Rückblick auf die 3. INNOVATIONSLOUNGE »Klinik 4.0 – Effiziente Digitale Gesundheitsversorgung«

Bis Roboter völlig autonom operieren, werden noch viele Jahre vergehen. Digitale Technologien unterstützen in zahlreichen Bereichen jedoch schon heute Ärzte und Pflegepersonal – Expertinnen und Experten identifizieren dennoch erhebliche Optimierungspotentiale.

© Atreus GmbH
Prof. Dr. Alexander Kurz, Vorstand Fraunhofer-Gesellschaft und Dr. Harald Linné, CEO und Mitgründer der Atreus GmbH.
Harald Smolak, Atreus und Prof. Dr.-med. Werner Plötz, Chefarzt Klinikum Barmherzige Brüder, München.
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Harald Smolak, Atreus und Prof. Dr.-med. Werner Plötz, Chefarzt Klinikum Barmherzige Brüder, München.

Angewandte Forschung trifft klinische Praxis. Unter dem Titel »Klinik 4.0 - Effiziente Digitale Gesundheitsversorgung« ist die dritte Auflage der Veranstaltungsreihe INNOVATIONSLOUNGE zu Ende gegangen. Im Rahmen dieser gemeinsamen Veranstaltung der ATREUS GmbH, des Fraunhofer-Alumni e.V. in Kooperation mit der Projektgruppe »Klinische Gesundheitstechnologien« des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Mannheim verfolgten knapp 60 Interessierte die digital übertragenen Vorträge und diskutierten Fragen rund um die Digitalisierung der Medizin mit Vertreten aus der angewandten Forschung und der Praxis.

Die Gesundheitsbranche steht vor der Herausforderung, mit knappen Budgets und engen Dienstplänen eine flächendeckende und effiziente medizinische Versorgung zu gewährleisten. Faktoren wie eine immer älter werdende Bevölkerung oder pandemische Lagen verschärfen diese Herausforderung zusätzlich. Mit entsprechenden Folgen für Mitarbeitende und Patientinnen und Patienten. Digitale Technologien können das medizinische Fachpersonal entlasten oder Prozesse beschleunigen.

Laut Beobachtungen des auf Interims-Management spezialisierten Beratungsunternehmens Atreus laufen viele Prozesse im Gesundheitsbereich sehr ineffizient. Das führe nicht selten zu einer völligen Überlastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, berichtet Dr. Harald Linné, CEO und Mitgründer der Atreus GmbH. Vollautomatische Lager oder eine automatisierte Logistik beispielsweise seien in der Industrie oder auch in Apotheken längst Standard. In Krankenhäusern jedoch würden noch immer viele Prozesse manuell geleistet.

Prozesse in Kliniken effektiver zu machen ist ein Bereich, den die anwendungsorientierte Forschung der Fraunhofer-Gesellschaft adressiert. Institute und Verbünde der Fraunhofer-Gesellschaft konzentrieren sich im Gesundheitsbereich schwerpunktmäßig auf 4D - Drugs, Diagnostics, Devices und Data. Doch diese Bereiche könnten nicht isoliert voneinander betrachtet werden, sie lassen sich nur integriert denken. So fasst Prof. Alexander Kurz, Vorstand Fraunhofer-Gesellschaft und Vorstandsvorsitzender des Fraunhofer-Alumni e.V. den Ansatz der Fraunhofer-Gesellschaft zusammen.

Ein Beispiel für diese anwendungsorientierte Forschung präsentiert Dr.-Ing. Jens Langejürgen, Abteilungsleiter »Klinische Gesundheitstechnologien« des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Mannheim. Ein integrierter Ansatz starte mit einer digitalisierten Patientenaufnahme im Krankenhaus. Den erprobt das Fraunhofer IPA derzeit mit dem Projekt TEDIAS. Patientinnen und Patienten können in einer Kabine bei einem Selbst-Check-in digital Fragen beantworten und erste Voruntersuchungen tätigen. »Auf diese Weise gewinnt man über die TEDIAS Messzelle bereits zahlreiche Daten, wie Informationen zu Vorerkrankungen oder Medikamentierung und erhält ein Pre-assessment von Vitaldaten. Diese werden dann als Grundlage für die weitere Behandlung über ein standardisiertes System zur Verfügung gestellt.« Bei Routineuntersuchungen könnten Patienten diese Fragen auch zuhause über einen Online-Fragebogen ausfüllen. Ärztinnen und Ärzten bleibe so mehr Zeit für die Behandlung von Patientinnen und Patienten. »Organisatorisch müssen aber alle Akteure wie Ärztinnen und Ärzte, Pflege-Personal, Managerinnen und Manager aber auch Patientinnen und Patienten mit einbezogen werden«, so Langejürgen.

