So schmeckt die Zukunft

Webspecial Fraunhofer-Magazin 1.2022

Wochenend-Frühstück ohne Ei? Für viele Menschen ein echter Verzicht – und das gerade zu Ostern. Dabei lehnen doch so viele Verbraucherinnen und Verbraucher Massentierhaltung ab und haben beste Vorsätze, weniger Tierprodukte verzehren zu wollen, schon aus Rücksicht aufs Klima. »Wie es jetzt ist, geht es nicht weiter«, sagt auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir im Fraunhofer-Interview.

Auswege sind also dringend gesucht – Lösungen, die Genießen und gutes Gewissen in Einklang bringen, echte Lösungen wie »Bettr Egg«. Es sieht aus wie Ei. Es schmeckt wie Ei. Aber: Es ist kein Ei. »Bettr Egg« lässt sich nicht nur als Grundzutat für vegane Kuchen, Quiches und sonstige Eiergerichte nutzen, sondern ganz nach Belieben auch als weich oder hart gekochtes Frühstücksei, Spiegelei oder Rührei auf den Tisch bringen. Konkurrenz für diese Fraunhofer-Entwicklung gibt es nahezu keine: Auf dem einheimischen Markt findet man bislang lediglich vegane Ei-Pulver, die geschmacklich weit vom Hühnerei entfernt sind, in der Schweiz kam kürzlich ein veganes, hart gekochtes Ei auf den Markt.

Ein flüssiges veganes Ei, das aus Eigelb, Eiklar und Eierschale besteht, ist jedoch europaweit ein absolutes Novum. »Das Eigelb enthält Pflanzenproteine beispielsweise aus Erbse und/oder Ackerbohne, Süßkartoffel, hochwertige Omega-3-Fettsäuren und Calcium«, verrät Verónica García-Arteaga. Die Mexikanerin, die in München Ernährungswissenschaften studiert hat, verspricht schon auf ihrem Social-Media-Profil:

»Egg-citing things are coming.«

Auf Anregung eines Industriepartners hat sie zunächst am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising veganes Eiweiß und Eigelb entwickelt.

Das ist kein Ei

Henne oder Ei – was war zuerst da? Die uralte Frage wird von der Wirklichkeit überholt. Jetzt gibt es das Ei ganz ohne Huhn.

Verónica García-Arteaga, Fraunhofer-Forscherin und Mitgründerin des Start-ups VEgg GmbH.
© Ragnar Schmuck
Verónica García-Arteaga, Fraunhofer-Forscherin und Mitgründerin des Start-ups VEgg GmbH.

Im Mai 2021 wurde das Start-up VEgg GmbH ausgegründet, wo sie Mitgründerin und CTO ist. Im November 2021 trat Dr. Patrick Deufel als Mitgründer und CEO in das Unternehmen ein. Die Jungunternehmer haben ihr Büro in Berlin angesiedelt und arbeiten hart daran, eine gesunde Ei-Alternative ohne Tierhaltung auf den Markt zu bringen. In ihrem »Bettr Egg« sorgt ein komplexes Wechselspiel von Ionen und algenbasierten Hydrokolloiden dafür, dass das Eigelb einen kugelförmigen Dotter samt Dotterhaut ausbildet. Diesen Ansatz verwendet man bereits in der Molekulargastronomie, etwa beim Bubble Tea. Das Eiklar besteht vor allem aus Proteinen und Hydrokolloiden – also Polysacchariden, die sich leicht zu einem Gel vernetzen. Diese können sogar dafür sorgen, dass sich das durchsichtige Eiklar ebenso wie beim Vorbild Hühnerei beim Kochen weiß verfärbt und verfestigt. Den Geschmack bringt Kala-Namak, ein schwarzes Salz mit einem hohen Schwefelgehalt. »Sowohl beim Eiklar als auch beim Eigelb halten wir die Liste der Inhaltstoffe so einfach wie möglich: pflanzenbasierte Zutaten ohne Konservierungsstoffe, ohne künstliche Aromastoffe und ohne künstliche Farbstoffe«, sagt García-Arteaga. Weitere Pluspunkte für die Gesundheit des Konsumenten: Das vegane Ei enthält weder Cholesterin noch Allergene, auch ist es glutenfrei.

