Alumni-Spotlight: Reinhart Poprawe

Prof. Dr. rer. nat. Reinhart Poprawe, geboren 1954, leitet seit 23 Jahren das Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT und ist Mitinitiator des Campus der RWTH Aachen University, wo er das Cluster »Photonik« leitet. In dieser Zeit ist das Institut mit den assoziierten Lehrstühlen zu einem bedeutenden Laserstandort in Deutschland herangewachsen. Poprawe hat sich stets weiterentwickelt und erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen. 2019 wird er in den Ruhestand gehen. Er hinterlässt seinen Nachfolgern eine stabile Basis für die Zukunft und eine Kultur der Offenheit.

»Es ist immer Gründerzeit« - Reinhart Poprawe im Gespräch

von Athanassios Kaliudis

© Fraunhofer, Nell Jones

Reinhart Poprawe ist der Doyen der deutschen Laserei. Demnächst geht der Leiter des Aachener Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik ILT in den Ruhestand. Hier spricht er darüber, wer er ist und was von ihm bleibt, wenn er geht.

Herr Poprawe, warum sind Sie Physiker?
Ich komme aus einer Bankiersfamilie, merkte aber schon früh, dass die Perspektive, Finanzsysteme zum Ziel des Geldverdienens zu kultivieren, nichts für mich ist. Da fehlte mir die persönliche Kreativität. Das Machen und Kreieren hingegen hat mir schon als Kind Spaß gemacht. So mussten zum Beispiel Lautsprecher dran glauben, aus denen ich einen noch besseren Klang rausholen wollte. Oder Seifenkisten, an denen ich getüftelt habe, weil sie noch schneller den Berg hinunterfliegen sollten. Und natürlich meine Märklin Eisenbahn. Das Anpacken und wissen wollen, wie etwas funktioniert – das war immer schon meins…

Können Sie das an einem konkreten Erlebnis festmachen?
Mit 12 oder 13 Jahren stand in meinem Zimmer ein Globus. Ich hatte schon ein bisschen über Welt- und Landkarten gelernt, wusste, dass alles abgemessen war und einen Namen hatte. Aber außerhalb dieses runden Globus, für das Universum gab es keine Landkarte. Ich blickte in den Nachthimmel und fragte mich: »Wohin geht es da oben eigentlich?« Keiner konnte mir das beantworten. Ich wollte es aber trotzdem wissen.

Und sehen Sie sich heute als Forscher?
Unbedingt! Der Forscher macht aber nur ein Fünftel meiner Persönlichkeit aus. Die hat fünf Anteile. Nur alle zusammen ergeben den Menschen, der ich bin.

Was sind denn das für Anteile?
Zunächst ist da der Mensch, der alles wissen will. Und wenn ihm keiner sagen kann, wohin es geht, will er es eben selber herausfinden. Das ist der Forscher in mir, würde ich sagen. Der zweite Teil ist der Familienmensch, der für die Keimzelle von allem, die Familie, alles geben will. Für meine Frau, meine Kinder und so weiter. Und dann, dann bin ich noch ein Mann mit klassischen männlichen Attributen. So ein Alexis-Sorbas-Typ, einer, der sich durchsetzt. Ich sage dann: »Geh mir aus dem Weg! Ich geh da jetzt lang, egal was du denkst.« Dieser Mann, der ist wie ein Stier – das spricht mich total an, etwas durchziehen. Aber auch das ist nur ein Fünftel.

Fehlen noch der vierte und der fünfte Poprawe …
Der vierte ist der, der nach Harmonie und Schönheit sucht, der Feiler, der Literat, der Künstler von mir aus. Ich male gerne und schreibe gerne, zum Beispiel Sonetten. Ich habe eine hohe Zuneigung zu solchen Ausdrucksformen. Und der letzte Anteil ist der Philosoph. Die Gedanken von Hegel haben mich geprägt: Vermeintliche Gegensätze lösen sich in einer Synthese auf. Den wichtigsten Einfluss auf mich aber hatte wohl Immanuel Kant: »Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.« Ich habe mit Kant einen festen Glauben an eine innere, ordnungsgebende Struktur, an den Imperativ, der aus der Natur des Menschen kommt.

