Energiesparen im Schienenverkehr

In nur drei Sekunden Hunderttausende Euro sparen

U-Bahnstation Schweinau mit einfahrendem Zug, Nürnberg, Mittelfranken, Bayern, Deutschland
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Der U-Bahnhof Schweinau wurde als 25. im Nürnberger U-Bahn-Netz 1984 eröffnet.

Der Schienenverkehr ist der größte Stromverbraucher in Deutschland. In Nürnberg arbeiten Wissenschaftler daran, Züge energiesparender fahren zu lassen.

Es kommt auf die Sekunde an in Nürnberg, genauer gesagt: auf maximal drei Sekunden. Um diesen winzigen Zeitraum müssten sich die Fahrzeiten der U-Bahnen in der fränkischen Großstadt zwischen zwei Stationen verlängern, damit sie deutlich energie- und kostengünstiger unterwegs sind.

»Verschiebungen, die der Fahrgast nicht bemerkt, haben einen signifikanten Einfluss auf den Stromverbrauch«, sagt Dr. Andreas Bärmann. Der Mathematiker leitet das Projekt »Fahrassistenzsysteme im Schienenverkehr« am ADA Lovelace Center for Analytics, Data and Applications in Nürnberg.

Das Zentrum ist eine Gemeinschaftseinrichtung des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg FAU und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Offiziell eröffnet wurde das Kompetenzzentrum für Datenanalyse und KI in der Industrieim Dezember 2019, die Arbeit aufgenommen hat es bereits im Jahr zuvor. Im Auftrag der Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg (VAG) untersucht Bärmann, der als Postdoktorand an der FAU forscht, gemeinsam mit seinen beiden Mitarbeitern Patrick Gemander und Lukas Hager, wie sich der Betrieb der U-Bahn energieeffizienter organisieren lässt.

An- und Abfahrten synchronisieren

Die Antriebsenergie sei ein bedeutender Kostenfaktor bei einem Schienenverkehrsunternehmen, erklärt Bärmann die Motivation des Unternehmens. Um Strom und damit auch Geld zu sparen, haben die ADA-Experten verschiedene Faktoren in ihre Berechnungen einbezogen. Ein Ansatzpunkt ist es, den Fahrplan zu optimieren. Gelingt es, die Zahl gleichzeitiger Abfahrten zu reduzieren, senkt das die Spitzenlast im Bahnstromnetz. Diese Lastspitzen haben maßgeblichen Einfluss auf die Höhe des Strompreises, den das Unternehmen bezahlen muss.

Ein weiteres Ziel ist es, die An- und Abfahrten der Züge besser aufeinander abzustimmen. Eine U-Bahn, die bremst, erzeugt dabei Strom, der wieder ins System eingespeist wird. Diese zurückgewonnene Energie kann ein anderer Zug zum Beschleunigen nutzen – allerdings nur, wenn die Abfahrt zeitgleich zum Bremsvorgang erfolgt. »Ansonsten bleibt die Energie ungenutzt«, sagt Bärmann.

Und noch ein dritter Faktor beeinflusst den Energieverbrauch: die Fahrweise der Züge. Beschleunigen sie stets bis zur Höchstgeschwindigkeit und bremsen erst bei der Einfahrt in die Station? Oder fahren sie mit leicht reduziertem Tempo und rollen über eine längere Strecke hinweg aus? Unter Ausnutzung aller Möglichkeiten und unter optimalen Bedingungen ließen sich bei der Nürnberger VAG bis zu zehn Prozent der verbrauchten Energie sparen, haben die Forscher vom ADA Lovelace Center errechnet. Für das Unternehmen bedeutet das bis zu 500 000 Euro geringere Stromkosten im Jahr. Für die Fahrgäste würde sich spürbar nichts ändern, sagt Bärmann. Im Fahrplan käme es durch die geringfügig verlängerten Fahrtzeiten zu Verschiebungen um lediglich plus oder minus 15 Sekunden.

Wie gewaltig das Einsparpotenzial im Schienenverkehr durch die Optimierung der Fahrpläne ist, haben die ADA-Experten in einem früheren Projekt errechnet. Dazu muss man wissen: Der Zugverkehr ist der größte Stromkonsument in Deutschland. Elf Milliarden Kilowattstunden, so viel wie die Stadt Berlin, verbrauchen Personen- und Güterzüge im Jahr. Bei der Deutschen Bahn, so das Ergebnis einer ADA-Lovelace-Studie, ließe sich im Personenverkehr allein durch die Optimierung der Fahrpläne die Spitzenlast im Bahnstromnetz um 38 Megawatt im Jahr reduzieren. Der Konzern müsste so fünf Millionen Euro jährlich weniger für Energie ausgeben – bares Geld und gut für die Umwelt.

Zwei Jahre arbeiten die Forscher schon an der Aufgabe

Doch einen Fahrplan möglichst energieeffizient zu gestalten, ist eine gewaltige Aufgabe, wie Andreas Bärmann an einem Beispiel erklärt. Bereits bei vier Zügen mit jeweils drei Haltepunkten und sieben wählbaren Zeiten je Abfahrt gibt es 14 Milliarden mögliche Fahrpläne. Dank Bärmanns Fachgebiet, der mathematischen Optimierung, lässt sich die extrem große Zahl der theoretischen Möglichkeiten auf die tatsächlich sinnvollen reduzieren. Dazu, so erläutert Bärmann, sei es allerdings notwendig gewesen, einen speziellen Algorithmus zu programmieren. Zwei Jahre arbeiteten die Nürnberger Forscher daran, diese Aufgabe zu lösen.

In einem nächsten Schritt wollen das Team um Bärmann und das Verkehrsunternehmen VAG den Einsatzbereich des Modells erweitern. Dazu sollen Algorithmen für Fahrerassistenzsysteme entwickelt werden, um die Zugfahrten in Echtzeit zu steuern. »Wir brauchen KI-Methoden, die in der Lage sind, auf Störungen zu reagieren«, beschreibt Bärmann die Herausforderung. Nur dann ließen sich auch im täglichen Betrieb die Einsparpotenziale verwirklichen. In Nürnberg, wo bereits computergesteuerte, fahrerlose U-Bahnen im Einsatz sind, sieht er dazu die besten Möglichkeiten.

Die am ADA Lovelace Center entwickelten Algorithmen ließen sich auch in anderen Bereichen nutzen, sagt Prof. Alexander Martin, Institutsleiter des Fraunhofer IIS und Chef des ADA Lovelace Center. »Viele Unternehmen wissen oft nicht, welche Daten bei ihnen in welcher Qualität und Menge vorliegen, welche Daten sie für die Lösung einer spezifischen Frage bräuchten, oder umgekehrt: welche Anwendungen sie mit ihren Daten überhaupt optimieren können.« Dabei könne sie die Forschung am ADA Lovelace Center unterstützen.

Eine mögliche Anwendung sieht er im Platooning von Lastwagen. Dabei fahren vernetzte Lkw in einem Konvoi und werden vom ersten Fahrzeug aus funkgesteuert – wie ein Zug auf der Straße. Aber auch Produktionsverfahren oder der energiesparende Einsatz von Maschinen ließen sich mithilfe von KI verbessern.

Das sei das Besondere am ADA Lovelace Center, sagt Prof. Martin: »Wir entwickeln die Kompetenzen, Methoden und Verfahren am Beispiel der Anwendungen weiter. Das heißt, wir arbeiten an Use Cases, die aus der industriellen Praxis kommen.«