Stellen Sie sich vor, Sie müssen mit einer Stricknadel ein erbsengroßes Ziel treffen und dieses Ziel befindet sich mehr als handbreit tief in einem undurchsichtigen Körper. Bekannt sind Ihnen die Einstichstelle, der Winkel und die Tiefe des Einstichs, die Durchführung erfolgt aber manuell. Sie benötigen also einiges an Geschick, um gleich beim ersten Mal zu treffen – vor solchen Herausforderungen stehen Ärztinnen und Ärzte, wenn sie Biopsien durchführen. Das Roboter-System guidoo des Fraunhofer IPA positioniert eine Führungshülse, über die Ärzte dann die Biopsie ausführen, wie in diesem Video vom Fraunhofer IPA zu sehen ist.

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Hier setzt guidoo an: Der Roboterarm führt, basierend auf einer vorherigen Planung, eine Nadelhülse zur Einstichstelle und bietet somit eine Führung für die Biopsienadel.
© Fraunhofer IPA
Das Punktieren von Organen wie der Leber oder der Niere für eine Biopsie ist klinischer Alltag. Das System guidoo beschleunigt die Entnahme solcher Proben. Ein Roboterarm bringt eine Nadelhülse zur Einstichstelle. Ärztinnen und Ärzte stechen die Biopsienadel durch diese Hülse hindurch. Positionierung und Angulierung der Nadel unterstützt der Roboter. Die Trefferquote wird so erhöht und wiederholtes Einstechen sowie übermäßig viele Kontrollscans werden vermieden, was letztlich Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit steigert.
experimenteller Hybrid-OP
© Fraunhofer IPA
Am Standort der IPA Projektgruppe steht ein experimenteller Hybrid-OP als Technologieentwicklungsplattform zur Verfügung. Dieser steht auch Unternehmen offen. So lassen sich Versuche an Phantomen, an Objekten, die dem menschlichem Körper entsprechen und technische Erprobungen durchführen.
Hybrid OP
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Szenarien für die Erprobung eines Systems oder die Überprüfung einer Idee können so erstellt werden. Nach Verfügbarkeit können Spezialisten hinzugezogen werden, die über experimentelle Erfahrungswerte verfügen.

Wie künftig Operationen ablaufen können, präsentiert Johannes Horsch, Gruppenleiter Medizintechnische Assistenzsysteme, Fraunhofer IPA, bei einer Live-Schaltung in den Experimental-OP auf dem Campus der Universitätsklinik Mannheim. In einem Hybrid Operationssaal können während der Operation Patientinnen und Patienten geröntgt werden. Derzeit forschen die Expertinnen und Experten noch an technischen Phantomen, also Objekten, die dem menschlichen Körper entsprechen.

Ein robotisches System ermöglicht bessere Ergebnisse etwa bei der Nadelpunktion von Metastasen. Das Hybrid-System kann durch die Bildgebung eines Röntgensystems betroffenes Gewebe sehr genau lokalisieren. Über eine Röntgensoftware lässt sich die Nadel zunächst virtuell platzieren. Ein Roboterarm stellt in einem weiteren Schritt eine Führungshülse bereit, durch die die Ärztin oder der Arzt den Nadelstich ausführt. Auf die Frage, ob ein Mensch oder ein Roboter diesen Stich präziser ausführen kann, erklärt Horsch: »Die Präzision ist am Ende in etwa gleich. Den größten Unterschied sehen wir aber in der Effizienz. Dank der Führungshülse ist eine Biopsie jedoch auf Anhieb und innerhalb von 5 Minuten möglich. Ohne dieses Assistenzsystem kann das mit mehreren Anläufen bis zu 45 Minuten dauern.« Aktuell befinde sich das System in der Kommerzialisierung.

Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz versucht das Mannheimer IPA-Team zudem die Behandlung von Schlaganfall-Patienten zu beschleunigen. Bei der Behandlungsmethode der Thrombektomie wird – möglichst schnell – ein Katheter durch Blutgefäße bis in das Gehirn geschoben, wo anschließend das Blutgerinnsel entfernt wird. Der komplette Eingriff kann bis zu dreieinhalb Stunden dauern. Für die Operateurin bzw. den Operateur ist das eine große Herausforderung. In einem Versuchsaufbau wurde eine künstliche Intelligenz, die anfangs ohne jedes Vorwissen war, darauf trainiert, den Weg durch Gefäße zu suchen. »Nach den ersten Versuchen hat das im zweidimensionalen Raum ganz gut geklappt. Je mehr das System trainiert, desto besser wird es. Im nächsten Schritt sollen 3D-Modelle und Phantome zum Training herangezogen werden. Ziel ist, in der Zukunft an echten Bilddaten vor einem Eingriff zu trainieren und so ein patientenindividuell optimiertes System für die Navigation anzubieten«, erklärt Horsch.

Wie die Digitalisierung in der Praxis eines Krankenhauses aussieht, berichtet Prof. Dr. med Werner Plötz, Chefarzt des Münchener Klinikum Barmherzige Brüder. Unter seiner Leitung werden pro Jahr 2600 Hüft- und Knie-Prothesen eingesetzt. Er misst der Frage, ob Roboter oder Mensch wenig Bedeutung zu. »Entscheidend sind nachgewiesene gute klinische Ergebnisse.« Doch seien die nicht alleine von einer Ärtzin oder einem Arzt abhängig. Im Schnitt seien sieben Personen bei einer OP anwesend und um eine neue Hüfte zu bekommen, hat eine Patientin oder ein Patient mit bis zu 30 unterschiedlichen Personen zu tun. »Daher sind die Teams entscheidend.«

Im Münchner Zentrum beispielsweise werden die Fachkräfte mit Videos auf die Tätigkeiten vorbereitet. Auch für Patientinnen und Patienten stehen solche Inhalte für die Vorbereitung oder Nachbereitung einer Operation bereit. Sie können zudem über ein Tablet ihren Gesundheitszustand eingeben. Operationen werden am Rechner geplant und wenn Standard-Prothesen nicht passen, können über Titan-3D-Druck individuelle Prothesen hergestellt werden.

Es habe immer wieder Versuche gegeben, Ärzte durch Roboter zu ersetzen. Ein Ziel, das heute nicht mehr verfolgt werde. Es gehe vielmehr um die Assistenz – und das aus einem guten Grund: »Wenn Fehler passieren, wird meist die Ärztin oder der Arzt und selten der Roboter verklagt.«

»Es gibt viele digitale Systeme, die längst im Alltag verwendet werden, wie etwa digitale Röntgenbilder. Doch wünsche ich mir noch mehr«, so Plötz. Es müsse beispielsweise vor Operationen manuell der Bestand des für den Eingriff benötigten Materials geprüft werden, obwohl solche Daten eigentlich elektronisch vorhanden wären. Ein weiteres Beispiel für eine aus seiner Sicht notwendige Optimierung ist eine Software, die automatisiert Wechselwirkungen von Medikamenten aufzeigt. Stand heute müsse das eine Fachkraft erledigen.

Plötz benennt die größten Herausforderungen in der Digitalisierung. »Es ist schwierig unterschiedliche digitale Services zu verwenden, es scheitert an der Kompatibilität und es ist immer eine Frage der Kosten. Wir werden für die medizinische Leistung bezahlt, nicht für die Weiterentwicklung.«

Jens Langejürgen resümiert daher: »Die Ärztin oder der Arzt ist nicht wegzudenken und wegzurationalisieren. Es sind immer Fälle denkbar, bei denen eine KI nicht das zu erwartende Resultat liefert. Aber man kann durch Digitalisierung entlasten, indem man Routinen reduziert. Und natürlich brauchen wir offene Schnittstellen und eine ganzheitliche Betrachtung dieses Themas.«