Fraunhofer-Leitprojekt »Theranostische Implantate«

Fraunhofer-Leitprojekt »Theranostische Implantate«

Im Fraunhofer-Leitprojekt »Theranostische Implantate« haben sich zwölf Fraunhofer-Institute unter Federführung des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT zusammengeschlossen, um intelligente Implantate zu entwickeln. Bislang gibt es vor allem rein passive Implantate, zu denen zum Beispiel Knochenplatten zählen. Intelligente »Theranostische Implantate« gewinnen zunehmend an Bedeutung, denn diese vereinen Diagnostik und Therapie in einem medizintechnischen  Produkt. In einem geschlossenen Regelkreis erfassen sie Vitalparameter und leiten auf dieser Grundlage therapeutische Maßnahmen ein. Ein Beispiel sind Herzschrittmacher: sie sind in der Lage den Bedarf an einer stärkeren Durchblutung, beispielweise bei sportlicher Betätigung, mit angepassten Stimulationsimpulsen zu regulieren. Theranostische Implantate erfassen verschiedenste Biosignale, verarbeiten und analysieren diese und übertragen sie nach außen an ein Empfangsgerät. Diese Signale bilden die Grundlage für eingeleitete therapeutische Maßnahmen in Form einer elektrischen, biochemischen oder mechanischen Intervention bzw. Stimulation.

Theranostische Implantate müssen über viele Jahre, in der Regel lebenslang, im Körper stabil funktionieren, obwohl sie dem ständigen Einfluss wachsender Zellen in einem feuchten und warmen Milieu ausgesetzt sind. Das ist eine große Herausforderung für die Entwicklung der hochkomplexen Systeme aus Sensoren, Aktuatoren, die zudem möglichst klein und leicht sein sollen. Eine hohe Biokompatibilität ist dabei die Grundvoraussetzung, sie müssen sich in die Gewebeumgebung integrieren, ohne eine Fremdkörperreaktion auszulösen.

Das Projektkonsortium wird im Leitprojekt drei Demonstratoren entwickeln. Deren Auswahl orientierte sich an Krankheiten, die einen hohen Kostenanteil im deutschen Gesundheitswesen verursachen. Dazu zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krankheiten des Skeletts und neuromuskuläre Erkrankungen.

Um Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neuromuskuläre Erkrankungen sowie Krankheiten des Skeletts zu heilen oder zu mildern und die Lebensqualität zu erhalten, kommen in zunehmendem Maße medizinische Implantate zum Einsatz.


Smarte Hüftgelenksprothese – Skeletaler Demonstrator

Die Volkskrankheit Arthrose ist die Hauptursache für den Einsatz von künstlichen Hüftgelenken. Bei Arthrose leiden die Betroffenen an einer Verschleißerscheinung, durch die Gelenkknorpel zerstört und angrenzende Knochen, Muskeln, Gelenkkapseln und Bänder geschädigt werden. Schmerzen und eingeschränkte Bewegungsfähigkeit sind die Folge. Das Risiko, an Arthrose zu erkranken, nimmt mit dem Alter zu. Mit Blick auf den demografischen Wandel nimmt die Anzahl der Menschen zu, die auf eine Hüftprothese angewiesen sind.

Fraunhofer-Forscher entwickeln im Leitprojekt eine intelligente Hüftgelenksprothese. Diese ist mit elektronischen Komponenten wie Sensoren und Aktuatoren ausgestattet, mit denen der Arzt den Sitz der Hüftprothese und deren Einwachsverhalten ohne invasiven Eingriff laufend überwachen und bei Bedarf auch nachjustieren kann. Bei herkömmlichen Prothesen besteht die Gefahr, dass sie sich lockern, weil sie sich nicht an Veränderungen des Knochens anpassen. In der Regel müssen diese nach etwa zehn bis fünfzehn Jahren gewechselt werden. Revisionsoperationen sind jedoch medizinisch kompliziert und mit einem hohen gesundheitlichen Risiko für die Patienten verbunden.