bettr-egg.co

Die Schale fürs Ei

Die Klugen sehen auf den Kern, die Dummen auf die Schale, sagt ein estnisches Sprichwort. Doch gerade zu Ostern gehört die Schale fest zum Ei – auch wenn sie im Grunde ja nur überflüssiges Verpackungsmaterial darstellt. Um den Verbrauchern das »Erlebnis« des Frühstückseis oder auch des Eieraufschlagens beim Kuchenbacken zu lassen, entwickelten die Forscherinnen und Forscher am Fraunhofer IVV auch gleich die passende Eierschale. »Unser Ziel war eine bioabbaubare Eierschale, die auf den Kompost geworfen werden kann, in industriellem Maßstab herstellbar und ebenso zerbrechlich wie eine tatsächliche Eierschale ist – und sich mit dem Eierlöffel aufschlagen lässt«, erläutert Dr. Siegfried Fürtauer, der die Schale am Fraunhofer IVV mitentwickelte und mittlerweile die Verpackungsentwicklung in der VEgg GmbH leitet. Doch damit nicht genug: Die Schale muss das Ei auch schützen. »Während die natürliche Eierschale sicherstellt, dass das heranwachsende Küken ausreichend mit Luft versorgt wird, und somit porös ist, gilt es, das Lebensmittel Ei vor Luft, Keimen und vor dem Austrocknen zu schützen. Wir kopieren daher nur die Form der natürlichen Eierschale, nicht aber das Material selbst«, sagt Fürtauer. Dieses anspruchsvolle Ziel wurde durch ein Spritzgussverfahren mit einem bioabbaubaren thermoplastischen Kunststoff erreicht, der selbst wiederum nicht aus Erdöl, sondern über einen Fermentationsprozess aus speziellen Bakterien gewonnen wird. »Wir haben für die Eierschale eine gänzlich neue Generation von Bioplastik verwendet«, versichert Fürtauer. Für die Zerbrechlichkeit der Schale sorgt Calciumcarbonat, welches das Forscherteam zum Biokunststoff mischt. Die Materialentwicklung ist weitgehend abgeschlossen, im Pilot-Maßstab lassen sich die Eierschalen bereits herstellen.

 

Dr. Siegfried Fürtauer
© Ragnar Schmuck
Dr. Siegfried Fürtauer hat für die Schale eine neue Generation von Bioplastik verwendet. Für die Zerbrechlichkeit sorgt beigemischtes Calciumcarbonat.

Für eine industrielle Produktion bleiben noch einige Herausforderungen. Generell bestehen zwei Möglichkeiten. Die erste: Man produziert die komplette Eierschale, spart jedoch ein Füllloch aus, durch welches sowohl Eigelb als auch Eiklar flüssig eindosiert werden können. Diese dürfen sich vorerst nicht mischen – es sei denn, sie werden geschüttelt oder gerührt – da sie unterschiedlich dickflüssig sind. Doch bildet sich die Eigelbkugel auch nicht von allein. Um diese entstehen zu lassen, und das ist der schwierige Teil, müssen der Durchmesser des Lochs, die Geometrie der Eierschale, der Düse, die Befüllzeit und der -druck exakt stimmen. Durch die komplexe Wechselwirkung zwischen den Inhaltstoffen des Eigelbs und des Eiklars wird dann die Eigelbkugel stabilisiert, und es bildet sich die charakteristische Dotterhaut. García-Arteaga und Fürtauer sind zuversichtlich, dass dieser Ansatz an der Seite bereits gefundener Maschinenlieferanten-Partner gelingen wird.