Jetzt haben wir Sie aber ziemlich schnell kennengelernt! Wirkt sich Ihre Fünfheit eigentlich auch auf die Arbeit am Institut aus?
Das Bewusstsein davon, ja. Für mich ist die Ganzheitlichkeit des Menschen ein wichtiger Punkt für dessen Entfaltung. Das gilt ebenso für mein Team als auch für die Prozesse. Wir arbeiten in interdisziplinären Teams zusammen und ich verlange von meinen Mitarbeitern, dass sie einerseits die eigenen Neigungen erkennen und gleichzeitig auch ein Bewusstsein für die Stärken anderer Disziplinen entwickeln. Es geht darum, die gesunde Balance zu verstehen und die Vielfalt zu akzeptieren. Die Gleichbewertung der Disziplinen ist mir sehr wichtig. Das gehört hier, in den vier Wänden des Instituts, zum Verständnis des Umgangs miteinander. Wir haben eine Kultur der Offenheit.

Woran zeigt sich diese Kultur der Offenheit?
Zum Beispiel an der Offenheit für neue Ideen. Die ist immens wichtig, damit aus Ideen Großes entstehen kann - Innovationen zum Beispiel. Das ILT lebt davon, dass unsere Mitarbeiter tausende Ideen haben. Viele entstehen durch Probieren – auch das ist ausdrücklich erwünscht. Einige dieser Ideen erwecken wir dann zum Leben.

Wie werden Ideen lebendig?
Ob sie lebendig werden können oder nicht, weiß man nicht von Anfang an - Das entwickelt sich. Manche verschwinden sogar für eine Zeit und kommen zu einem späteren Zeitpunkt zurück. Das permanente Einschätzen der Ideen ist dabei wichtig. Und eben die Offenheit, anstatt einer frühzeitigen Fokussierung. Eigentlich bin ich ein großer Fan von Fokus und Askese - das könnte sogar mein zweiter Vorname sein. Aber bei der Ideen-Findung ergibt das überhaupt keinen Sinn, erst später im Prozess. Am Ende einer Idee sollte auch etwas rauskommen: Unsere Forscher im Institut haben in den letzten 30 Jahren mehr als 40 Unternehmen gegründet. Die haben bis auf ein bis zwei Ausnahmen alle Bestand! Wenn jemand zu mir kam und fragte »Könnte man da nicht ein Produkt draus machen?«, dann sagte ich immer: »Es ist immer Gründerzeit, gründen Sie doch ein Unternehmen, dann wissen Sie es.« Wenn eine Sache Nutzen für die Gesellschaft hat, ist sie auch bereit, dafür zu zahlen. 

Sie gelten ja als Vater des 3D-Drucks…
Präziser, bitte! Den 3D-Druck gab es schon 1996, als ich zum Institut kam. Damals allerdings noch in Form eines Plastikdruckers und metallischem Sintern. Die Eigenschaften des Werkstoffs waren weit entfernt von dem, was möglich sein sollte. Ich war ehrlichgesagt kein großer Fan von Kunststoffen, was wahrscheinlich an meiner zehnjährigen Tätigkeit bei Thyssen lag. Ich wollte Metall in Reinkultur drucken. Die Voraussetzungen waren am Institut bereits vorhanden und dann haben wir das auch gemacht.
Unser erstes Ziel: Dichte eins zu erlangen. Das hat fünf Jahre gedauert. Als wir das geschafft hatten, wusste die Welt noch sehr wenig darüber, was 3D-Druck überhaupt bedeutet. Und wir hatten noch nicht mal eine dokumentierbare, nutzbare Idee.
Es dauerte dann zehn weitere Jahre, bis wir mit klassischen Verfahren vergleichbare Zugfestigkeiten und Biegewechsel-Beständigkeiten hatten. Das war die Grundlage, um überhaupt ernst genommen zu werden. Und jetzt, über 20 Jahre später, schmelzen wir Material, wie ein Stahlwerk. Mit 100 Prozent Dichte. Nur eben im Maßstab 1:1.000 Kubikmikrometer. Das ILT hält die Patente zum vollständigen Schmelzen von Metallen und vor mir liegt das weltweit erste Serienbauteil der Automobilindustrie, das wir mit Metall drucken können. Ein echter Meilenstein, den BMW aus der Zusammenarbeit mit uns hingelegt habt. Es handelt sich um eine Hebelübertragung des Verdecks des Sportwagens BMW i8, einem Cabrio. Das ist ein Sichtteil.

Was ist der Vorteil bei dieser Art der Produktion?
Man kann von diesen Scharnieren bis zu 100.000 Stück im Jahr kostengünstiger produzieren als mit anderen Verfahren, zum Beispiel dem Spritzen. Wir sprechen von der sogenannten »individuellen Serienfertigung«. Das erste produzierte Teil hat denselben Preis, wie das tausendste – in Unabhängigkeit der Gesamtstückzahl. Das ist ein wesentliches Merkmal aller Laserverfahren.
Ein weiterer großer Vorteil: Wir arbeiten mit Pulver, anstatt mit Halbzeugen. Das bedeutet, dass die Entwicklungszeiten für diese Produkte immer geringer werden. Es macht uns keine Sorgen, dass von uns schrumpfende Entwicklungszyklen erwartet werden. Heute sind wir schließlich auch hundertmal schneller als früher.

