»Talent Take Off – Einsteigen«: Träumen, planen, realisieren

Es ist gar nicht so einfach, sich im Dschungel der Möglichkeiten zurecht zu finden. Maschinenbau studieren? Oder doch lieber Mathe? Bei »Talent Take Off – Einsteigen« (TTO) erfahren Schüler*innen, wie man sich auf eine der großen Lebensentscheidungen am besten vorbereitet – und dass man sich jederzeit neuorientieren darf.

Ein paar Ideen haben sie schon zu Kursbeginn. »Physik ist voll mein Ding«, sagt Julia, 17 Jahre, »am liebsten würde ich Astronautin werden«. Alyssa, 16, mag Mathe und Astronomie, Sinja, 18, liebt nicht nur Musik, sie löst auch gern Matheaufgaben, zur Entspannung. Alle drei teilen eine besondere Leidenschaft. Sie mögen Fächer, die von vielen ihrer Mitschüler*innen oft rundheraus abgelehnt werden. Mathematik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften, Technik (MINT). Aber auch David, 16, ist dabei, der, wie er erzählt, »total unsicher« ist, war er einmal beruflich machen will und noch gar keinen genauen Plan hat, wo’s hingehen soll.

Viele Interessen, noch keine Klarheit

In der Karwoche haben die vier darum an dem Programm zur Studienorientierung teilgenommen, das die Fraunhofer-Gesellschaft nun schon seit elf Jahren zusammen mit der Femtec deutschlandweit anbietet. Das sechstägige »TTO -Einsteigen« soll Schüler*innen ab 16 Jahre dabei unterstützen, das richtige Studienfach zu finden. Inzwischen haben rund 1200 Schüler*innen und Studierende die verschiedenen Module des Talent Take Off-Programms durchlaufen. Die Hälfte davon sind weiblich. Viele der Teilnehmer*innen, erzählt die Koordinatorin Anke Streckfuß aus der Münchner Fraunhofer-Zentrale, besuchen mehrere Kurse nacheinander, treffen sich als alte Bekannte im »Talent Take Off Durchstarten« oder »Vernetzen« wieder, wenn sie das Einstiegsprogramm durchlaufen haben und schließen Freundschaften.

»Zu uns kommen Schüler*innen, die bereits Interesse an MINT-Berufen haben, aber noch ein bisschen schwanken«, erzählt Anke Streckfuß. »Vielleicht, weil sie unheimlich viele Talente haben. Oder weil sie sich ein MINT-Studium nicht zutrauen.«

Zwar bieten die allermeisten Gymnasien in der Oberstufe eine Berufs- und Studienorientierung an. Und auch die Universitäten haben ihre Angebote zur Studienorientierung längst online gestellt. Im Internet finden sich zahllose Persönlichkeitstests, die helfen sollen, die eigenen Neigungen auszuloten sowie detailreiche Rankings der Universitäten und Technischen Hochschulen.

Aber das alles ist in seiner Kleinteiligkeit so unübersichtlich wie einschüchternd. Noch kniffliger wird die Wahl eines Studienfachs dadurch, dass Corona die sonst üblichen Präsenzveranstaltungen zur Studienorientierung unmöglich macht. Und: Die Gestaltung des Gap Year, das gerade Abiturient*innen in Bundesländern mit achtjährigem Gymnasium häufig eingeschoben haben, um sich der Studienfrage aus sicherer Distanz zu nähern, stand und steht auf wackligen Beinen.

Studienorientierung, ganz persönlich

Umso wichtiger sind Formate wie das TTO, die Schüler*innen ganz persönlich Rat und Orientierung bieten. Denn letztlich sind es vor allem Gespräche mit Studierenden und Berufstätigen, die helfen, sich einem so komplexen Thema wie der Studienwahl zu nähern.

Am schönsten ist das natürlich, wenn man sich wirklich trifft. Daran, sich nicht »in echt« sondern in virtuellen Räumen zu treffen, haben sich Trainer- und Schüler*innen jedoch längst gewöhnt. Manchen ist es sogar ganz recht, dass das TTO online stattfindet. Weil sich sechs Tage Workshop von zu Hause aus besser einplanen lassen. Vielleicht aber auch, weil man sich, wie ein Teilnehmer erzählt, mit etwas Abstand leichter öffnen kann. Denn darum geht es beim TTO: Sich möglichst offen mit der Frage auseinanderzusetzen, was man kann und wirklich will.