Eischale aus Bioplastik
© Ragnar Schmuck

Der zweite Weg: Das vorverkapselte runde Eigelb wird in eine offene Eierschale gelegt, diese mit dem Eierschalen-Gegenstück, also dem Deckel der Verpackung, versiegelt, und das Eiklar durch das Füllloch eingefüllt. Während der erste Ansatz sich nur mit den entsprechenden industriellen Anlagen realisieren lässt, konnte der zweite Ansatz seine Tauglichkeit bereits im Labor unter Beweis stellen. Nun muss jedoch auch er noch auf die industrielle Ebene überführt werden. Ende 2023 soll es so weit sein: Dann soll das vegane Ei samt seiner »Eierschalen-Verpackung« in den Regalen von Supermärkten zu finden sein. Doch wird die VEgg GmbH die Zeit bis dahin nicht »Ei-los« verstreichen lassen: Als Zwischenschritt werden die Firmengründer flüssiges Rührei, in dem Eiweiß und Eigelb bereits vermischt sind, in Beutel und Container abfüllen und diese z.B. an Bäckereien, Gastronomie oder andere B2B-Kunden vermarkten. Im Einzelhandel wird das vegane Rührei oder auch seine individuellen Komponenten Eigelb und Eiklar in Gläsern und Tetrapaks, Flaschen oder Joghurtbechern erscheinen – hier wird neben der technischen Machbarkeit bei der Abfüllung und der Benutzerfreundlichkeit vor allem auch die Nachhaltigkeit der Verpackungen eine große Rolle spielen. Diese Rührei-Varianten könnten, so hoffen García-Arteaga und Fürtauer, bereits 2022 auf den Markt kommen. Dabei hat das VEgg-Team keineswegs nur Veganer als Zielgruppe im Blick. »Ein Ei-Ersatz, der wie ein Ei schmeckt und wie ein Ei aussieht, findet sicherlich eine breite Akzeptanz – anders als beispielsweise Tofu, der zwar als Fleischersatz eingesetzt wird, aber keinerlei Ähnlichkeit mit dem tierischen Produkt hat«, sagt Fürtauer. Gute Nachrichten also für Menschen, die weniger Eier verzehren wollen, dafür aber nicht zu großen geschmacklichen Kompromissen bereit sind.

Schneidetest bei veganem Spiegelei
© Ragnar Schmuck
Überzeugend im Aussehen und beim Anschneiden. Das Eigelb enthält Pflanzenproteine beispielsweise aus Erbse und/oder Ackerbohne, Süßkartoffel, hochwertige Omega-3-Fettsäuren und Calcium.

Größer denken als das Ei

Das Ei des Kolumbus für die Ernährung der Zukunft ist auch mit dem »Bettr Egg« noch nicht gefunden. Es geht um mehr. »Bei der Lebensmittelfrage schauen wir nicht nur auf einzelne, alleinstehende Entwicklungen «, sagt Prof. Andrea Büttner, Leiterin des Fraunhofer IVV. Sie behält das große Ganze im Blick. »Wir brauchen einen Wandel der Wirtschaft und einen Wandel bei den Konsumentinnen und Konsumenten – ansonsten laufen wir weiter auf ein riesiges Problem zu.« Zwar mögen viele Veganer ihre Entscheidung, keine von Tieren erzeugten Produkte zu verzehren, aus Gründen des Tierwohls getroffen haben. Doch machen auch Klima- und Ressourcenprobleme es unumgänglich, von tierischen Produkten zunehmend auf pflanzliche Lebensmittel umzuschwenken. Dazu kommt Rohstoffmangel. Schon jetzt klagen deutsche Unternehmen über massive Lieferschwierigkeiten bei Lebensmittelrohstoffen und Verpackungsmaterialien – in Zukunft dürfte sich die Situation weiter verschärfen. »In Deutschland können wir die Versorgung der Bevölkerung nicht ohne die Bewältigung großer Herausforderungen aus eigener Kraft aufrechterhalten«, ist Büttner überzeugt. Neue Alternativen aber schaffen ebenfalls neue Herausforderungen. Beispiel Haferdrinks. Wo kommt der Hafer in der geforderten Menge her? Wie lässt sich eine Monokultur vermeiden? Was tun, wenn in einer Region etwa wegen Überschwemmung die Haferernte ausfällt? Die Kuh gibt ihre Milch ganzjährig, der Hafer kann nur zu bestimmten Zeiten geerntet werden – wie sehen optimale Lagerbedingungen aus? »Wir müssen ganze Logistikketten und Verarbeitungsprozess-Systeme neu denken«, fordert Büttner. Fraunhofer bietet daher nicht nur einzelne Projekte und Produkte an, sondern zielt als Systemanbieter darauf ab, die Entwicklung regionaler Versorgungsketten ebenso abzudecken wie neue Wirtschaftsformen und Geschäftsmodelle. Oder, wie Büttner es ausdrückt: »Es ist alles andere als die reine Entwicklung von Eiern oder einzelnen Produkten – Fraunhofer hat ganze Projektlandkarten, die wie ein Puzzle ineinandergreifen.«

Käse – vegan und fermentiert

Bedarf an neuen Lebensmitteln besteht nicht nur beim Ei, sondern auch bei Käse. Zwar findet sich in den Super- und Biomarktregalen bereits eine ganze Palette an veganen Milchersatzprodukten. Was pflanzlichen Käse angeht, ist die Auswahl jedoch bislang äußerst überschaubar. Dazu kommt: Mit Ausnahme von Frischkäse ist veganer Käse meist nicht fermentiert, sondern ein Fett-Stärke-Gemisch, das kaum Protein enthält und ernährungsphysiologisch nicht sonderlich wertvoll ist. Vielfach besteht es aus umstrittenem Palmfett, deklarierungspflichtigen Zusatzstoffen und Aromastoffen, die für den »käsigen« Geschmack sorgen.