Schneller ja, aber leidet darunter nicht das Produkt?
Im Gegenteil. Schauen wir uns zum Beispiel das Design an: Komplexität kostet uns nichts. Es ist völlig egal, wie kompliziert das Bauteil ist, weil es Schicht für Schicht gedruckt wird. Wir gelangen jetzt vom Design per Knopfdruck in das Produkt. Deswegen nennen wir es ja auch 3-D-Druck oder digitale photonische Produktion. Das ist ein breiter Anspruch mit den Eigenschaften der Industrie 4.0. Wir haben keine spezialisierten Werkzeuge und dadurch eine hohe Individualisierung. Das Feedback des Kunden können wir dann auch unmittelbar umsetzen.

Für welche Bereiche ist das besonders interessant?
Denken Sie mal an Nischenanwendungen der Medizintechnik. Zwar ist das noch Zukunftsmusik, aber wir forschen daran, Arterien, Organe oder Haut auszudrucken. Oder Keramiken für Schädelimplantate und Jochbeine. Alles natürlich individuell angepasst, an den Patienten. Nehmen wir zum Beispiel die Wirbelsäulenoperation der Zukunft: Vom CT könnten die Daten direkt zur Steuerung des Druckers übertragen werden. Die Datenkette wäre schnell geschlossen, wir würden direkt von der individuellen Realität das exakt passende Bauteil produzieren.

Technologie ist das Logos, das Wissen darum, wie etwas geht. Technik hingegen ist das Machen!

Unter Ihrer Leitung wuchs das Institut beträchtlich. War Ihnen Wachstum wichtig?
Zunächst einmal war mir Folgendes wichtig: Wir haben den Anspruch, es richtig zu machen. Das ist auch der Grund, warum das Institut so heißt, wie es heißt, nämlich nicht Institut für Lasertechnologie, sondern für Lasertechnik. Technologie ist das Logos, das Wissen darum, wie etwas geht. Technik hingegen ist das Machen! Diese Präzision ist unser Rückgrat.

Unser Zielkriterium war von Beginn an, zukunftsorientiert zu arbeiten und unsere Potentiale auszuschöpfen. Die Märkte und der Bedarf sind gewachsen, unser Wachstum kam dann ganz von alleine: Von 250 Mitarbeitenden im Jahr 1996 auf ganze 800 Kolleginnen und Kollegen.

Was ist Ihnen wichtig in Ihrer Rolle als Führungskraft?
Führung verstehe ich als Balance aus Fördern und Fordern. Es handelt sich dabei nicht ohne Grund um das gleiche Wort bis auf die zwei Punkte auf dem o. Zunächst einmal sollte ich als Chef daran arbeiten, dass meine Mitarbeiter Vertrauen zu mir haben. Dann ist es meine Aufgabe, Stärken zu stärken. Also gemeinsam mit dem Mitarbeiter herauszufinden: Was sind deren Stärken, wie setzen wir die um und warum machen wir das ganze eigentlich? Eine Vision und ein Ziel definieren.
Vor allem verlangt Führung aber Respekt vor dem Menschen im Mitarbeiter. Wenn Führung in Hierarchien denkt, also in wichtigeren und weniger wichtigeren Menschen, dann stimmt was nicht.

Sie sind nicht nur Institutsleiter, Sie lehren auch. Was wollen Sie ihren Studenten mitgeben?
Meine Studenten sollen vor allem lernen, selbst zu entscheiden, welche Werte sie wichtig finden und wie sie sich entfalten wollen. Ich möchte, dass sie sich »bilden«, in der Form, dass sie sich ein »Bild« von sich selbst machen und entscheiden, was zu ihrem Bild gehört, und was nicht. Ein zeitgenössischer Schweizer Philosoph, Peter Bieri, hat einmal gefragt: »Wie wäre es, gebildet zu sein?« Und da meinte er nicht die »Ausbildung«. So versuche ich es auch bei meinen Schülern. Ich versuche bei meinen Vorlesungen die Themen auf die Entfaltung der Person herunterzubrechen und dadurch eine Reflexion auszulösen. Das Ergebnis ist, dass die Studenten dann motivierter zuhören. Nicht selten bekommen sie die Aufgabe, mal eine Gewinn- und Verlustrechnung für ihr persönliches Leben zu erstellen. Oder eine Mindmap über Einflussfaktoren, bis zur Erreichung Ihrer Ziele, zum Beispiel dem Abschluss des Studiums.