Deshalb ist es wichtig, dass eine Lockerung der Hüftprothese rechtzeitig erkannt wird. Bisher ist das im Frühstadium nur mittels Computertomographie möglich. Dieses Verfahren ist jedoch wegen der hohen Strahlenbelastung für den Patienten und auch aus Kostengründen bei Routinekontrollen nicht geeignet ist. Die Forscher entwickeln deshalb ein nichtinvasives Verfahren, das sich auch im ambulanten Bereich einsetzen lässt. Die Lösung: man bestimmt die Eigenfrequenz des biomechanischen Systems, das aus Hüftprothese, Gelenkkopf, Gelenkpfanne und Oberschenkelknochen besteht. Dies erfolgt in der Hüftprothese über einen Aktuator, der mechanisch angeregt wird. Die notwendige magnetische oder elektrische Energie wird drahtlos von einem externen Steuergerät in die Hüftprothese übertragen. Die in den Gelenkkopf integrierte Sensorik misst die extrem kleinen Prothesenschwingungen und überträgt die Daten per RFID-Technik wieder an das Steuergerät.

Sitzt die Prothese zu locker, werden die in der Hüftprothese integrierten Aktuatoren aktiv und justieren ihren Sitz wieder passgenau im Oberschenkelknochen. Hierzu wird auf der Hüftprothese Material aus einer Formgedächtnislegierung angebracht, das sich ausdehnen kann. Über einen integrierten Heizer wird dieses Material lokal erwärmt, so dass sich die Hüftprothese im Oberschenkelknochen wieder verfestigt.

Die smarte Hüftgelenksprothese erspart den betroffenen Patienten Revisions-Operationen und hilft  die Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Im Jahr 2009 gaben die Krankenkassen in Deutschland 3,5 Milliarden Euro für 385.000 Hüft- und Knieprothesen und 53.000 Revisions-Operationen aus.

 

Sensorimplantat zur Kontrolle des Blutkreislaufes – Kardio-vaskulärer Demonstrator

Für Menschen mit einer Blutkreislauferkrankung, zum Beispiel Bluthochdruck oder Schlaganfall wäre ein Langzeit-Monitoring eine Hilfe. Um diese Patienten ideal zu therapieren, ist eine kontinuierliche Druckmessung in den Herzgefäßen notwendig. Das derzeit übliche Druck-Monitoring ist nur kurzfristig und auf einer Intensivstation mit Einsatz von Kathetern und Gefäßschleusen möglich. Diese Eingriffe bergen eine Infektionsgefahr und können zu Komplikationen führen. Für ein dauerhaftes Monitoring sind sie nicht geeignet.

Die Herausforderung für die Wissenschaftler besteht darin, mittels mikrosystemtechnischer Verfahren intelligente Sensoren zu entwickeln und diese so zu verkapseln, dass das Sensorimplantat dauerhaft im Körper verbleiben kann. Zusätzlich zum Blutdruck sollen weitere Messdaten wie Beschleunigung und Temperatur an eine Empfangseinheit außerhalb des Körpers übertragen werden. Mit den gewonnenen Daten ist eine Frühdiagnose und Verbesserung des Krankheitsverlaufs möglich, da die medikamentöse Behandlung optimiert werden kann. Krankenhausaufenthalte und hohe Behandlungskosten lassen sich dadurch reduzieren.

Wie relevant so ein Drucksensor ist, zeigen diese Zahlen: Der Anteil der Patienten mit Bluthochdruck (Hypertonie) betrug im Jahr 2000 37,3 Prozent und wird bis zum Jahr 2025 auf 42 Prozent ansteigen. Bluthochdruck ist in 62 Prozent die Ursache für einen Schlaganfall und 49 Prozent für die koronare Herzkrankheit.


Myoelektrische Handprothesensteuerung – Neuro-muskulärer Demonstrator

Einen Arm, eine Hand oder ein Bein zu verlieren, ist für den Betroffenen ein schweres und einschneidendes Ereignis und hat große Einschränkungen im täglichen Leben zur Folge. Weltweit leben etwa eine Million Menschen mit dem Verlust einer Hand aufgrund einer Verletzung oder Amputation. Derzeit am Markt erhältliche Handprothesen sind in ihrer Beweglichkeit stark eingeschränkt, sie lassen sich nur kompliziert und nicht sehr effizient bedienen, vor allem übermitteln sie dem Prothesenträger nicht wie sich Dinge anfühlen.

