Aus dem Suitcase Office für den weiblichen Gründer-Dancefloor

Frauen gründen nach wie vor weniger Unternehmen als Männer. Das will die Fraunhofer-Venture-Alumna Claire Siegert mit ihrem Projekt ändern.

© Businettes

Claire Siegert arbeitet derzeit als digitale Nomadin an dem Projekt mehr Frauen auf den Gründungs-Dancefloor zu bringen. Das klingt erst einmal recht salopp, doch liegt diesem Projekt ein gesellschaftliches Problem zugrunde: deutlich weniger Gründerinnen wagen den Schritt einer Gründung als ihre männlichen Kollegen. Weibliche Gründungen kommen schwerer an Risikokapital und nicht zuletzt: es fehlen Rollenbilder.
Um Gründerinnen auf die Tanzfläche zu bringen, setzt die Fraunhofer-Venture-Alumna in dem von ihr mitgegründeten Start-up an verschiedenen Punkten an. Über ein Online-Programm leistet das Start-up Hilfestellungen für die Entwicklung eigener Ideen und Produkte. Gleichzeitig werden aber auch Rollenvorbilder vermittelt und über spe-zielle Schulungen und Coaching auch zusätzliches Empowerment gesorgt. Durch Digitalisierung haben die Teilnehmerinnen volle Flexibilität. Wie die studierte Marketing-Expertin in die Start-up-Szene gefunden hat und welche Tipps sie für Gründerinnen und Gründer hat, verrät Sie in diesem Interview.
Clarire Siegert studierte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sowie an der ESCE International Business School in Paris Internationales Management und Marketing. Nach verschiedenen Stationen in der freien Wirtschaft taucht sie zunächst bei Fraunhofer IPA und schließlich bei Fraunhofer Venture tiefer in die Start-up-Szene ein.

 

Wie sind Ihre Erfahrungen als Digitaler Nomad:in?

Seit einigen Monaten mache ich Suitecase Office. Ich wollte schon länger wieder ins Ausland also mietete ich zusammen mit anderen Selbständigen in Portugal für zwei Monate ein Haus. Es ist allerdings schwer, eine Wohnung für so kurze Zeit vermietet zu bekommen. So verlängerte ich die Spanne. Vor einigen Wochen löste ich meine Wohnung in München auf und ich lebe wieder als digitale Nomadin. Fakt ist, dass ich auf diese Weise sehr produktiv arbeiten kann und es gibt einfach so viele schöne Orte, die ich noch entdecken will. Man taucht intensiver in die Kultur, Lebensweise und Arbeitswelt vor Ort ein, als zum Beispiel als Tourist. Wir konzentrieren uns im ersten Schritt auf den deutschen Markt und wollen jetzt vermehrt in Frankreich und Europa wachsen, da ist es sinnvoll, die unterschiedlichen Kulturen und Netzwerke vor Ort besser kennenzulernen. Mir ist klar, dass ich das nicht mein Leben lang machen werde. Mal sehen, wo ich mich als nächstes niederlassen werde.

Hat das mit Ihrer Arbeit zu tun, oder nutzen Sie einfach die technischen Möglichkeiten?

Das Team in meiner Ausgründung ist von Day One an remote aufgestellt und meine Tätigkeit erlaubt mir diese Flexibilität. Victoria Arnhold, die Mitgründerin von Businettes, lebte in Paris, ich in München. Wir nutzen die gesamte Bandbreite an Online-Tools, daher funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut. Wir integrierten ohne auf Probleme zu stoßen Praktikanten und andere Teammitglieder virtuell, um uns dann Monate später zufällig persönlich zu begegnen.

Was ich mir eher problematisch vorstelle, ist ein Team, das zunächst räumlich zusammenarbeitet, auf diese Arbeitsweise umzustellen, aber das gilt natürlich auch andersrum: Für mein Team würde es eine Umstellung bedeuten, wenn wir in einem Büro zusammenarbeiten. Aber auch das ist natürlich eine Option.

Kommen wir auf Ihr Projekt: Was genau macht Businettes und was ist das Geschäftsmodell dahinter?

Wir sind als Online-Incubator für Gründerinnen gestartet. Frauen, die eine Geschäftsidee haben, können sich auf unserer Plattform anmelden und dann Schritt für Schritt an ihrer Idee arbeiten. Am Ende steht für die Gründerinnen ein Ergebnis, etwa, das Projekt nicht zu verfolgen, es zu ändern oder durchzustarten. Am Ende dieses Prozesses haben die Gründerinnen einen Prototypen, ein erstes Konzept für die Markteinführung und ein Netzwerk von Gründerinnen. Wir bieten zudem ein Modul für die persönliche Entwicklung, um die Gründerinnen dabei zu unterstützen, in die Unternehmer-Rolle hineinzuwachsen. Wir behandeln auch Fragen wie etwa Methoden, Stress-Management, wie werde ich mein Impostor Syndrom los, wie präsentiere ich mich, wie spreche ich mit Partnern. Wir wollen Gründerinnen ermutigen. Das ist aus unserer Sicht wichtig, weil es deutlich weniger Unternehmerinnen als Unternehmer gibt.