Zutatenlisten, denen Verbraucher eher skeptisch gegenüberstehen. Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IVV gehen im Projekt »Kerbse« daher einen anderen Weg – und entwickeln einen Schnittkäse aus Erbsenprotein, der genau wie Käse aus Kuhmilch über einen Fermentationsprozess hergestellt wird. Die Vorteile: Erbsen haben einen hohen Proteingehalt von etwa 20 bis 25 Prozent, lassen sich regional anbauen, sind leicht verfügbar und werden nicht gentechnisch verändert wie die Sojabohne – was sich positiv auf die Verbraucherakzeptanz auswirkt. »Aus Erbsenprotein, Rapsöl und einer Zuckerquelle stellen wir pflanzliche Milch her«, erläutert Dr. Andrea Hickisch, Gruppenleiterin am Fraunhofer IVV. »Diese wird mit Milchsäurebakterien angeimpft, fermentiert und anschließend gepresst, gesalzen und gereift.« Zwar sind die einzelnen Prozessschritte an sich seit Jahrhunderten bekannt, dennoch war viel Entwicklungsarbeit nötig. So mussten passende Bakterien gefunden, Bitterstoffe und »erbsige« Aromen abgebaut sowie käsige Noten erzeugt werden. Auch galt es, beim Pressen, Salzen und Reifen des veganen Käses die richtigen Bedingungen zu finden: Einerseits darf der Käse nicht wegschimmeln, andererseits ist die Reifung für die Ausbildung des Aromas nötig. Bei all diesem sind die Forscherinnen und Forscher bereits auf einem guten Weg: Der Käse-Prototyp ist sowohl von der Textur als auch von Sensorik und Geschmack schon sehr ansprechend. Bis der vegane Käse auf den Markt kommt, dürfte es allerdings noch ein bis zwei Jahre dauern.

Forschungsprojekt »KERBSE« – Fermentierte Käsealternativen auf Basis heimischer Erbsen

Fisch mit gutem Gewissen verzehren

Die Meere sind hochgradig mit Mikroplastik und Schwermetallen belastet, die über den Fisch auf unseren Tellern landen. Zudem gelten über 90 Prozent aller Fischbestände als maximal befischt oder gar überfischt. Andererseits sind angesichts der wachsenden Weltbevölkerung immer mehr Menschen auf Fisch als Proteinquelle angewiesen. Würde der Fisch jedoch statt aus dem Meer zu kommen direkt aus Zellen kultiviert werden, ließen sich diese Probleme lösen. Die passende Technologie hat die Bluu Seafood, eine Ausgründung des Fraunhofer- Entwicklungszentrums für Marine und Zelluläre Biotechnologie EMB. »Wir produzieren Fisch aus echten Fischzellen, die wir im Bioreaktor auf Gerüststrukturen züchten«, erklärt Dr. Sebastian Rakers, Gründer und Geschäftsführer von Bluu Seafood. Auf diese Weise müssen keine Fische für die Nahrungsversorgung sterben, auch ist das Fischfleisch frei von Gentechnik, Antibiotika und Umweltgiften. Fötales Kälberserum, das die zellbasierte Fleisch- und Fischzüchtung anfangs ein Stück weit in Verruf gebracht hat, setzt das Team dank selbst entwickelter Nährmedien ebenfalls nicht ein. Zunächst einmal sollen hybride Produkte wie Fischbällchen, Fischstäbchen und Fischtartar aus Zellkomponenten und pflanzlichen Proteinen produziert und an Restaurants geliefert werden, später werden die Produkte auch in Supermärkten zu finden sein. Langfristig soll das Angebot auch Fischfilet umfassen. Bei ihren Forschungsarbeiten kooperiert die Bluu Seafood nach wie vor eng mit dem Fraunhofer EMB, das assoziierter Bestandteil der Fraunhofer-Einrichtung für Individualisierte und Zellbasierte Medizintechnik IMTE in Lübeck ist. Nachhaltig kann auch eine Fischzucht in Aquakultur und Marikultur sein. Doch dürfen sich im Wasser und im Fisch natürlich keine Krankheiten entwickeln.

