Alumni-Spotlight: Fraunhofer IPT-Alumnus Carl Toller

12-Jährige müssen es verstehen können – IPT-Alumnus Carl Toller

Carl Toller ist nicht nur Design Engineer, sondern auch Marathon-Läufer. Hier feiert er den Gewinn des Göteborg-Laufs.
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Carl Toller ist nicht nur Design Engineer, sondern auch Marathon-Läufer. Hier feiert er den Gewinn des Göteborg-Laufs.
© Ingenjörsbyrå Forma AB
Carl Toller hat für das Fraunhofer IPT an der RWTH Aachen eine Literaturrecherche über strategische Ziele für Technologieplattformen in diversifizierten Unternehmen durchgeführt.

Carl Toller ist Design Engineer bei dem Göteborger Ingenieursbüro Forma. Das Unternehmen hat sich einen Namen gemacht, weil es unter anderem am Innenleben des Volvo CX40, dem Auto des Jahres 2018, mitgewirkt hat. Der weltoffene Maschinenbauer engagiert sich daneben für die schwedische Rheuma-Gesellschaft und war auch schon Präsident der Studentenunion seiner Alma Mater, der Chalmers University of Technology. Auch heute noch setzt er bei seinen vielseitigen Tätigkeiten ein selbst entwickeltes Framework ein, das auf einem Projekt des Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT basiert. Seine Freizeit verbringt er mit Marathon-Wettbewerben und Lauftraining. Für Ihn sei das die beste Methode, um abzuschalten und neue kreative Ideen zu entwickeln.

 

Wie sind Sie zu Fraunhofer gekommen?

Es war im Herbst 2015 während meines Erasmus-Jahres an der RWTH Aachen als Maschinenbaustudent mit Schwerpunkt Produktentwicklung und Management, als ein junger Dozent über seinen Job bei Fraunhofer und sein Projekt erzählte. Das klang für mich sehr spannend und er arrangierte es, dass ich in seinem Team anfangen konnte. Das war ein Glücksfall, denn ich wollte bei meinem Auslandsaufenthalt nicht nur die Schulbank drücken, sondern auch praktische Erfahrungen sammeln.

 

Wo lagen denn die Hauptinteressen, worum ging es in dem Projekt?

Zusammen mit anderen Studierenden und Masterranden haben wir für die Dissertation von Simon Ryschka untersucht, welche strategischen Ziele diversifizierte Unternehmen mit internationaler Perspektive mit Hilfe von Technologieplattformen erreichen können, wie man diese umsetzt, Markpotentiale erschlossen werden können. Das Resultat dieser Kooperation zwischen der RWTH Aachen und Fraunhofer IPT ist ein deskriptives Modell, das es Unternehmen erleichtert, Technologieplattformen besser zu verstehen und strategische Ziele aufzusetzen.

 

Was haben Sie aus der Zeit bei Fraunhofer mitgenommen?

Als ich von Fraunhofer wieder nach Schweden zurückkehrte, um mein Studium fortzusetzen, habe ich an mir selbst festgestellt, dass ich während dieser Monate eine sehr deutliche fachliche Entwicklung vollzogen hatte. Ich bin einen großen Schritt vorangekommen, den ich zuhause so nicht geschafft hätte. Vielleicht war es auch die Passion für Exzellenz bei Fraunhofer, die mich nachhaltig beeinflusst hat.

Inspirierend dabei war sicher auch, dass ich dabei in dem von Prof. Günter Schuh geleiteten Bereich tätig war. Er ist heute mit seinen Projekten weit über die akademische Welt hinaus bekannt und ich verfolge das nach wie vor mit großem Interesse. Der vielleicht wichtigste Aspekt ist, dass ich durch Fraunhofer sehr eng mit der Industrie zusammenarbeitete, gleichzeitig den wissenschaftlichen Fokus nicht aus dem Blick verlor. Industrieunternehmen sind sehr auf sich selbst fokussiert. Im wissenschaftlichen Umfeld konzentriert man sich dagegen auf Beweise, Fakten und die Anwendbarkeit. Fraunhofer schafft es, das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Es war auch die Fraunhofer-Erfahrung, die mich zu meiner Überzeugung brachte: Wenn ich ein Modell entwerfe, muss es leicht anwendbar sein. Meine Faustregel lautet: man muss es einem 12-Jährigen Kind innerhalb von fünf Minuten erklären können, ansonsten ist es zu komplex.

 

Warum das?

Das klingt etwas provokativ und so ist es auch gedacht. Andernfalls kommen solche Modelle nicht zur Anwendung. Ein Manager mit vollem Terminkalender hat andere Sorgen, als zwei Tage in der Woche irgendwelche Daten in ein Sheet einzugeben, das er nicht versteht. Er hat auch kein Interesse, ein einwöchiges Training zu absolvieren, nur um dann mit einem Modell arbeiten zu können.