Wie läuft das praktisch ab?

Die Frauen arbeiten selbst an Ihren Ideen. Wir haben ein Konstrukt mit einem Gamefication-Ansatz gebaut. Man durchläuft verschiedene Kapitel, die aufeinander aufbauen. In die nächste Stufe rückt man nur vor, wenn man die Ziele eines Levels geschafft hat. Durch die Online-Plattform umgehen wir Öffnungszeiten. Die Frauen können das vollständig in der eigenen Zeitplanung oder aus der eigenen Zeitzone heraus umsetzen. Viele gründen Unternehmen neben einem Hauptberuf und oder haben Kinder. Wir haben auch Beispiele für Vollzeitgründerinnen, aber die Mehrzahl startet in kleineren Schritten.

Wir haben nicht immer die richtigen Antworten auf Fragen, aber wir haben unterschiedliche Business-Ideation-Methoden zusammengefasst und daraus einen Leitfaden erstellt, den man auch ohne BWL-Studium umsetzen kann. Es ist ein Merkmal unserer Gründerinnen, dass wir ganz verschiedene spannende Biografien erleben, aber die meisten eben keinen betriebswirtschaftlichen Hintergrund mitbringen. In unserem Programm lernt man Begrifflichkeiten und den Umgang mit solchen Größen, was für die Gründerinnen natürlich für Sicherheit sorgt.

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INFO und REGISTRIERUNG

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Claire Siegert (links) im Bild mit Victoria Arnhold, mit der sie gemeinsam in einem Virtuellen Team von Fraunhofer Venture aus den Schritt in die eigene Gründung wagte.

Wenn sich das Programm speziell an Frauen richtet, sehen Sie denn bestimmte thematische Präferenzen bei den Gründungen?

Tatsächlich sehen wir unter weiblichen Gründerinnen viele Produkte oder Dienstleistungen für Frauen, also von Frauen für Frauen, oder auch für Familien oder Kinder. Manche gehen auch in den Bereich HR oder Marketing, also Bereiche, wo man auch im Berufsleben häufiger Frauen antrifft. Auch die Bereiche Ernährung, Mode, Medizintechnik oder Mental Health sehen wir vermehrt. Deutlich seltener sind Tech-Gründungen. Wir hoffen natürlich, dass sich das mittelfristig ändert und es gibt ja auch den Trend, dass immer Frauen in MINT-Fächer einsteigen.

Wie finanziert sich dieses Projekt?

Da haben wir mehrere Modelle, einerseits bezahlen die Gründerinnen für unsere Dienstleistung. Aber durch unsere automatisierte Lösung können wir das deutlich günstiger als etwa über einen Coach abbilden, auch wäre das für viele Projekte unrealistisch. Wir bieten neben der Basic-Version eine Premium-Variante, bei der wir auch als Ansprechpartnerinnen oder Vermittlerinnen agieren. So bekommen Gründerinnen, die ein Solo-Projekt starten, die Möglichkeit zum Austausch.

Zudem arbeiten wir mit Unternehmen zusammen, die das Thema Female Empowerment voranbringen und Engagement zeigen wollen, die Interesse an der Diversifizierung der Wirtschaft haben. Wir haben eine Kooperation mit einer Krankenkasse, denn das Thema Versicherung ist für viele Gründerinnen ein großes Thema oder mit einem großen sozialen Business-Netzwerk. Zudem sind wir in Frankreich für ein staatliches Schulungsprogramm Programm zertifiziert.

Wie wichtig sind Netzwerke?

Man braucht definitiv ein Netzwerk, vor allem mit Menschen, die in der gleichen Lebensphase sind. Hat man nur Personen um sich, die in einer Festanstellung sind, wird es wirklich schwierig, weil hier gerne von den Risiken und Unsicherheiten gesprochen wird. Es ist aber wichtig mit dem richtigen Mindset durchzustarten und zu begreifen, dass die Sorgen und Ängste kein Hindernis, sondern völlig normal sind.

Im Gründungsbereich sind Verbindungen zu Investoren entscheidend?

Das ist auf jeden Fall ein Thema an dem wir arbeiten, damit die Frauen nach dem Programm eine bessere Chancen haben. Allerdings sind die Gründerinnen, die zu uns kommen, noch sehr Early Stage, noch ein paar Schritte von diesem Thema entfernt. Für VC muss man ja beweisen, dass das Thema Traction hat, dass es einen Product-Market-Fit gibt. Wir wollen auch dem Eindruck entgegenwirken, dass man unbedingt Risikokapitalgeber braucht, um in dieser Szene etwas zu bewegen. Für einen Business-Angel gibt ein Gründer bis zu 15 Prozent der Shares für 100.000 Euro, das ist natürlich ein großer Anteil. Wir wollen zeigen, dass definitiv andere Möglichkeiten existieren und bei denen man vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt weniger Shares abgeben muss, weil man einfach schon einige Schritte weiter ist. Dennoch ist das Feedback, das man bei einem VC-Pitch bekommt, extrem wichtig.