Im EU-Projekt »Rasopta« arbeiten die Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IVV daher an Fütterungstechniken, entsprechenden Sensoren und Filteranlagen, um Krankheiten frühzeitig zu erkennen und vorsorgen zu können. Auch Fehlaromen wie muffiger Geschmack lassen sich durch die entwickelten Technologien vermeiden. Die Kolleginnen und Kollegen des Fraunhofer EMB forschen an einer verbesserten Nachhaltigkeit von Fischprodukten. Denn vielfach wird nicht der gesamte Fisch verkauft, sondern nur das Filet. Dabei bleibt viel gutes Fischfleisch zurück und landet im Abfall. Das Forscherteam nutzt dieses Fischfleisch und verarbeitet es zu einem gesunden Proteinsnack in Chipsform, der sich – ebenso wie Kartoffelchips – gemütlich auf dem Sofa futtern lässt. Dabei sind diese Chips deutlich gesünder als herkömmliche, so enthalten sie beispielsweise hochwertige Omega- 3-Fettsäuren. Weiterhin baut Fraunhofer die Forschungskapazitäten im Wachstumsbereich Aquakultur gezielt aus. Seit dem 1. Januar 2022 verstärkt das Forschungsteam der Gesellschaft für Marine Aquakultur mbH die Fraunhofer IMTE. Mit vereinten Kräften wollen die Forschenden neue Lösungen für umweltgerechte Aquakulturverfahren erarbeiten.

www.bluu.bio

Fraunhofer-Entwicklungszentrum für Marine und Zelluläre Biotechnologie EMB am Fraunhofer IMTE

Algen im Bier?

Chiasamen, Brennnessel und Grünkohl sind als Superfood bekannt. Doch haben auch Makroalgen wertvolle Inhaltstoffe, die ihnen bereits heute einen Rang auf der Superfood-Liste sichern. Schließlich enthalten sie viele Ballaststoffe, Proteine und Mineralstoffe. Dazu kommt: Die Algen werden im Meer gesammelt oder angebaut – ohne Ackerland, ohne Dünger, ohne zusätzliche Energie. Zudem entnehmen sie dem Meer Nährstoffe, die durch Düngemittel von den Äckern im Übermaß dort hineingelangen und Probleme nach sich ziehen. Im Gegensatz zu anderen Superfood- Produkten stehen Algen jedoch bislang vor allem in Tablettenform als Nahrungsergänzungsmittel zur Verfügung. »Wir wollen die Algen – insbesondere aus Europa – stärker auf dem Speisezettel der Deutschen verankern «, erläutert Elke Böhme, Gruppenleiterin am Fraunhofer EMB. »Und wie könnte das besser gelingen als im Bier, einem der liebsten Getränke der Deutschen?«

Die Algen liefern mit ihrem besonderen Geschmack und ihrer interessanten Farbe quasi das gewisse Etwas im Gerstensaft. Das Herstellungsverfahren ist entwickelt – das Algenbier lässt sich in einer Standardbrauerei herstellen, die Alge wird dabei einfach beim Brauverfahren mit hinzugegeben. Lieber die alkoholfreie Variante? Auch dafür haben die Forscherinnen und Forscher ein Verfahren entwickelt: Heraus kommt eine gebraute Algenlimonade. Doch lassen sich Algen wie Lappen- oder Zuckertang nicht nur in flüssigen Nahrungsmitteln einsetzen, sondern auch zu Algeneis und Algenpesto aufbereiten, wie verschiedene Projekte des Fraunhofer EMB zeigen. Über gesundheitlich interessante Inhaltstoffe verfügen ebenfalls die kleinen Artgenossen des Lappentangs, die Mikroalgen: Proteine, Omega-3-Fettsäuren, verschiedene Pigmente mit antioxidativer Wirkung, Phytosterole.