Zunächst aber beginnt das TTO an der Basis: Was ist das eigentlich: Studieren? Was wird da verlangt? Trainer Baris Ünal klärt über die Unterschiede zwischen Fachhochschulen und Universitäten auf, die Teilnehmer*innen lernen die Vor- und Nachteile eines Dualen Studiums kennen und erfahren, auf welche Fähigkeiten es im Studium generell ankommt: Dass man sich gut strukturieren und selbständig arbeiten sollte, dass man Durchhaltevermögen braucht, Kommunikationsfähigkeit und Kreativität. Das Topkriterium: »Interesse am Studienfach«.

Träum einfach mal los!

Eine Traumreise schließt sich an, in der man sein imaginäres Leben abrollen lässt. Das Ergebnis: Viele wollen beruflichen Erfolg haben, aber auch Zeit für Freunde und Familie. Auffällig auch: Die meisten möchten einen bleibenden Eindruck in der Welt hinterlassen.

Alles nur Träume? Von wegen! »Realistisch zu sein heißt zu überlegen: Was ist mein Traum? Und wie wird daraus ein Plan, der Realität werden kann?«, so die Teamerin Cornelia Fleck. Sie ist überzeugt: »Das Leben besteht aus mehr als Arbeit. Es ist wichtig, das mitzuplanen.«

Hilfreich ist es bei der Studiumssuche auch, sich mit der Bildungs- und Berufsgeschichte der eigenen Familie zu beschäftigen, wie Trainerin Tanja Berger erklärt. »Man folgt Pfaden – oder geht sie bewusst nicht«.

Dabei fällt den Schüler*innen zum Beispiel auf, dass es ganz viele Lehrkräfte in der Familie gibt. Die Mutter die Einzige ist, die studiert hat. Oder alle studiert haben – außer der Mutter. Dass man zu Hause erlebt hat, wie belastend körperliche Arbeit sein kann. Wie wichtig Jobsicherheit ist. Oder wie schwierig, Arbeit und Familie zu verbinden.

Die Schüler*innen schauen sich Onlinevorlesungen an zur Physik und Weltraumforschung und zur Chemie, fassen die Inhalte souverän zusammen, stellen aber auch fest, dass es an der Uni unpersönlicher zugeht als in der Schule, die Inhalte einer Vorlesung indes erkenntnisreiche Highlights sein können.

Ingenieur*innen sind total kreativ

Und noch etwas wollen die Veranstalter zeigen: »Dass der Ingenieur*inberuf total kreativ sein kann«, wie Anke Streckfuß erklärt. Eine große Bandbreite unterschiedlicher Persönlichkeiten kennenlernen, Role Models finden: Das ist eines der erklärten Ziele des TTOs. Darum lernen die Teilnehmer*innen Katrin Dietmayer kennen, die am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen, der größten von insgesamt 75 Forschungseinrichtungen, Empfänger baut, mit deren Hilfe Satellitendaten abgegriffen werden. Oder Eva Hasenberger, Medientechnikerin, die am selben Institut als Quereinsteigerin optimale 3D-Soundanlagen fürs Auto entwickelt.

Am Ende einer erkenntnisreichen Woche weiß Julia ziemlich genau, was sie tun muss, um Astronautin werden zu können: Nämlich erstmal Physik, dann Astrophysik studieren und sich körperlich fit machen. Sie hat sogar einen Plan B, falls das Ganze doch nichts werden sollte. Alyssa ist klar, dass sie Mathe studieren will. David hat sich bereits umgesehen, wo man ohne Numerus Clausus Psychologie studieren kann. Und Sinja weiß jetzt, »dass ich mich nicht von Anfang an auf eine Richtung festlegen muss, sondern während des Studiums jederzeit überall abbiegen kann.« Was sie vor allem genossen hat: »Neue Leute kennenzulernen.« Denn manchmal, erzählt sie, hat sie sogar in den Ferien das Bedürfnis, eine Matheaufgabe zu rechnen. »Ich dachte immer, das wäre ein bisschen sonderlich. Aber im Kurs habe ich zwei Leute gefunden, denen es genauso geht.«