In diesem Projekt habe ich viele interessante Erfahrungen gemacht, habe vieles über Technologieplattformen gelernt. Diese Ergebnisse konnte ich dann auch für meine eigene Master-Arbeit weiterverwenden. Ich entwickelte ein Framework, mit dem Unternehmen ihren Status-Quo feststellen und prüfen können, welche strategischen Schritte sinnvoll sind. Mit diesem Modell arbeite ich übrigens auch heute noch in meinen Projekten.

 

Der Kanelbullens Dog ist in Schweden ein wichtiger Feiertag! Carl Toller lässt sich eine Zimtschnecke schmecken.
© Ingenjörsbyrå Forma AB
Der Kanelbullens Dog ist in Schweden ein wichtiger Feiertag! Carl Toller lässt sich eine Zimtschnecke schmecken.

 

Sie haben Erfahrungen in beiden Ländern, gibt es denn aus Ihrer Sicht Unterschiede zwischen der wissenschaftlichen Landschaft in Schweden und Deutschland?

Ich würde dafür noch einen Schritt weiter zurückgehen und einen Blick auf die kulturellen Unterschiede ganz allgemein werfen. In schwedischen Organisationen ist man deutlich stärker bedacht, in den Teams einen Konsens herzustellen. Viele Manager scheuen sich, alleine Entscheidungen zu treffen. Es gibt langwierige Diskussionen und auch mehr Widerstand von Mitarbeitern. Das führt mitunter zu weit, weil man Details diskutiert, die zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht relevant sind.

 

Wer in Deutschland einen Vorgesetzten oder Manager hat, befolgt dessen Vorgaben. Das ist in vielen Fällen effektiver, weil Entscheidung und Umsetzungen schneller von statten gehen. Das bedeutet aber nicht, dass das immer der bessere Weg ist: Je nach Situation kann es auch hilfreich sein, diese Extra-Loops zu haben. So kommen unter Umständen bessere Entscheidungen zustande, und man hat den Vorteil, das Team voll hinter sich zu haben.

 

Ansonsten sehe ich zwischen Deutschen und Schweden viele Ähnlichkeiten. Vielleicht könnte man sagen, dass Deutsche etwas offener sind als Schweden. Man findet leichter neue Bekannte, was vielleicht auch an dem eher international geprägten Publikum der Universitätsstadt Aachen liegt. Wenn man in Schweden einen Freundeskreis hat, dann ist das zwar sehr intensiv, allerdings ist es auch schwerer, solche Netze aufzubauen.

 

Sie sind ja über Fraunhofer-Alumni vernetzt, haben Sie darüber hinaus noch weitere Bezugspunkte zu Deutschland?

Ich versuche jedes Jahr mindestens einmal nach Deutschland zu kommen. Ich war jetzt schon öfter in NRW und hauptsächlich in Westdeutschland und ich war einmal auf dem Oktoberfest. In Ostdeutschland war ich noch nicht so häufig, das würde ich aber gerne nachholen. Ich verreise stets mit einem Open Mind und lasse mich überraschen, wo ich dann letztendlich herauskomme.

Derzeit denke ich über einen längeren Deutschlandaufenthalt nach, weil ich dort wirklich tolle Erfahrungen gemacht habe. Allerdings bedeuten solche Auslandseinsätze auch einen erheblichen Bürokratieaufwand. Nach der Zeit in Aachen hatte ich mir geschworen: nie wieder! Das hat mich dann aber nicht davon abgehalten, zwei Jahre später erneut ins Ausland zu gehen, diesmal in die Niederlande.

 

Was macht aus Ihrer Sicht einen Auslandsaufenthalt besonders?

Man startet mit einem neuen Blatt Papier. Man kann neue Sachen ausprobieren, auch auf der persönlichen Ebene. So habe ich zum Beispiel an der RWTH angefangen, mich vegan zu ernähren, das tue ich auch heute noch, es sei denn, am 4. Oktober kommt mir der Kanelbullens Dog (Tag der Zimtschnecke) dazwischen.

 

Gibt es noch mehr interessante Feiertage in Schweden?

Ich zelebriere den Tie-Friday und komme deshalb an Freitagen mit Anzug und Krawatte ins Büro, sozusagen als Gegengewicht zum Casual Friday. Ich versuche damit, meine Kollegen von den Vorzügen eines etwas formelleren Dresscode zu überzeugen. Aber momentan bin ich der Einzige bei Forma, der Anzüge trägt und ich bin auch der Einzige, mit einem Pin des Fraunhofer-Alumni e.V. am Revers!

 

Wir danken Ihnen für das Gespräch, Herr Toller!