Wie sich Mikroalgen im Photobioreaktor züchten und zu hochwertigen, gesunden Lebensmitteln verarbeiten lassen, untersuchen Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IGB in zahlreichen Projekten, unter anderem im internen Leitprojekt »Future Proteins« mit fünf weiteren Fraunhofer-Instituten. »Wir betrachten jeweils die gesamte Kette von der Produktion bis zur Aufbereitung in Lebensmittel, sei es als veganer Wurstaufstrich, sei es als Milchshake oder Shot«, erläutert Dr. Ulrike Schmid-Staiger, Gruppenleiterin am Fraunhofer IGB. Herausfordernd ist unter anderem der hohe Strombedarf, da die Algen künstlich beleuchtet werden müssen – das Sonnenlicht allein reicht nicht aus.  Auch die grüne Farbe ist bei Nahrungsmitteln weniger erwünscht, das Forscherteam entwickelt daher Verfahren, über die sich das farbgebende Chlorophyll entfernen lässt. Im Dezember 2023 endet das Projekt, dann soll ein gesundes, neues Algenlebensmittel entwickelt sein. 

Leitprojekt »FutureProteins«

Frucht-Smoothies zum Knabbern

Zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel landen Jahr für Jahr in Deutschland im Müll – viele nur deshalb, weil sie in Form oder Farbe nicht der Norm entsprechen. Dabei schmecken krumme Gurken, divers geformte Äpfel und Tomaten ebenso gut wie ihre Ebenbilder im Standardmaß.  »Wir brauchen zwingend neue Geschäftsmodelle und alternative Verwertungswege – um Verschwendung einzugrenzen und den Lebensmitteln wieder ihren Wert zu geben, den sie verdienen «, ist Prof. Büttner überzeugt.  Forscherinnen und Forscher am Fraunhofer IVV arbeiten daher gemeinsam mit dem Berliner Start-up Sprk GmbH daran, krumme Lebensmittel für hochwertige Produkte zu verwenden. Die Basis bildet die Mikrowellenvakuumbehandlung von Obst – ein Verfahren, das am Fraunhofer IVV entwickelt wurde. »Anders als bei der Gefriertrocknung, bei der meist langweilige, weiche Produkte herauskommen, erhalten wir ein knuspriges Produkt, das ähnlich wie Kartoffelchips als Snack verzehrt werden kann«, erläutert Prof. Peter Eisner, stellvertretender Leiter des Fraunhofer IVV.

Während üblicherweise 80 Prozent der Kosten im Rohstoff liegen und mit 10 bis 20 Euro pro Kilo zu Buche schlagen, sinken diese gegen null, wenn man ein Nebenprodukt als Grundlage nimmt.  »Indem wir auf Lebensmittel setzen, die ansonsten weggeworfen würden, sinken nicht nur die Kosten, sondern es steigt gleichzeitig die Nachhaltigkeit und Wertschöpfung – bei einem tollen Aroma und Knuspereffekt «, verspricht Eisner. Da diese Früchte jedoch auch mal eine braune Stelle haben können oder bei Erdbeeren eine unreife weiße, bringen die Forschenden die verschiedenen Früchte in zerkleinerter Form zusammen und produzieren gewissermaßen einen gepufften Smoothie zum Knabbern. Durch die schonende Verarbeitung bleiben die Vitamine zu 50 bis 80 Prozent erhalten, Proteine und Mineralien sogar zu 100 Prozent. Auch könnte Presskuchen aus der Saftgewinnung verwendet werden, etwa von Ananas – der aufgrund des hohen Ballaststoffanteils ernährungsphysiologisch sehr wertvoll ist – und mit Minze und Ingwer oder Mango und Paprika verfeinert werden.

Anfang 2023 sollen die gesunden Snacks aus »krummen Dingern« auf den Markt kommen.  Lebensmittelverluste vermeiden wollen die Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IVV auch im Projekt »SHIELD – Sichere heimische (Bio-)Lebensmittel durch sensorische Detektionsverfahren«. So sollen es sensorische Methoden erleichtern, insbesondere bei schnell verderblichen Biowaren Qualitätsprognosen zu erstellen und Logistikketten zu optimieren – und damit die tatsächlichen Wünsche der Lebensmittelindustrie und der Verbraucher zu erfüllen. »So wie wir Menschen mehrere Sinne haben, verlassen wir uns auch beim technologischen Ansatz nicht auf einen einzelnen Kanal, sondern kombinieren Sensortechnologien, optische Methoden und intelligente Algorithmen«, sagt Büttner. »Das Ergebnis sind Handgeräte und smarte Software, die auch in kleinen Betrieben einsetzbar sind. Zusätzlich wollen wir Methoden etablieren, mit denen sich die Authentizität sowohl von Rohstoffen als auch von produzierten Lebensmitteln nachweisen lässt«, erläutert Dr. Susann Vierbauch, die das interdisziplinäre Konsortialprojekt koordiniert. 

