Weltweit steigt der Energiebedarf in den relevanten Endverbrauchersektoren trotz erhöhter Energieeffizienz kontinuierlich an. Dies betrifft insbesondere die Stromnutzung und die Erdgasnutzung in den Bereichen Industrie und Mobilität. Gleichzeitig ist es das erklärte Ziel der internationalen Klimapolitik, die globale Erderwärmung bis zum Jahr 2100 auf weniger als 2° C zu begrenzen. Deutschland will bis 2045 weitgehende Treibhausneutralität erreicht haben. Dazu soll die Nutzung erneuerbarer Energien von derzeit 40 Prozent auf 80 Prozent ausgebaut und vollständig auf fossile Energiequellen verzichtet werden.
Defossilisierung – Ersatz fossiler Energieträger durch erneuerbare Energien
Neben Wind- und Solarenergie spielt die Wasserstofftechnologie eine zentrale Rolle in der deutschen Energiepolitik. Zudem sondieren Expertinnen und Experten Alternativen für eine langfristige Energiesouveränität, frei von fossilen Energieträgern und weitgehenden Importzwängen.
Die Suche nach einer quasi unerschöpflichen, witterungsunabhängigen und vor allem ebenso emissionsfreien Energiequelle beschäftigt internationale Forschungsgruppen. Die USA, aber auch Europa und China setzen dabei auf Fortschritte in der Entwicklung der kontrollierten Kernfusion. Ziel ist es, die Vorgänge auf der Sonne im Labormaßstab auf der Erde zu reproduzieren.
Die jüngsten Durchbrüche auf dem Gebiet der Fusionsforschung geben Anlass zur Hoffnung, dass langfristig praxisrelevante Fusionsanlagen entwickelt werden können. Bei einem weiteren Ausbau könnte die Kernfusion zu einer tragenden Säule für die Deckung des weltweiten Energiebedarfs werden. Immerhin kann aus einem Gramm Brennstoff in der Kernfusion genau so viel Energie gewonnen werden wie aus der Verbrennung von elf Tonnen Steinkohle.
Magnetfusion und Trägheitsfusion – verschiedene Ansätze der Energiegewinnung
Im Gegensatz zur Kernspaltung werden bei der Kernfusion leichte Atomkerne miteinander verschmolzen (fusioniert), wobei Bindungsenergie freigesetzt wird, die anschließend in nutzbare Energieformen überführt wird.
Die Umsetzung der Kernfusion auf der Erde ist technisch hochanspruchsvoll. Um die sich zunächst stark abstoßenden Atomkerne zu verschmelzen, müssen extrem hohe Drücke und Temperaturen (von ca. 150 Millionen °C) erzeugt und über gewisse Zeitperioden aufrecht erhalten werden. Die dabei entstehenden Plasmen können nicht mehr in materiellen Gefäßen eingeschlossen werden.
Aus diesem Grund werden bei der sogenannten Magnetfusion (MCF »Magnetic Confinement Fusion«) magnetische Felder zum Einschluss genutzt. Starke Energieverluste durch Emission von Lichtquanten im Röntgenbereich und Verlust von heißen Teilchen müssen durch stetiges Nachheizen kompensiert werden. In internationalen Großprojekten werden Forschungsreaktoren basierend auf verschiedenen Magnetfeldgeometrien betrieben, in denen der notwendige Plasmadruck bisher für Sekunden bis Minuten aufrechterhalten werden konnte. Eine positive Energiebilanz soll 2035 mit dem derzeit größten Forschungsinstrument ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) erreicht werden, der seit 2007 im südfranzösischen Forschungszentrum Cadarache von den Mitgliedstaaten der EURATOM, China, Indien, Japan, Russland, Südkorea und USA betrieben wird.
Bei der Trägheitsfusion (IFE »Inertial Fusion Energy«) ist erst kürzlich ein wichtiger Durchbruch erreicht worden. Mit Hilfe einer Vielzahl von gepulsten Hochenergielasern wird das in kleinen Kapseln eingeschlossene Fusionsgemisch kurzzeitig auf die notwendige Dichte und Temperatur zur Verschmelzung komprimiert. Am Lawrence Livermore National Lab LLNL (Kalifornien, USA) wurde mit dieser Technik im Jahr 2021 weltweit erstmalig ein brennendes Fusionsplasma gezündet, das eine Fusionsenergie von 1,35 Megajoule (MJ) freisetzte, entsprechend etwa 70 Prozent der zur Kompression und Zündung genutzten Laserenergie. Folgeexperimente bauten das Verständnis der physikalischen Prozesse weiter aus. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurde am 5. Dezember 2022 die freigesetzte Fusionsenergie auf 3,15 MJ gesteigert, die durch eine Laserenergie von 2,05 MJ komprimiert und gezündet wurden. Der Netto-Energiegewinn beträgt so mehr als 150 Prozent. Damit konnte zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein brennendes Plasma im Labormaßstab auf der Erde gezündet werden, das mehr Energie durch Fusion freisetzte, als Laserenergie zur Kompression und Zündung eingestrahlt wurde. Dies ist ein entscheidender Meilenstein in der Fusionsforschung.
Die National Ignition Facility (NIF) ist eine experimentelle Versuchsanlage, die zur Erforschung und Generierung von brennenden Plasmen gebaut wurde. Eine Versuchsanlage zur Erforschung der Trägheitsfusion zur Energiegewinnung existiert noch nicht. Mit dem Ergebnis des NIF Experiments steht man jetzt an der Schwelle, diesen Pfad zu beschreiten und in der kommenden Dekade die erheblichen ingenieurwissenschaftlichen Herausforderungen zu lösen.
Erste privatwirtschaftliche Unternehmen, finanziert durch private Investoren, engagieren sich daher bereits auf diesem Gebiet. Derzeit sind über 30 Unternehmen im Bereich der magnetischen Fusionsenergie und der Magneto-Inertial-Technologien und 6 Unternehmen im Bereich IFE tätig. Die Gesamtinvestitionen sind nach Angaben der Fusion Industry Association (FIA) von 1,8 Milliarden Dollar in den letzten zwei Jahren auf heute über 4,7 Milliarden Dollar gestiegen. Vier der Start-ups sind in Deutschland ansässig.
Technologien made in Germany liefern relevante Beiträge zur Fusionsforschung
Deutschland verfügt bereits über umfangreiches Know-how in Schlüsseltechnologien, die für die Entwicklung der Kernfusion von Relevanz sind. Im Bereich des magnetischen Einschlusses sind zum Beispiel Forschende der Max-Planck-Gesellschaft weltweit führend. In der Lasertechnik und der optischen Industrie, die für die lasergetriebene Trägheitsfusion notwendig ist, belegt Deutschland eine internationale Spitzenposition. Die Fraunhofer-Gesellschaft forscht und ist weltweit führend in der Entwicklung von Höchstleistungs-Kurzpulslasern und vielen anderen optischen Technologien. Auch die Materialwissenschaften zählen zu den Kompetenzen der deutschen Forschungslandschaft auf diesem Gebiet.
In Anbetracht der jüngsten Erfolge ist es daher essenziell, Forschung und Entwicklung in diesem Technologiebereich weiter zu fokussieren und auszubauen. So können Deutschland und Europa auch langfristig zu einem zentralen Ausrüster auf dem Gebiet der Kernfusion werden.