Zu Ihrer Karriere, wie sind Sie zu diesem Gründungsthema gekommen?

Ich habe schon im Studium bei verschiedenen Start-ups gearbeitet und mir war immer klar, dass ich mich weiter mit diesem Thema beschäftigen werde. Eine wichtige Station dabei war tatsächlich Fraunhofer Venture, wo ich ebenfalls viel mit Gründerinnen und Gründern zu tun hatte. Als ich von Fraunhofer wegging sah ich den perfekten Zeitpunkt für meine eigene Gründung. Gleichzeitig wollte ich gerne weiterhin mit unternehmerischen Persönlichkeiten zu tun haben. Es macht einfach Spaß, diesen Drive zu erleben und mit Menschen zu arbeiten, die in Lösungen und nicht in Problemen denken oder die Welt ein bisschen besser machen wollen. In den Jahren bei Fraunhofer und in den Monaten danach habe ich festgestellt, wie wenig weibliche Gründerinnen es gibt. Bei vielen Tech-Konferenzen oder Meet-Ups war ich oft die einzige Frau und das wollte ich unbedingt ändern. Jetzt will ich Frauen Mut machen und arbeite an der Frage: „Wie bekommen wir mehr Frauen auf den Gründungs-Danceflore“?

Vor Venture waren sie bei Fraunhofer IPA, was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Zu Fraunhofer IPA bin ich über eine Elternzeitvertretung gekommen und dabei konnte ich sehr gut in eine ganz neue Welt eintauchen, die ich aus meiner bisherigen Erfahrung so noch nicht kannte. Meine Aufgabe war es, Forschungs-Teams beim Marketing zu unterstützen. Zum einen musste ich mich in die Projekte einarbeiten, um zu verstehen, was die Kollegen da machen. Und auf der anderen Seite hatte ich, von gewissen Rahmenbedingungen abgesehen, wirklich völlig freie Hand. Das war eine wichtige Erfahrung für mich, die mich auch heute noch prägt:

Wir unterstützen natürlich Gründerinnen und suchen gezielt Projekte für Partner aus. Gleichzeitig geben wir den Gründerinnen die Freiheit, sich mit der eigenen Idee zu entfalten und mit eigenen Heransgehensweisen, nur dann kommt am Ende wirklich etwas Gutes dabei heraus. Eine weitere Lehre aus der Fraunhofer-Zeit: Man kann immer einen Beitrag leisten und kooperieren, auch wenn man in einem Thema nicht so tief eingearbeitet ist. Die Ambition, ein Projekt und dessen Ziele und Kunden und Partner zu verstehen ist meist schon ausreichend.

Die Arbeit von Venture lernte ich kennen, als ich zwei Teams begleitete, die sich damals bei den FDays beworben hatten. Heute heißt dieses Programm AHEAD. Teams dazu zu bringen, unternehmerisch zu Denken und daraus Geschäftsmodelle zu entwickeln, war genau das, was ich schon immer machen wollte. In dieser Tätigkeit habe ich viel darüber gelernt, welche Methoden anwendbar sind. Wir haben viele Workshops gemacht und natürlich bestehende Methoden mit Fraunhofer-spezifischen Fragestellungen ergänzt und erweitert. Ich würde auf jeden Fall sagen, dass ich mit diesen Erfahrungen den Grundstein für meine spätere Gründung legte.

Was müsste passieren, damit das Thema Gründung mehr Rückenwind bekäme:

Da gibt es aus meiner Sicht verschiedene Punkte. Zuallererst müssten mehr Frauen in die Investment-Szene einsteigen, damit Female-Founder auch größere Chancen auf Risikokapital bekommen. Es ist eine Art Naturgesetzt, dass man eher in Personen investiert, die einem ähnlich oder sympathisch sind. Daher ist es auch logisch, dass Männer eher in Männer investieren. Es gibt zwar einige Initiativen, die das ändern sollen, aber da ist definitiv noch Luft nach oben.

Ein weiterer Punkt hat eher etwas mit Wahrnehmung zu tun. Warum werden Start-ups ins Lampenlicht gerückt, die beeindruckende Finanzierungen erzielen. Ich finde es mindestens genauso spannend, wenn junge Unternehmen „gebootstraped“ sind, also wenn sie sich geschickt überlegen, wie man schnell Cashflow generiert und sich dann selbst finanzieren. Auch wenn das natürlich nicht direkt damit zusammenhängt: Das Thema Kinderbetreuung könnte auf jeden noch besser geregelt werden.

Wir danken Ihnen für das Gespräch, Frau Siegert.