Aus dem Takt

Ein Standpunkt von Dr. Volker Treier, DIHK-Außenwirtschaftschef, beim 16. Exportkontrolltag in Berlin.

Dr. Volker Treier, DIHK Außenwirtschaftschef
© DIHK
Dr. Volker Treier

»Es braucht mehr Forschung – sowohl für Materialien, die recycelbar und kreislauffähig sind, als auch für den Einsatz von recycelten Materialien anstelle der Verwendung von Primärrohstoffen.«

 

»Just in time« fällt aus der Zeit, wenn Containerschiffe sich stauen und der Logistik Personal fehlt. Wir brauchen Impulse für mehr Resilienz.

Mit einer Veränderung von Trans­portwegen rechnen langfristig 36 Prozent der Unternehmen, 27 Prozent mit einer stärkeren Diversifizierung ihrer Lieferanten. 22 Prozent planen oder erwarten zumindest Verlagerun­gen von Produktionsstätten oder Niederlas­sungen, um näher an Absatzmärkte zu rücken und Transportwege zu verkürzen. Dies sind Ergebnisse einer aktuellen weltweiten Um­frage unter den Mitgliedsunternehmen der deutschen Auslandshandelskammern.

Die Corona-Pandemie hat die globalen Lie­ferketten aus dem Takt gebracht und mit ihnen die international vernetzte deutsche Wirt­schaft. Wo sonst Unternehmen ihre Materia­lien just in time für die Produktion geliefert bekamen, sorgen seit Monaten Staus von Con­tainerschiffen, Personalmangel in der Logis­tikbranche und ein Ungleichgewicht von An­gebot und Nachfrage für leere Lagerhallen, gedrosselte Produktionen und enorme Preis­steigerungen. Für die exportorientierte – und stark mittelständisch geprägte – deutsche In­dustrie ist das Lieferkettenmanagement zu einer großen Herausforderung geworden.

Erneute Lockdowns in China – Deutsch­lands wichtigstem Handelspartner – sowie Verwerfungen im Welthandel aufgrund des Kriegs in der Ukraine und der Sanktionen ge­gen Russland rücken eine Verbesserung der Lieferketten abermals in weite Ferne.

Über handels-, industrie- und umweltpo­litische Maßnahmen ließen sich die Auswir­kungen der Materialknappheit und Preisstei­gerungen abmildern. Kurzfristig könnte die Aussetzung von Zöllen oder Strafzöllen auf bestimmte Mangelprodukte Entlastung brin­gen. So erhebt die Europäische Union (EU) verschiedene Antidumpingzölle auf Stahl-, Aluminium- oder Düngemittelprodukte, die derzeit in Europa Mangelware sind oder bei denen die Preise stark gestiegen sind.

Unabhängig von politischen Eingriffen sind die Unternehmen mit Hochdruck dabei, ihre Lieferketten widerstandsfähiger zu ge­stalten. Wie die Umfragezahlen belegen, stel­len sie ihre Lieferbeziehungen und Produk­tionsstandorte kritisch auf den Prüfstand.

Das Netzwerk der 79 Industrie- und Handels­kammern in Deutschland sowie der deut­schen Auslandshandelskammern (AHK) an 140 Standorten in über 90 Ländern unterstützt Unternehmen aktiv bei dieser Neuausrichtung ihrer Lieferketten. So haben mehrere euro­päische Auslandshandelskammern das AHK Industrial Supplier Forum ins Leben gerufen mit dem Ziel, industrielle Lieferanten aus eu­ropäischen Ländern mit Einkäufern und Ver­triebspartnern aus Deutschland zu vernetzen und so eine der größten Lieferantengemein­schaften Europas zu schaffen. Zudem fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) Rohstoffkompetenz­zentren, die bei mehreren AHKs in rohstoff­reichen Ländern angesiedelt sind. Ziel dieser Kompetenzzentren ist es, über Chancen und Risiken in den Märkten zu informieren und die Unternehmen beim Aufbau von Geschäfts­beziehungen zu unterstützen – sei es bei der Beschaffung von Rohstoffen oder bei der Ver­marktung eigener Bergbautechnologien.

Die Politik ist gefordert, durch geeignete Rahmenbedingungen die Neuausrichtung von Lieferketten zu unterstützen. So können etwa die Diversifizierung von Importquellen und der Ausbau sowie die Intensivierung von Han­delspartnerschaften durch Handelsabkommen Unternehmen helfen, ihr Lieferantennetzwerk in mehrere Länder und Regionen zu verteilen. Denn: Verlässliche Handelsabkommen bauen Handelshemmnisse ab und schaffen gemein­same Standards, dazu Rechts- und Planungs­sicherheit als Grundlage. Die EU könnte hier­zu etwa die ausverhandelten Handelsabkom­men mit dem Mercosur, dem gemeinsamen Markt Südamerikas mit Chile, Mexiko oder Neuseeland, umsetzen.

Neben handelspolitischen Maßnahmen sollte die EU auch industrie- und umweltpolitisch wichtige Impulse für die Resilienz von Liefer­ketten setzen. Ein Ausbau der Kreislaufwirt­schaft in Deutschland und der EU kann einen Beitrag für die Sicherstellung ausreichender Rohstoffverfügbarkeit leisten. Eine vermehr­te Wiederverwendung von Materialien sorgt nicht nur für weniger Emissionen, sondern auch für eine größere Unabhängigkeit bei Importen von Primärrohstoffen. Es braucht mehr Forschung und Entwicklung sowohl für Materialien, die recycelbar und damit kreis­lauffähig sind, als auch für den Einsatz von recycelten Materialien anstelle der Verwen­dung von Primärrohstoffen. Auch eine höhe­re Energieeffizienz in der Industrie trägt zur Abmilderung von Rohstoffknappheiten bei und bietet Raum für weitere Forschung, etwa um den Nutzungsgrad von Energieträgern zu erhöhen und mit einer Umrüstung von Ma­schinen energieeffizienter zu produzieren so­wie die Verarbeitung alternativer Materialien möglich zu machen. Politische Maßnahmen zur Förderung von Forschungsvorhaben so­wie zur Entwicklung des notwendigen Fach­kräftepotenzials und zur Beseitigung von regulatorischen Hürden in diesen Bereichen würden sich hier ebenfalls positiv auswirken.

In Zeiten, in denen die Lieferketten der Unternehmen so aus dem Takt geraten sind, sorgen allerdings steigende bürokratische An­forderungen an Unternehmen, wie etwa das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, für wei­tere Herausforderungen. Um die Risiken in ihren Lieferketten zu überblicken, werden sich Unternehmen tendenziell auf weniger Zulie­ferer aus weniger Ländern beschränken, was der nötigen Diversifizierung und damit der Resilienz der Lieferketten entgegensteht.