Wie kommt das denn bei Ihren Studenten an?
Da lasse ich sie lieber selbst sprechen, denn sie sind mir extrem wichtig. Deswegen lasse ich mich auch schon immer von meinen Studenten bewerten. Das nenne ich »Prüf den Prof«, heute ist das ein Pflichtprozess in der gesamten Lehre an der Rheinisch Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH). Fast immer ist das Feedback gleich: Sie wollen, dass ich noch öfter den CO2-Laser tanzend erkläre. Der zeigt, wie die Kohlenstoff- und Sauerstoff-Moleküle schwingen. Die Herausforderung bei dem Tanz ist die Biege-Knick-Schwingung. Aber ernsthaft: Drei Lehrpreise der Fakultät Maschinenwesen zeigen, dass wir hier irgendetwas richtig machen.

Sehen Sie: In unserem Universum gibt es keine Energieform, die eine vergleichbare Qualität hat, wie die Laser-Photonen.

Welche Zukunft wird der Laser haben?
Sehen Sie: In unserem Universum gibt es keine Energieform, die eine vergleichbare Qualität hat, wie die Laser-Photonen. Das liegt an der Entropie, die ist nämlich gleich null. Laserlicht ist so schnell wie heute denkbar, Lichtgeschwindigkeit. Es ist fähig zu einer Flexibilität und Wandelbarkeit in andere Formen, die aus ganz grundlegenden physikalischen Gesetzen mit maximalem Wirkungsgrad möglich ist. Deshalb werden wir noch sehr viel Photonik auf dieser Welt sehen.

Und wie wird sich die Photonik in Zukunft entwickeln?
Das ist so, als hätte man jemanden im 18. Jahrhundert gefragt, wie sich die Elektrizität entwickeln werde. Niemand hätte es beantworten können. Mit dem Laser sind wir jetzt etwa da, wo sich Luigi Galvani Ende des 18. Jahrhunderts befand, als er einen Stromkreis geschaffen hatte und dies per Zufall an zuckenden Froschschenkeln erkannte. Oder, naja, vielleicht haben wir immerhin schon mal eine Glühbirne gebaut, die aufflackern kann.

Was, denken Sie, wird das nächste große Ding in der Photonik sein?
Ganz klar kommt die Quantentechnologie, die Forschung zu bisher nicht genutzten, vielleicht wichtigsten Eigenschaften von verschränkten Photonen. Aber auch die Silizium-Photonik. Das ist die Optik auf dem Computer-Chip. In unserem integrierten interdisziplinären Institut, dem sogenannten I3, arbeiten wir in ganz kleinem Maßstab daran. Wir projizieren unsere Laserexpertise auf neue Bereiche und setzen dadurch neue Impulse in der jeweiligen Disziplin.

Welche Rolle spielt Deutschland in der internationalen Laserei heute und in absehbarer Zukunft?
Die Entwicklung im Maschinenbau in Deutschland zeigt, dass wir extrem begeisterungsfähig für Technik sind. Unsere Kompetenzen in Präzision und Feinwerktechnik kam den ersten Lasergenerationen wie gerufen. Jetzt ändern sich die Fertigungstechniken, es gibt Halbleitersysteme und Diodenlaser. Aber auch das können wir mittlerweile gut. Die Mikroelektronik hat sich in Deutschland weiterentwickelt und jetzt sind wir global wettbewerbsfähig. In einigen Fällen sogar weltmarktführend.

Wird das so bleiben?
Nichts bleibt, wie es ist. Die Dinge verändern und bewegen sich immer. Es ist schwer vorherzusagen, in welche Richtung sie sich bewegen, aber ich habe die Hoffnung, dass das Institut maßgeblich an der Zukunft der Lasertechnologie mitstrickt. Voraussetzung ist, dass wir die richtigen Kräfte in der Gesellschaft frühzeitig erkennen und den Innovationsprozess vorantreiben. Dann wird es immer wieder neue Bereiche geben, bei denen wir mit weltweiten Innovationen aufwarten.

Unsere etablierten Verfahren hingegen, durchlaufen meist die Kaskade der Globalisierung - so wie das Telefax, das zwar in Deutschland erfunden wurde, aber in Japan seinen Durchbruch hatte.
Aber wann ist schon entscheidend, wo die Dinge ihren Ursprung fanden? Den Laser zum Beispiel, den haben wir Deutschen nicht erfunden. Und die Amerikaner ärgern sich vielleicht heute noch darüber, dass sie das ökonomische Potenzial nicht erkannten. Der Laser passte einfach besser in die deutsche Kultur der Feinwerktechnik. Deswegen hat es da gefunkt. Also: Augen offen halten wann das nächste Mal Funken überspringen. Dafür sind wir offen und bereit, Veränderungen immer wieder in die Zukunft zu führen.

