtig ist auch, dass die Land­wirtinnen und Landwirte nicht die Verlierer dieses Wandels werden. Wenn sie eine bessere Tierhaltung umsetzen, muss sich das für sie auch langfristig auszahlen. Hier sind wir alle gemeinsam in der Verantwortung – Politik, Er­nährungswirtschaft, Handel und Verbraucher.

»Für meine Mutter war es Liebe, ihrem Kind Süßigkeiten zu geben«, haben Sie einmal erzählt. Was glaubt der gelernte Erzieher Cem Özdemir, wie lange es dauern wird, eine gesün­dere und umweltverträglichere Ernährung in den Alltag zu bringen?

Wenn Liebe und Kalorien Hand in Hand gehen, kommt das dicke Ende irgendwann – im wahrs­ten Sinne. Gut ist ja, dass das Thema gesunde und nachhaltige Ernährung inzwischen in fast aller Munde ist. Da hat sich definitiv etwas ge­wandelt. Es ist aber nicht immer leicht für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu erken­nen, welches Lebensmittel denn nun wirklich gesund ist und ob es ressourcenschonend pro­duziert wurde. Deshalb haben wir als Koalition beschlossen, den Nutriscore weiter zu entwi­ckeln. Also das farbliche Nährwertkennzeichen, das Sie auf vielen verpackten Lebensmitteln finden. Wir brauchen hier eine einheitliche europäische Lösung. Außerdem sind wir am Haltungs- und am Herkunftskennzeichen dran – das hatte ich ja eben schon beschrieben.

Damit wären wir auch auf der Nach­frageseite, die Sie eben angesprochen haben …

Richtig: Wir wollen dafür sorgen, dass das An­gebot gesünder, tiergerechter und nachhaltiger produziert wird und wir wollen natürlich auch, dass es den Verbraucherinnen und Verbrau­chern leichter fällt, dies zu erkennen. Mit diesen Kennzeichnungen können wir auf jeden Fall eine gute Unterstützung geben, sich für einen tier- und umweltgerechten Konsum zu ent­scheiden.

Was versprechen Sie sich von der Mehrfachnutzung landwirtschaftlicher Flächen durch überbaute Solarpanels?

Unser Ziel ist, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Agri-Photovoltaik sorgt für eine ganz klare Win-win-win-Situ­ation: Unsere Landwirtinnen und Landwirte können einen Beitrag zur Versorgung mit er­neuerbaren Energien leisten – und damit Geld verdienen. Gleichzeitig können sie ihre Fläche trotzdem weiter bewirtschaften. Und das ist dann noch ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen die Klimakrise.

Noch bleiben Hindernisse. Die duale Flächennutzung ist bislang gesetzlich schlicht nicht vorgesehen, Landwirte haben keinen An­spruch auf EU-Agrarsubventionen, die Einspei­severgütung des Stroms ist ungeregelt. Wie wollen Sie Hemmnisse aus dem Weg räumen?

Wir wollen ja gerade die Synergien nutzen und es möglich machen, dass auf einer Fläche die Erzeugung von Lebensmitteln und von nach­haltiger Energie möglich ist. Deshalb sehen die neuen Regelungen zur Agrarförderung ab 2023 vor, solche Flächen bei den EU-Direktzahlungen zu berücksichtigen. Auch nach dem EEG sollen diese Anlagen gefördert werden.

Wie kann Forschung dazu beitragen, Ökonomie und Ökologie auch in der Landwirtschaft zu verbinden?

Unser Ministerium hat das viertgrößte For­schungsbudget aller Ressorts. Unsere nachge­ordneten Behörden forschen an vielen Stellen dazu. Denn nur, wenn wir Ökonomie und Ökologie zusammenbringen, hat die Landwirt­schaft in Deutschland eine gute Zukunft. For­schung und Innovation können dazu beitragen, scheinbare Zielkonflikte aufzulösen.

Haben Sie Beispiele?

Ich denke hier vor allem an die Digitalisierung in der Landwirtschaft. Hier gibt es schier end­lose Möglichkeiten, die Landwirtschaft umwelt- und ressourcenschonender zu machen. Wir fördern zum Beispiel aktuell ConstellR – ein Start-up, das mit einer eigenen Satellitenflotte aus dem All die Bodengesundheit misst. Diese Fraunhofer-Ausgründung will eine hochpräzise und damit nachhaltigere Bewirtschaftung un­serer Felder möglich machen. Es gibt Techniken, die den Pestizideinsatz erheblich reduzieren oder sogar überflüssig machen: Roboter, die Un­kräuter mithilfe einer KI-gestützten Bilderken­nung bekämpfen – und zwar rein mechanisch mit Hitze, Lasern oder Strom. Damit schützen wir auch den Artenreichtum. Davon gibt es noch viel mehr Beispiele: Die Landwirtschaft ist jedenfalls moderner, digitaler und technisierter, als viele denken.

»Als Jugendlicher«, haben Sie einmal gestanden, »habe ich die Träume meiner Eltern zerdeppert.« Worauf wären Ihre Eltern heute stolz?

Na ja, als Rockmusik hörender, grüner Vegeta­rier in zerrissenen Jeans in einer Erzieheraus­bildung habe ich zeitweise nicht gerade dem Idealbild eines Sohnes entsprochen. Aber meine Eltern waren immer stolz auf mich und haben mich unterstützt. Ich denke, sie wären jetzt be­sonders stolz darauf, dass ich nun als Bundes­minister arbeiten darf. Der Weg war mit Sicher­heit nicht vorgezeichnet.