Interview Gerd Unkelbach

»Tue Gutes — und verdiene Geld damit!«

Gerd Unkelbach
© Norman Konrad
Gerd Unkelbach

Vom Chemielaboranten zum Bioökonom: Diplomchemiker Gerd Unkelbach leitet das Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP. Chemie ist für den 40-Jährigen nicht das Problem — sie ist die Chance, die Probleme zu lösen.

»Chemie« hören wir in der öffentlichen Diskussion heute häufig als zusammengesetztes Wort: »Chemiebelastung«. Herr Unkelbach, sind Sie eine Gefahr für unsere Welt?

Unkelbach: Ohne chemische Stoffwandlungsprozesse gäbe es das Leben nicht, das wir heute führen. 98 Prozent unserer Produkte des alltäglichen Gebrauchs sind einmal durch einen chemischen Umwandlungsprozess gelaufen. Ohne Chemie gibt es nichts – zugegeben, auch ein paar Gefahren gäbe es weniger. Aber eben auch das sehr, sehr viele Gute.

Ich sehe schon: Sie glauben an den Nutzen für die Menschheit, nicht an eine Gefahr für die Welt.

Ganz besonders, wenn man auf Themen wie nachwachsende Rohstoffe zurückgreifen kann, wie bei uns im Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP. Wobei: Man kann auch mit nachhaltigen Produktionsprozessen sehr viel Unheil anrichten und trotzdem ein grünes Label draufkleben. Deswegen gehört für mich bei der Verfahrensentwicklung immer der Gedanke dazu: Ist es wirklich ökologisch? Und: Ist der Prozess sicher?

Was beurteilen Sie als vordergründig ökologisch?

Jeder, den es in die Natur zieht, will heute wasserabweisende Funktionskleidung tragen. Für die Oberflächenbehandlung werden perflorierte Chemikalien genutzt – superschlecht fürs Ozonloch, sobald sie in die Umwelt gelangen. Solche wasserabweisenden Eigenschaften kann ich aber auch mittels Biokatalyse herstellen. Das sind auch Arbeiten, die gerade bei uns im Hause laufen. Unser Ziel ist also, immer mehr gefährliche Stoffe gegen ungefährliche auszutauschen und harsche Reaktionsbedingungen durch Katalyseprozesse, chemisch oder biotechnologisch, die weniger Energie verbrauchen, zu ersetzen.

Sie verstehen die chemische Industrie nicht als Problem, sondern sehr viel eher als die Lösung.

Unseren Lebensstandard – und letztlich auch unsere Möglichkeiten, die Probleme der Menschheit zu lösen! –, hätten wir ohne Chemie niemals erreichen können.

Und schon wieder sind wir beim Thema Nachhaltigkeit. Wird Nachhaltigkeit heißen müssen, dass wir verzichten, uns in Zukunft beschränken und weniger Geld verdienen?

An dem Punkt bin ich durchaus extremerer Meinung: Wenn wir mit dem, was wir machen, kein Geld verdienen können, werden wir es niemals in die industrielle Umsetzung überführen können. Damit hat es überhaupt keine Zugkraft. Wenn irgendwo sehr viel Idealismus drinsteckt, dann ist das meistens ein Projekt, das einzigartig ist, das man nicht skalieren kann – und wo letztlich nur irgendein Multimillionär viel Geld ausgibt, um sein Gewissen zu beruhigen. Wenn aber etwas laufen soll ohne politischen Support – und damit letztlich auch, ohne am Tropf von Politikern zu hängen –, dann muss das schnell alleine lebensfähig sein. Natürlich brauchen wir Risikominimierungsgelder, um Dinge anzuschieben. Aber das eigentliche Geschäftsmodell muss alleine tragfähig sein – und Geld verdienen.

So ist die chemische Industrie ja auch zu einem nicht ganz kleinen Arbeitgeber geworden…

… mit 460 000 Arbeitsplätzen in unserem Land. Deutschland ist der größte Chemieproduzent in Europa. Der volkswirtschaftliche Mehrwert gerade der deutschen Chemie ist riesengroß. Chemie ist für unser Land ähnlich wichtig wie das Automobil, auch wenn man darüber weniger spricht. Nur: Das wollen die meisten Leute nicht wahrhaben. Der Endkunde fährt mit dem Auto, der stellt sich aber nicht die Frage, wo das Polyamid herkommt oder das Polyurethan fürs Armaturenbrett.

Was beschäftigt Sie aktuell am meisten?

Mein persönliches Steckenpferd ist der nachwachsende Rohstoff Lignin. Diesen Stoff, der die Zellulosefaser umrundet und vor bakteriellem Abbau schützt, finden wir im Holz oder im Stroh, eigentlich in allen verholzenden Pflanzen. Lignin ist der Klebstoff, der es ermöglicht, dass der Baum nach oben wächst, damit seine Blätter genügend Sonne einfangen können. Das Lignin wird aber von jeder Pflanze individuell aufgebaut. Das bringt die Chemie an ihre Grenzen, wenn sie das Molekül nutzen will. Diese Schwierigkeit in den Griff zu bekommen und auf eine Basis zu stellen, mit der sich neue Produkte herstellen lassen, das ist für mich wirklich spannend. Irgendjemand hat mal gestöhnt, man könne alles aus Lignin machen, außer Geld. Und das ist natürlich der Anreiz für mich, genau dieses Problem zu lösen und auch hochindividuelles Lignin in die Industrie zu bringen – zum Geldverdienen.

Ihr Institut arbeitet ja sehr intensiv an nachwachsenden Rohstoffen. Wo sehen Sie da die größte Perspektive?

Wir wollen Produkte entwickeln, die existierende fossil basierte Produkte ersetzen. Oder, und das ist die eigentliche Kunst, Produkte, die bessere Eigenschaften haben als fossil basierte. Nehmen Sie zum Beispiel eine Kunststofffolie, die nicht nur biobasiert und bioabbaubar ist, sondern auch noch reißfester als die erdölbasierte.

Sie schaffen die Möglichkeit zum Geldverdienen, indem Sie geringeren Schaden für die Umwelt mit mehr Nutzen für den Verbraucher verbinden?

Ja. Wenn ein Produkt mehr bietet, dann ist es dem Endverbraucher auch mehr Geld wert. Dann kommt es zuerst in den hochpreisigen Markt, später in den Massenmarkt. Und damit kann man dann wirklich etwas bewegen – auch für die Umwelt.

Wenn Sie junge Menschen für Chemie begeistern wollen, wie erreichen Sie das?

Die Botschaft ist wirklich ganz einfach: Mit Chemie kann man Gutes tun – und damit auch noch Geld verdienen.