Die Fraunhofer-Wissenschaftler entwickeln deshalb eine myoelektrische Handprothesensteuerung einschließlich einem sensorischen Feedback. Die Steuerung der Bewegung einzelner Finger einer Handprothese erfolgt über Muskelkontraktionen und den zugehörigen erfassbaren bioelektrischen Potentialen. Damit sind auch komplexe Bewegungen möglich. Die direkte Schnittstelle zwischen dem technischen und biologischen System ist eine Elektrodenstruktur. Diese erfasst die vom Muskel ausgehenden (Myo-)Signale. Zur Steuerung von komplexen Prothesensystemen sind mehrere voneinander möglichst unabhängige Myosignale erforderlich. Dabei lassen sich die Signale nach Amputation entweder von der vorhandenen Restmuskulatur des Armes oder nach einem selektiven Nerventransfer (Targeted Muscle Reinnervation TMR) von der Brustmuskulatur erfassen.

Ein sensorisches Feedback soll dem Anwender das Steuern der Handprothese erleichtern. Hierzu werden Drucksensoren in die Finger der Handprothese integriert, um die Griffkraft zu messen. Mit diesem Signal wird ein implantierter Stimulator angesteuert. Mittels implantierbarer Mikroelektroden werden Nervenfasern so stimuliert, dass sie ihre Erregung zum Zentralnervensystem leiten. Dort entstehen sensorische Empfindung, die der Griffkraft entsprechen. Damit wird erstmals ein voll implantierbares System zur myoelektrischen Signalerfassung und nervalen Stimulation als Grundvoraussetzung für eine bionische Handprothese entwickelt und gefertigt.

Die zu entwickelnden Sensoren und Implantationsmethoden müssen eine hohe Toleranz gegenüber unterschiedlichsten Bewegungen des umgebenden Gewebes möglichst für die gesamte Anwendungsdauer gewährleisten, um Revisionseingriffe zu vermeiden und damit die Kosten zu minimieren. Elektroden und Zuleitungen müssen beispielsweise so flexibel konzipiert sein, dass die Längenänderung des Muskels über Millionen Zyklen ausgeglichen werden.

Zur Signalerfassung und Signalvorverarbeitung wird ein anwendungsspezifischer Schaltkreis (ASIC) mit acht analogen Verstärkereingängen und zur Stimulation mit vier Stimulationsausgängen entwickelt. Das Implantat soll drahtlos mit Energie versorgt werden. Ebenso erfolgt der Datentransfer, der in zwei Richtungen funktioniert. Die erfassten und vorverarbeiteten bioelektrischen Signale werden zusammen mit den Informationen zur Funktionalität des Implantates nach außen zu einer Basisstation übertragen. Von dort wiederum werden drahtlos sowohl die Signale zur Stimulation peripherer Nerven als auch die Steuersignale für das Implantat gesendet. Hierfür werden eine bidirektionale Funkschnittstelle und eine bidirektionale optische Schnittstelle entwickelt.


Projektausblick

Das Leitprojekt Theranostische Implantate ist auf eine Laufzeit von vier Jahren angelegt. Ziel ist es, einen technologischen Baukasten als Technologieplattform zu erstellen, auf deren Grundlage schnell und modular medizintechnische Komponenten, Systeme und Implantate entwickelt und gefertigt werden können. Dieser Projektansatz schöpft das Fraunhofer-Synergiepotenzial durch Zusammenführung von spezifischen Kompetenzen mehrerer Institute zur Lösung aktueller Herausforderungen der medizintechnischen Industrie auf dem Gebiet der Theranostischen Implantate voll aus. Dadurch lassen sich Ergebnisse erreichen, die auf dem höchsten technologischen und wissenschaftlichen Niveau sind.