Flüssigkristalle als Schmierstoffe

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Kleine Antriebe können Dank einer neuen Schmierstoffklasse nun nahezu ohne Reibung laufen. Möglich machen das Flüssigkristalle, die die Reibung und den Verschleiß stark verringern.

© Dirk Mahler/Fraunhofer
Den Wissenschaftspreis des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft erhalten Dr. Holger Kretzschmann (Nematel), Werner Stehr und Susanne Beyer-Faiß (Dr. Tillwich GmbH), Dr. Andreas Kailer und Dr. Tobias Amann (Fraunhofer IWM) (v.l.n.r.).

Schmierstoffe sind fast überall im Einsatz – in Motoren, Produktionsmaschinen, Getrieben, Ventilen. Obwohl sie in nahezu allen Maschinen für einen ruhigen Lauf sorgen, gab es auf diesem Gebiet in den vergangenen beiden Jahrzehnten keine grundlegenden Innovationen. Das Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM in Freiburg hat mit einem Konsortium jetzt eine völlig neue Substanzklasse entwickelt, die für einen Durchbruch sorgen könnte: Flüssigkristallbasierte Schmierstoffe. Ihre Besonderheit: Sie sind zwar flüssig, zeigen aber auch richtungsabhängige physikalische Eigenschaften wie ein Kristall. Werden zwei Oberflächen gegeneinander bewegt, richten sich die dazwischen befindlichen Flüssigkristall-Moleküle so aus, dass der Reibungswiderstand extrem gering ist. So ermöglichen Flüssigkristalle ein nahezu reibungsloses Gleiten.

Flüssigkristalle sind eher durch ihren Einsatz in LCD-Bildschirmen von Fernsehern, Handys oder Touchscreens bekannt. Die ungewöhnliche Idee, sie als Schmierstoff zu verwenden, hatte die Nematel GmbH. Das Unternehmen wandte sich damit an das Fraunhofer IWM. Dort setzte Dr. Tobias Amann die Flüssigkristalle als Schmierstoff zwischen zwei Werkstücken aus Metall ein. »Schon bei den ersten Proben haben wir überraschenderweise extrem niedrige Reibungskoeffizienten gemessen«, erinnert sich Amann.

Stäbchenförmige Moleküle bilden flüssige Kristallstruktur

Als Schmierstoff eignen sich diejenigen Flüssigkristalle, die aus stäbchenförmigen Molekülen bestehen, fanden die Wissenschaftler am IWM heraus. »Gibt man den Flüssigkristall als Schmierstoff zwischen zwei Oberflächen, die sich gegenläufig bewegen, richten sich die Stäbchen parallel zueinander in Schichten auf«, erklärt Dr. Andreas Kailer, stellvertretender Leiter des Geschäftsfelds Tribologie am IWM. Diese Schichten sind in sich sehr stabil, lassen sich aber leicht gegeneinander verschieben. Das reduziert die Reibung und den Verschleiß auf ein Minimum.

Um aus den Flüssigkristallen einen praxistauglichen Schmierstoff zu entwickeln, fehlte allerdings noch viel. Daher startete das IWM 2010 gemeinsam mit der Nematel GmbH und den Schmierstoffexperten der Dr. Tillwich GmbH ein Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Susanne Beyer-Faiß, Schmierstoffentwicklerin bei Tillwich, verbesserte mit Hilfe von Additiven die Stabilität der Flüssigkristalle-Schmierstoffe. Gleichzeitig baute ihr Kollege Werner Stehr einen speziellen Prüfstand, auf dem er die extrem geringen Reibungswerte mit Lasertechnik berührungslos messen konnte. Tobias Amann entschlüsselte die Mechanismen, die zu den ultraniedrigen Reibwerten führen und fand heraus, wie die neuen Schmierstoffe gezielt weiter optimiert werden konnten. Außerdem untersuchte er die chemischen Mechanismen im Reibkontakt und die Auswirkung von Mischungen unterschiedlicher Flüssigkristallmoleküle.

Am Ende des Projekts hatten die Partner den Prototyp eines flüssigkristallinen Schmierstoffs in der Hand, der seine beste Wirkung in Gleitlagern aus Eisen zeigt. Für diese Pionierleistung erhalten Dr. Tobias Amann, Dr. Andreas Kailer, Susanne Beyer-Faiß, Werner Stehr und Dr. Holger Kretzschmann den Wissenschaftspreis des Stifterverbands, der alle zwei Jahre für exzellente Verbundprojekte der angewandten Forschung vergeben wird.

Zurzeit entwickelt das Team gemeinsam mit weiteren Industriepartnern innovative, mit Flüssigkristallen geschmierte Gleitlager für Elektrokleinmotoren in Autos, wie sie zum Beispiel in Lichtmaschinen oder zum Antrieb von Scheibenwischern zum Einsatz kommen.