»Koopkurrenz oder Coopetition!«

Ein Standpunkt von Stefan Hohm, CDO, DACHSER SE

Stefan Hohm, CDO, DACHSER SE

Fraunhofer-Magazin 4.2021

Stefan Hohm, CDO, DACHSER SE
© DACHSER SE
Stefan Hohm, 49, leitet als Chief Development Officer das Vorstandsressort IT & Development der Dachser Group SE. Das Logistikunternehmen mit Sitz in Kempten erwirtschaftete im Jahr 2020 mit mehr als 30 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Umsatz von 5,6 Milliarden Euro.

Open Source statt klassischer Konkurrenz: Mit der neu gegründeten Open Logistics Foundation wollen Unternehmen wie Dachser, DB Schenker, duisport und Rhenus die Interessen aller voranbringen – Digitalisierung gelingt nach ihrer Überzeugung nicht im Alleingang.

Open Source wirkt für manchen vielleicht schon wie ein »alter Hut«. Auch wir bei Dachser nut­zen längst zahlreiche Open-Source-Komponenten im Bereich der Soft­wareentwicklung. Wir setzen sie für die Entwicklung unserer beiden Transportma­nagement-Systeme in den Geschäftsfeldern Luft- und Seefracht sowie Road Logistics sein. Die Erfolgsstory von Open Source in diversen Segmenten wie Serverbetriebssystemen, Web- und Mailserver, Datenbanken, Smartphone Apps belegt, welche Bedeutung Open Source gewonnen hat.

Dass sich Open Source über verschiedene Industrien so erfolgreich etabliert hat, ist nicht zuletzt auf die Vorteile unternehmens­übergreifender Standardisierung zurückzu­führen. Der Fall Linux beweist zudem, dass das modular aufgebaute Betriebssystem von Softwareentwicklern auf der ganzen Welt weiterentwickelt wird. Damit verfallen die Unternehmen als Anwender nicht in eine Abhängigkeit zu einzelnen Anbietern. Zwar kann es auch bei Open Source zu einer hohen Divergenz hinsichtlich Qualität und Kosten kommen, dennoch zeigen Plattformen wie GitHub, dass die Chancen die Herausforde­rungen deutlich überwiegen.

Auch die Logistik nutzt diese Vorteile – allerdings nur zu einem Teil. Bisher versuchen die Logistikunternehmen, sich vermeintliche Wettbewerbsvorteile über proprietäre, nicht interoperable Insellösungen zu verschaffen. Das ist mit einem beträchtlichen Aufwand ver­bunden. Standards konnten auf diese Weise nicht entstehen. Zudem verhindert ein solcher Ansatz heute die pragmatische und in der mo­dernen Welt dringend notwendige Vernetzung von Partnern und Kunden.

In der Branche gibt es deshalb einen ge­meinsamen Schmerz, den alle Marktteilneh­mer fühlen. Und genau an diesem Punkt wol­len die Gründer der Open Logistics Founda­tion den »alten Hut« Open Source für die Lo­gistik jetzt neu denken. Ausgewählte Soft- und Hardwarekomponenten sollen für alle Betei­ligten der Supply Chain offen und kostenfrei zur Verfügung stehen. Dadurch wird es, zum Vorteil aller Beteiligten, möglich werden, ein­zelne Anwendungsfälle aus dem Repository zu entnehmen und damit einen unmittelbar anwendbaren Standard zu schaffen. Jedes Unternehmen kann folglich auf den »Com­modities« aufbauen und seine knappen Ent­wicklerressourcen darauf konzentrieren, einen eigenen USP zu schaffen und zu schärfen. Das trägt dazu bei, den Exzellenzgrad in der ge­samten Branche zu steigern. Um Taten folgen zu lassen, bedarf es eines geeigneten Vehikels: der Open Logistics Foundation und des dazu­gehörigen Vereins, Open Logistics Founda­tion e.V.

Es ist mir auch ganz persönlich ein An­liegen zu betonen, dass es sich nicht um eine geschlossene Gesellschaft handelt. Im Gegen­teil, die Kernprinzipien der Stiftung lauten: Neutral und unabhängig sowie offen für In­teressierte aus allen Bereichen, die mit der Logistik verbunden sind. Diese Konstellation soll es ermöglichen, in diesem klar umgrenz­ten Bereich vom klassischen Wettbewerbs­denken wegzukommen, also »Koopkurrenz oder Coopetition« zu leben, De-facto-Standards zu schaffen und die Digitalisierung gemein­sam voranzutreiben. Die technische Plattform, auf der entsprechende Komponenten für alle open source zur Verfügung stehen werden, baut auf europäischen Rechtsnormen und Werten insbesondere im Betrieb des Reposi­tories auf. Die Open Logistics Foundation un­terstützt darüber hinaus bei der Auswahl ge­meinschaftlicher Projekte und der Beurteilung von Skaleneffekten.

Das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML insbesondere in der Person von Prof. Michael ten Hompel hat einen ent­scheidenden Beitrag – quasi die Geburtshilfe! – geleistet. Ohne seine Leidenschaft für Zu­sammenarbeit in der Logistik würde es die Open Logistics Foundation mit den Stiftungs­gründern Dachser, DB Schenker, duisport und Rhenus nicht geben. Es freut mich umso mehr, dass durch die Beteiligung des Fraun­hofer IML die enge Verzahnung von Wissen­schaft, Forschung und Praxis auch in Zukunft gewährleistet sein wird. Der Grundstein ist also gelegt. Nun gilt es in den Unternehmen ein entsprechendes Open Source Mindset zu verankern und weitere Anwendungsfälle zu identifizieren. Das geht nur, wenn der ge­meinschaftliche »Wir-Gedanke«, den wir mit der Open Logistics Foundation für die Digi­talisierung in der Logistik etablieren wollen, auch im Jahr 2022 mit Leben gefüllt wird. Wir sind bereit, unseren Beitrag zum Gelingen der Plattform zu leisten. Getreu unserem Motto: »Gemeinsam packen wir es an!«.