Interview Professor Tünnermann

»Deutschland ist in einer sehr guten Ausgangsposition«

Prof. Dr. Andreas Tünnermann
© Sven Döring

Prof. Dr. Andreas Tünnermann leitet das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF in Jena und ist einer der führenden Köpfe im Bereich der Quantentechnologien bei Fraunhofer.

Herr Tünnermann, erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit der Quantenwelt?

Das ist lange her. Bewusst war das in der 6. oder 7. Klasse, als ich eine Hausarbeit zum äußeren photoelektrischen Effekt abzugeben hatte. Dies ist eines der Schlüsselexperimente zur Begründung der Quantenphysik. Einstein erhielt 1921 für die Erklärung des Effekts auf Basis der Einführung von Lichtquanten (Photonen) sogar den Nobelpreis für Physik. Die Quantenwelt hat mich schon immer fasziniert und die Photonen stehen bis heute im Mittelpunkt meines Forscherlebens.

Sie haben in den letzten Jahren einige große Quanteninitiativen für Fraunhofer auf den Weg gebracht. Was fasziniert Sie persönlich an der Quantenwelt?

In den 50er und 60er Jahren lernte man, größere Ensemble von Quanten zu kontrollieren und für Anwendungen zu nutzen. Man spricht in diesem Zusammenhang weltweit von der ersten Quantenrevolution. So ist der Laser realisiert worden, mit der die Photonikbranche und damit auch ein neuer Wirtschaftszweig entstand, der unsere Gesellschaft radikal verändert hat: Denken wir nur an das Internet, das ohne Photonik nicht vorstellbar wäre. Aber auch die Grundlagen für die Mikroelektronik wurden in der ersten Quantenrevolution gelegt. Ohne deren Bauelemente würde die Welt heute im wahrsten Sinne des Wortes stillstehen. Heute fragen wir uns: Welchen praktischen Mehrwert hat es, wenn man ein einzelnes Quant kontrollieren kann? Ist damit eine ähnliche volkswirtschaftlich bedeutsame Wertschöpfung möglich?

In welchen Bereichen werden Quantentechnologien künftig am nachhaltigsten unser Leben verändern?

Sicherlich in der Medizin, denn Quantenbildgebung kann die Diagnostik enorm verbessern: Wir benötigen zukünftig durch den Einsatz von Quantentechnologien weniger Licht, um ein Bild aufzunehmen. Aber auch Quantenkommunikation ist für unsere Gesellschaft ein wichtiges Thema, denn Sicherheit und Souveränität von Daten sind ein Grundrecht. Mit dem aktuellen Projekt QuNet wollen wir einen Beitrag zur Datensouveränität in Europa leisten und mit Partnern die Grundlagen für eine sichere Übertragung und Speicherung von Daten entwickeln.

Zu den vier großen Forschungsfeldern gehören Quantencomputing, -kommunikation, -imaging und -sensorik. Wo werden Ihrer Meinung nach marktrelevante Anwendungen am ehesten spruchreif?

Ich bin optimistisch, dass es in der Kommunikation, im Imaging und in der Sensorik sehr schnell reale, marktreife Anwendungen geben wird. Hier sind wir bereits in konkreten Projekten mit Unternehmen aktiv.

China schickte bereits 2016 den ersten Quantensatelliten ins All, Google bewies kürzlich die Quantenüberlegenheit. Hat Europa das Rennen um die Quantenvorherrschaft schon verloren?

Nein. Ich denke, wir sind sogar in einer sehr guten Position. Es waren europäische Forschungsergebnisse, die das Projekt in China erst möglich machten. Wir leben in Europa von einer exzellenten Grundlagenforschung mit einer hohen Kontinuität. Denken wir nur an die Förderung durch die DFG über viele Jahrzehnte auf diesem Gebiet, die den Aufbau von wettbewerbsstarken Universitätsgruppen in der Grundlagenforschung ermöglichte. Vor allem in den Bereichen der Quantenkommunikation, -bildgebung und -sensorik ist auch die angewandte Forschung sehr stark. Hier gilt es heute mit der Industrie, die Mehrwerte von Quantentechnologien - im Vergleich zu konventionellen Ansätzen - zu zeigen und umzusetzen.

Was muss Deutschland tun, um den Anschluss nicht zu verlieren bei der Anwendung?

Wir brauchen in erster Linie Fachkräfte, in deren Ausbildung wir investieren müssen. Darüber hinaus müssen wir verschiedene Disziplinen noch näher zusammenbringen sowie das Wissen aus Ingenieurswissenschaften und Physik verbinden. Und wir brauchen HEUTE ein Engagement von Seiten der Industrie selbst, damit wir MORGEN innovative Produkte am Markt platzieren können.

Warum sollten sich Unternehmen heute schon mit Quantentechnologien befassen und was ist wichtig dabei?

Ohne Frage ist es für Unternehmen wichtig zu verstehen, ob Quantentechnologien - im Vergleich zu bisher eingesetzten Lösungen - einen Mehrwert für ihr spezifisches Geschäftsfeld bringen. Es gilt, frühzeitig Bewertungskriterien zu entwickeln, die dann zu richtigen Geschäftsentscheidungen führen.