Welche Idee steckt hinter dem I3?
Das I3, das integrierte interdisziplinäre Institut, basiert auf einer gemeinsamen Forschungsvision zwischen verschiedenen Professuren. Die Idee ist, neue Forschungsschwerpunkte und Forschungsfelder zu entwickeln. Hier sitzen zum Beispiel Elektrotechniker mit BWLern zusammen. Es wird über den Tellerrand geschaut: Was gibt es außerhalb der eigenen Disziplin? Wie erreiche ich noch mehr Nutzen für die Gesellschaft? Wir haben durch das I3 einen Raum mit effizienten Wegen geschaffen. Durch vermeintliche Kleinigkeiten, wie zum Beispiel eine gemeinsame Kantine, kann schon viel erreicht werden. Die Menschen begegnen sich und sprechen miteinander.

Sie haben ein starkes Netzwerk gebildet. Was geschieht damit, wenn sie bald im Ruhestand sind?
Die Knoten eines Netzwerks bilden natürlich Personen mit ihren individuellen bilateralen Vertrauensverhältnissen. Diese Vertrauensketten sind hilfreich und können Entscheidungsprozesse extrem effizient abkürzen. Denken Sie zum Beispiel an die Weiterempfehlung eines Mitarbeiters. Oder ein Ratschlag für einen geeigneten Prozess.
Meine Mitarbeiter des ILT habe ich bei der Netzwerkbildung, unmittelbar mitgenommen. Im physischen, sowie im übertragenen Sinn. Sie sind also auch ohne mich extrem gut vernetzt.
Ein guter Nachfolger führt das natürlich fort.

Mit welchem Gefühl gehen Sie?
Ich gehe sehr positiv gestimmt. Ich denke, dass ich gut loslassen kann. Wenn ich mein Prinzip als Leiter des Instituts als allgemeingültig erklären würde, verhindere ich damit nur, dass mein Nachfolger es besser macht als ich. Wie Leonardo da Vinci schon sagte: »Armer Schüler, der seinen Meister nicht überflügelt«. Meister sollten aber überflügelt werden, denn sonst geht es doch gar nicht weiter.

Und was bleibt von Ihnen?
Was bleibt, hängt maßgeblich von dem ab, was kommt. Mein Nachfolger wird seine eigenen Vorstellungen mitbringen. Ich hoffe jedoch, dass die Flexibilität und die offene Kultur, also dieser Aachener Geist, lebendig bleibt. Wenn die Mitarbeiter das einfach weitermachen – das wäre schön.

Was werden Sie machen in Ihrem Ruhestand?
Ich werde das Verhältnis meiner fünf Persönlichkeitsanteile in ihrem Beitrag zum Tagwerk verändern. Ich bin mir sicher, dass der Künstler und der Philosoph deutlich mehr Zeit finden. Dann kann ich endlich mein Halbwissen unterfüttern. Einige gute Freunde von mir studieren wieder. Ich könnte ja auch nochmal studieren. Philosophie zum Beispiel.

Welche drei Bücher sollte jeder mal gelesen haben?

Paul Watzlawick: Die Anleitung zum Unglücklichsein
Umberto Ecco: Der Name der Rose
Johann Wolfgang von Goethe: Faust

Alte Kunst oder zeitgenössische?
Früher alte, heute zeitgenössische.

Glauben Sie an Gott?
Nein, ich glaube nicht an Gott. Aber ich habe mir sagen lassen, das hat nichts damit zu tun, ob es einen Gott gibt.

Es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir aufgrund unserer beschränkten Sinne nicht erkennen können. Wir erkennen nur einen kleinen Ausschnitt, sind aber Teil von etwas sehr viel Größerem, davon bin ich überzeugt. Und wenn man dieses Größere personifizieren will, dann ist das eben Gott.

Theater – Haben Sie ein Lieblingsstück?
Den Faust natürlich. Und Shakespeares Sommernachtstraum und King Lear. (rezitiert mit donnernder Stimme) »Aus nichts kann nichts entstehen!«

Oha, spielen Sie eigentlich selbst Theater?
Jeden Tag. (Lächelt)

 

Tipp: Erfahren Sie mehr über Additive Fertigung im Portal des Fraunhofer-Alumni e.V.?  

 

Dieser Text ist ursprünglich im Trumpf-Magazin erschienen.