Projekt »SHIELD – Sichere heimische (Bio-)Lebensmittel durch sensorische Detektionsverfahren«

Wie verändern neue Lebensmittel unseren Geschmackssinn?

Veganes Ei und Fisch aus der Petri-Schale, Erbsenkäse und Algenbier: Der Umbruch in der Ernährung ist nicht zu übersehen. Doch wie wird sie schmecken, die Zukunft? »Die Zukunft schmeckt sehr viel regionaler«, antwortet Büttner, »wir werden viele Dinge aus heimischer Produktion neu erfinden, neu wertschöpfen müssen, um lange Transportketten mit CO2-Emissionen zu vermeiden. Und wir werden ganz viel Altes im großen Maßstab wiederentdecken. « Die Fraunhofer-Institutsleiterin erinnert an die Renaissance von Verarbeitungs- und Veredelungstechniken wie der Fermentation. »Was wir heute essen, ist ein Produkt des Zufalls. In Krisenzeiten aßen Leute Dinge, die eigentlich vergammelt waren – und sie merkten: Das schmeckt besser und ist nährender als die gewohnte Nahrung.« So seien, erzählt Büttner, Brot, Milchprodukte und gereifte Wurstwaren, Essig und alkoholische Getränke entstanden. »Diesen Prozess führen wir fort und entwickeln ihn weiter, vor allem im Hinblick auf pflanzliche Rohstoffe. So entstehen neue Texturien und neue Lebensmittel, die unser Verbraucherverhalten und unseren Geschmack der Zukunft prägen werden.« Nutzen lässt sich Fermentation nicht nur, um gewohnte Lebensmittel mit neuen Ausgangsstoffen zu imitieren, sondern auch, um gänzlich neue Geschmackseindrücke zu entwickeln. Eine spannende Frage in diesem Zusammenhang: Wie lässt sich die Neugier der Konsumenten wecken, sodass sie neuartige Lebensmittel ausprobieren, die ihnen vielleicht besser schmecken und obendrein Klima, Tiere und Gesundheit schonen? Denn: Was uns schmeckt, ist keinesfalls festgezurrt und unabänderlich. »Was gemocht wird, ist in einem ständigen Fluss«, weiß Prof. Jessica Freiherr, Gruppenleiterin am Fraunhofer IVV.

            »Je häufiger wir Dinge essen, desto besser schmecken sie uns.«

So zeigte eine Studie: Wurde Babys der anfangs weitgehend verschmähte Brokkolibrei immer wieder angeboten – und zwar ohne Druck, sondern liebevoll und in angenehmem Umfeld –, war er nach acht Tagen ebenso beliebt wie Karottenbrei. Inwieweit die Vertrautheit mit bestimmten Lebensmitteln deren Akzeptanz auch bei Erwachsenen steigert, untersuchen die Forscherinnen und Forscher derzeit am Institut. Eines der Ergebnisse: Tranken Erwachsene über sieben Tage spezielle Milchshakes mit ungewohntem Geschmack, stieg auch bei ihnen die Beliebtheit des Getränks.  

Vielfalt ganz ohne Ei

 

 

85 % der Testesser konnten nicht erkennen, welches Produkt auf veganem Ei und welches auf Hühnerei basierte.

 


100 % der Testpersonen schmeckte die vegane Quiche besser: saftiger – und angenehmer im Geruch.

Kann also ein Ei, das gänzlich von Menschenhand entwickelt wurde, tatsächlich schmecken? Dies untersuchten García-Arteaga und Fürtauer in ersten Blindverkostungen mit etwa hundert Testpersonen, die BettrEgg in Form von Muffins und Quiche sowie herkömmliche, mit Hühnerei hergestellte Varianten probierten. Das Ergebnis: 85 Prozent der Testesser konnten nicht erkennen, welches Produkt auf veganem Ei und welches auf Hühnerei basierte. Bei der Quiche schmeckte 100 Prozent der Testpersonen die vegane Version besser. Sie empfanden sie als saftiger und angenehmer vom Geruch. Zumindest in Bezug auf das vegane Ei scheint unser Geschmackssinn also schon bereit zu sein für die Zukunft – auch wenn sich das Ei bislang noch nicht österlich färben lässt.

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